BGH, Urt. 29.7.2021 - III ZR 179/20

Unwirksamer Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt in Facebook-AGB

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 10/2021
Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist berechtigt, in AGB die Einhaltung objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen, sofern ein angemessenes Gegenvorstellungsverfahren vorgesehen ist. Werden Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in AGB dem nicht gerecht, ist eine darauf basierende Beitragslöschung und Kontosperrung unzulässig.

GG Artt. 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 123 Abs. 1, 138 Abs. 1, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 305 Abs. 2, 307 Abs. 1 Satz 1

Das Problem

Eine Nutzerin veröffentlichte auf Facebook u.a. die Äußerung: „Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s!“. Daraufhin löschte Facebook Irland wegen Verstoßes gegen das Verbot der „Hassrede“ in seinen Gemeinschaftsstandards den Beitrag und versetzte das Nutzerkonto 30 Tage in den „Read-only-Modus“.

Die Entscheidung des Gerichts

Es bestehe ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 249 Abs. 1 BGB auf Freischaltung des gelöschten Beitrags und auf Unterlassung einer erneuten Löschung sowie Kontosperrung.

Anspruch auf Freischaltung: Wegen des bestehenden Nutzungsvertrags dürfe Facebook Beiträge der Nutzerin nicht grundlos löschen. Facebook könne sich insoweit nicht auf den Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt in ihren AGB berufen, weil dieser gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Die Beitragslöschung könne auch nicht ersatzweise auf Strafbarkeit des Beitrags insb. nach § 130 Abs. 1, Abs. 2 StGB gestützt werden (Rz. 27 ff., 98).

Wirksame Einbeziehung: Auf die Wirksamkeit der Änderungsklausel der vorherigen Fassung der AGB komme es nicht an, da durch Betätigung einer Schaltfläche in einem Pop-up-Fenster mit der verlinkten Neufassung die aktualisierten AGB aufgrund eines Änderungsvertrags i.V.m. § 305 Abs. 2 BGB Vertragsinhalt geworden seien. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme i.S.d. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei nicht unzumutbar, da aufgrund der vollständigen Umstrukturierung eine Hervorhebung kaum möglich und sinnvoll gewesen wäre. I.Ü. seien die Änderungen zur „Hassrede“ nicht nachteiliger für die Nutzer, da die Sanktionsmöglichkeiten jetzt an objektive Kriterien anknüpften. Eine weitergehende Aufklärungspflicht folge nicht aus § 308 Nr. 5 BGB (Rz. 39–43).

Keine Nichtigkeit: Ob es eine widerrechtliche Drohung i.S.v. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB sei, den weiteren Netzwerkzugang als vertraglich geschuldete Leistung von der Zustimmung zu den geänderten AGB abhängig zu machen, könne offenbleiben, weil es jedenfalls an einer Anfechtungserklärung fehle (Rz. 45, 47). Eine Nichtigkeit gem. § 138 BGB komme nur in Betracht, wenn besondere Umstände zu der durch Drohung bewirkten Willensbeeinflussung hinzuträten (z.B. Ausbeutung einer Zwangslage oder auffälliges Leistungsmissverhältnis, vgl. BGH v. 17.1.2008 – III ZR 239/06 – Partnervermittlung Rz. 11, MDR 2008, 373).

Keine Ausnutzung einer Markbeherrschung: Die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung sei nur dann nach § 138 BGB sittenwidrig, wenn einerseits in objektiver Hinsicht eine grobe Interessenverletzung von erheblicher Stärke vorliege (BGH v. 8.12.2011 – VII ZR 111/11 – Mastküken-Brüterei Rz. 24, MDR 2012, 136). Daran fehle es vorliegend, denn die neugefassten Klauseln zur „Hassrede“ seien angesichts umfassender Begriffserläuterung für Nutzer nicht nachteiliger. In subjektiver Hinsicht müsse zudem wirtschaftliche Macht sittenwidrig dazu ausgenutzt werden, sich aus eigensüchtigen Beweggründen unter Missachtung der berechtigten Belange des Vertragspartners unangemessene Vorteile zu verschaffen. Auch hieran fehle es, weil Facebook zur Vermeidung einer Mehr-Klassen-Gesellschaft ein nachvollziehbares Interesse an einheitlichen Kommunikationsstandards habe (Rz. 48–50).

Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt: Die Klauseln zu Kontosperrung und Inhalteentfernung griffen in das Grundrecht der Nutzer auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Eine staatsgleiche Grundrechtsbindung folge nicht aus der Marktbeherrschung von Facebook, die nicht gleichzusetzen sei mit der Monopolstellung staatlicher Unternehmen auf dem Gebiet der öffentlichen Daseinsvorsorge. Insb. übernehme Facebook nicht die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation wie etwa durch Internetzugangsvermittlung (vgl. BVerfG v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I Rz. 88, CR 2020, 30 = ITRB 2020, 28 [Rössel]). Vielmehr sei Facebook selbst Träger von Grundrechten (Rz. 51–59).

Grundrechte der Nutzer: Auf Seiten der Nutzerin sei ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu berücksichtigen. Ob und inwieweit für Betreiber sozialer Netzwerke eine mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG bestehe, hänge vom Grad ihrer marktbeherrschenden Stellung, der Ausrichtung der Plattform, dem Grad des Angewiesenseins der Nutzer auf die Plattform und den betroffenen Interessen der Betreiber und sonstiger Dritter ab (BVerfG v. 22.5.2019 – 1 BvQ 42/19 – Der III. Weg Rz. 15, CR 2019, 444). Hier sei maßgeblich der Charakter der Durchsetzungsmaßnahmen als einseitiger, auf die strukturelle Überlegenheit von Facebook gestützter Ausschluss von Dienstleistungen, die die Plattform im Rahmen ihrer marktbeherrschenden Stellung einer unbegrenzten Vielzahl von Menschen ohne Ansehen der Person anböten und die für viele Betroffenen sehr über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entschieden. Der Wechsel zu einem anderen Netzwerk sei mit hohen Hürden verbunden (vgl. zum Lock-in-Effekt BGH v. 23.6.2020 – KVR 69/19 – Facebook Rz. 44, 48, 102, CR 2020, 660 = ITRB 2020, 253 [Kartheuser]).

Grundrechte des Plattformbetreibers: Nach Art. 19 Abs. 3 GG würden die Artt. 5 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1 GG auch für inländische juristische Personen und nach Artt. 18, 26 Abs. 2 AEUV auch für solche der EU gelten (vgl. zum Deutschenrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG BVerfG v. 4.11.2015 – 2 BvR 282/13 Rz. 8 ff., NJW 2016, 1436).

Berufsausübungsfreiheit: Ein bestimmtes Diskussionsniveau vorzugeben und durchzusetzen, falle in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Facebook habe ein geschütztes Interesse daran, für Nutzer und Werbekunden durch einen Verhaltenskodex für respektvollen Umgang ein attraktives Kommunikations- und Werbeumfeld ohne verrohte Debattenkultur (vgl. zum NetzDG BT-Drucks. 18/12356, 13) zu schaffen (Rz. 71 ff., 92).

Meinungsäußerungsfreiheit: Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schütze auch den Kommunikationsprozess als solchen, weshalb die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung selbst dann in seinen Schutzbereich fallen könne, wenn diese weder zu eigen gemacht noch eingebunden werde (vgl. zur unverzichtbaren Mittlerperson BGH v. 4.4.2017 – VI ZR 123/16 – Zu-eigen-Machen auf Bewertungsprotal Rz. 24, CR 2018, 49 = ITRB 2017, 179 [Rössel]). Im Gegensatz zur rein technischen Verbreitung (vgl. zum zweifelhaften Schutz nach Art. 5 GG BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – Presseschau Rz. 59, AfP 2009, 480) wirke Facebook auf den Kommunikationsprozess durch Verhaltensregelungen ein, so dass es von seinem eigenen Grundrecht auf Meinungsäußerung Gebrauch mache (Rz. 74).

Drittinteressen und Haftungsbegrenzung: Drittinteressen, wie etwa das Interesse der Nutzer an respektvoller Diskussionskultur, seien bei der gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden Interessensabwägung auf Seiten des Verwenders berücksichtigungsfähig (RegE AGBG, BT-Drucks. 7/3919, 23). Bei der vorzunehmenden Abwägung sei schließlich das Interesse Facebooks zu berücksichtigen, nicht für fremde Inhalte straf‑, zivilrechtlich oder nach dem NetzDG im Rahmen eilbedürftiger und komplexer Prüfung haften zu wollen. Es bestehe das Dilemma einerseits dieser Haftung oder andererseits vertragswidrigen Verhaltens gegenüber dem betroffenen Nutzer (Rz. 76 f.).

Recht auf respektvollere Kommunikation: Die Interessenabwägung ergebe, dass Facebook grundsätzlich berechtigt sei, über strafrechtliche Vorgaben hinausgehende Kommunikationsstandards vorzugeben. Nur so würde die unternehmerische Handlungsfreiheit zur Behauptung am Markt mit respektvoller Diskussionskultur und das Interesse der Nutzer daran angemessen geschützt (Rz. 78 f.).

Willkürverbot: Aus praktischer Konkordanz mit den Rechten der Nutzerin aus Artt. 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG folge, dass für Inhalteentfernung und Kontosperrung ein sachlicher Grund bestehen müsse (vorliegend mit dem Verbot der Hassrede erfüllt, Rz. 92), und angesichts fehlender thematischer Begrenzung der Plattform nicht etwa ein Verbot der Äußerung von bestimmten politischen Ansichten vorgenommen werden dürfe. Ferner müssten die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den AGB an objektive, überprüfbare Tatbestände und nicht bloß subjektive Einschätzungen anknüpfen (vgl. BGH v. 30.10.2009 – V ZR 253/08 – Stadionverbot Rz. 17, NJW 2010, 534), was vorliegend ebenfalls der Fall sei (Rz. 91).

Verfahrensrechtlicher Grundrechtsschutz: Mit dem Erfordernis des sachlichen Grunds verbänden sich die Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Absicherungen etwa zumutbarer sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung insb. durch Anhörung des Äußernden nach Angabe des Grunds und anschließender Neubescheidung mit ggf. Rückgängigmachung der Maßnahme (vgl. Nachforschungspflichten bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – Internetform Rz. 31 f., CR 2018, 657 = ITRB 2018, 128 [Rössel]; vgl. Gegendarstellungsverfahren gem. §§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 3b Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 NetzDG). Ein derartiges Verfahren sei vorliegend insb. angesichts nicht proaktiver Information sowie nicht abschließenden und nicht nachvollziehbaren Ausnahmefällen nicht gegeben (Rz. 80–85, 93–96).

Anhörungszeitpunkt und Zumutbarkeit: Da die Kontosperrung die deutlich schwerwiegendere Maßnahme sei und sie nicht unmittelbar der Beseitigung eines Verstoßes diene, habe die Anhörung – von in den AGB näher zu bestimmenden Ausnahmefällen abgesehen – grundsätzlich vor ihrer Durchführung stattzufinden. Im Fall der Beitragsbeseitigung reiche hingegen aus Haftungsgründen eine unverzügliche nachträgliche Anhörung (Rz. 87 f.). Durch die verfahrensmäßigen Absicherungen werde Facebook kein den Geschäftsbetrieb gefährdender oder unverhältnismäßiger Prüfungsaufwand auferlegt, da dieser nur reaktiv sei (vgl. BGH v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – jameda.de II Rz. 40, ITRB 2016, 123 [Rössel]).

Wiederherstellung: Der durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Schaden der Nutzerin bestehe darin, dass ihr Beitrag auf der Kommunikationsplattform Facebook nicht mehr gelesen werden könne. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB sei Facebook daher zur Wiederherstellung verpflichtet (Rz. 99).

Vertraglicher Unterlassungsanspruch: Jedenfalls in der vorliegenden besonderen Konstellation, in der Facebook bereits einmal seine Pflichten aus dem fortbestehenden Vertragsverhältnis verletzt habe und die Vertragsverletzung teilweise noch andauere, sei vom Bestehen eines aus § 280 Abs. 1 BGB folgenden Unterlassungsanspruchs auszugehen (vgl. BGH v. 11.9.2008 – I ZR 74/06 – bundesligakarten.de Rz. 17, CR 2009, 175). Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch setze ebenso wie ein gesetzlicher analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB eine Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr voraus. Vorliegend folgt aus den begangenen Pflichtverletzungen eine tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr (Rz. 100–103).


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