BGH, Urt. 2.6.2022 - I ZR 135/18
Zur Haftung eines Sharehosterdienstes als Täter und dessen daraus folgenden Pflichten
Autor: RA Frederik Bockslaff, Nimrod Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 11/2022
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 11/2022
Ergreift der Betreiber einer Sharehosting-Plattform, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen, um den Zugang zu diesem Inhalt durch Löschung oder Sperrung zu verhindern, nimmt er selbst eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG vor. Für den durch Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollharmonisierten Bereich tritt mithin die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 und C-683/18, GRUR 2021, 1054 Rz. 58 und 102 = WRP 2021, 1019 – YouTube und Cyando).Die schon bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung zu stellenden Anforderungen sind auf die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar. Die zur täterschaftlichen Haftung des Betreibers einer Sharehosting-Plattform wegen einer öffentlichen Wiedergabe i.S.v. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG führende Verletzung der durch einen Hinweis des Rechtsinhabers ausgelösten Prüfungspflicht umfasst neben der Pflicht zur unverzüglichen Verhinderung des Zugangs zur konkret beanstandeten Datei und zu weiteren, im Zeitpunkt der Beanstandung bereits hochgeladenen gleichartigen rechtsverletzenden Inhalten auch die Pflicht zur Vorsorge, dass es künftig nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt.
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 2 Buchst. b; Richtlinie 2004/48/EG Art. 3 Abs. 2; UrhG §§ 19a, 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3, 97 Abs. 1, 97a Abs. 2 und 3
Die Beklagte, eine Schweizer Aktiengesellschaft, betreibt den Sharehostingdienst „uploaded“. Ihre Plattform bietet Speicherplatz für den Upload von Dateien jedweden Inhalts an. Nach dem Hochladen wird automatisch ein elektronischer Verweis, d.h. ein Downloadlink, auf den Dateispeicherplatz erstellt. Eine Suchfunktion hält der Dienst nicht vor. Dateien können nur bei Kenntnis des konkreten Links heruntergeladen werden. Die Links werden durch von Dritten angebotene Internetseiten, sog. Linksammlungen, verbreitet. Dort finden die Nutzer auch Hinweise auf die gespeicherten Inhalte, z.B. zu Filmen, Computerspielen und Musik. Der Dienst der Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Mit Einschränkungen ist der Dienst kostenlos nutzbar. Er finanziert sich durch kostenpflichtige Premium Accounts und Werbeeinblendungen. Nutzer können bei Verwendung der Premiumaccounts schneller und mehr Inhalte gleichzeitig beziehen. Die Nutzer können Geld verdienen, indem sie Nutzer vom Premium Accounts anwerben oder Inhalte bereitstellen, die besonders häufig heruntergeladen werden. Die Seiten der Beklagten werden regelmäßig im Auftrag von Rechtsinhabern durch Recherchedienstleister nach rechtsverletzenden Inhalten durchsucht.
Im Streitfall stellte der für die Klägerin – eine Tonträgerherstellerin – tätige Recherchedienstleister am 23.6.2014 fest, dass unter einem konkreten Link in einer Linksammlung das Musikalbum „Offline“ von „Guano Apes“, an dem die Klägerin die ausschließlichen Nutzungsrechte hält, bei der Beklagten abrufbar war. Der Recherchedienstleister forderte die Beklagte noch am gleichen Tag zur Sperrung auf. Die Beklagte teilte mit, dass sie den Vorgang bearbeite. Zwei Tage später ermöglichte der Link jedoch immer noch den Abruf des Albums.
Nach erfolgloser Abmahnung klagte die Rechteinhaberin auf Unterlassung u.a. mit dem Antrag:
der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, es Dritten zu ermöglichen, das Musikalbum „Offline“ der Künstlergruppe „Guano Apes“ mit den darauf enthaltenen 10 Tonaufnahmen [es folgt eine Auflistung der Titel] i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich zu machen, wie unter der URL „...“ geschehen.
Zudem verlangte die Klägerin die Erstattung ihrer Abmahnkosten. Die Ansprüche wurden auf § 97 Abs. 1, 19 a, 85 Abs. 1 S. 1 UrhG sowie §§ 97a Abs. 2 und 3 UrhG gestützt.
Erstinstanzlich wurde dem vorbezeichneten Unterlassungsantrag entsprochen; im Übrigen hatte die Beklagte einen Unterlassungsanspruch anerkannt, so dass darüber ein Teil-Anerkenntnisurteil erging. Abmahnkostenersatz sprach das Landgericht nicht zu (LG Hamburg, Urt. v. 7.7.2016 – 310 O 208/15).
Die Berufungsinstanz wies den Unterlassungsantrag zurück, soweit dieser nicht anerkannt worden war und versagte ebenfalls die Abmahnkostenerstattung (OLG Hamburg, Urt. v. 28.6.2018 – 5 U 150/16). Das Berufungsgericht meinte, die Beklagte könne nur auf Grundlage der Störerhaftung in Anspruch genommen werden. Nach dem Hinweis auf den Rechtsverstoß sei die Beklagte allenfalls dazu verpflichtet, das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren und weitere gleichartige Rechtsverletzungen zu verhindern. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich nicht, dass die Beklagte eine Pflicht zur Vorsorge nicht erfüllt habe und es dadurch zu einer weiteren Rechtsverletzung gekommen sei. Daher könne die Beklagte nicht wegen der Verletzung dieser Vorsorgepflicht in Anspruch genommen werden. Zur Klarstellung: eine Verurteilung auf Unterlassung wegen täterschaftlichen öffentlichen Zugänglichmachens lehnte das Berufungsgericht ab.
Das Berufungsgericht wies ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ab, da im Text der vorformulierten Unterlassungserklärung allgemein verlangt worden sei, es zu unterlassen, das jeweilige Musikalbum i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich zu machen „wie unter der URL [...] geschehen“. Dies gehe über die vorgeworfene unterlassene Löschung der Links hinaus und habe der Konkretisierung im Sinne des anerkannten Unterlassungstenors des Landgerichtsurteils bedurft.
Der BGH stellte zunächst besonders praxisrelevant fest, dass der Klageantrag nicht nur die Haftung als Störer erfasse, da ein solcher Antrag, gemeint ist die Formulierung „eine Rechtsverletzung zu ...ermöglichen“, sich sowohl auf eine Täterhaftung als auch auf eine Störerhaftung beziehen könne. Schließlich habe die Klägerin ihre Ansprüche in der Begründung vorrangig auf täterschaftliche Haftung, hilfsweise Gehilfenhaftung sowie weiter höchst hilfsweise auf Störerhaftung gestützt. Die Antragsfassung könne insofern auf Grundlage der Begründung wegen der Akzessorietät auf die drei genannten Handlungsalternativen gestützt werden.
Ferner sei das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung ein besonderer Fall der öffentlichen Wiedergabe (s. § 15 Abs. 2, und 15 Abs. 3 UrhG). Dieses Recht sei nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, so dass die Bestimmungen des deutschen Urheberrechts entsprechend der Richtlinie auszulegen seien (s. dazu auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; dazu auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255).
Die öffentliche Wiedergabe durch öffentliche Zugänglichmachung falle in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2001/29/EG, da bei dem Abruf einer Datei im Internet die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit erfolgt, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe in Form öffentlichen Zugänglichmachung, nicht anwesend sind (Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2001/99/EG; so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255). Die Rechtsprechung des EuGH konsequent anwendend kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der europarechtliche Begriff der öffentlichen Wiedergabe zwei Tatbestandsmerkmale beinhaltet, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit derselben. Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe insgesamt hat weitere Kriterien, die unselbstständig und miteinander verflochten sind und einzeln in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden sind. Für den Praktiker stellt sich die Frage, ob damit kumulatives Vorliegen gemeint ist.
Mit dem BGH jedenfalls erfasste der Begriff der Öffentlichkeit erstens die Wiedergabe an eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und zweitens viele Personen, die gleichzeitig und, wohl auch oder, nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (so auch BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20; Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 262). Dies ist im Streitfall gegeben.
Öffentlich ist die Wiedergabe, wenn ein technisches Verfahren verwendet wird, das sich vom bisherigen unterscheidet oder der Inhalt einem Publikum eröffnet wird, an das der Berechtigte zunächst nicht dachte (so auch BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20; Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 262). Mit dem BGH ist dies gegeben, wenn urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Zustimmung des Rechtsinhabers auf einer Webseite zur Verfügung gestellt werden. Wenn darüber hinaus keine öffentliche Wiedergabe im Internet stattfand, wird zudem im Sinne des Tatbestandsmerkmals ein anderes technisches Verfahren genutzt.
Im Unterschied zur Berufungsinstanz nimmt der BGH die Handlung einer Wiedergabe an. Er argumentiert auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung (s. dazu EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255), dass eine Handlung der Wiedergabe vorliegt, wenn der Plattformbetreiber in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens der Öffentlichkeit Zugang zu geschützten Inhalten verschafft. Dann ist diese Tätigkeit als „Handlung der Wiedergabe“ einzustufen, da er ein Geschäftsmodell wählt, bei dem die Nutzer dazu angeregt werden, geschützte Inhalte auf der Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen (so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255).
Aus dem Vorsatz sind direkt oder indirekt Schlussfolgerungen zu ziehen, ob der Betreiber bei der oder Wiedergabe sich der Inhalte bemächtigen will oder nicht (so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18). Mit dem EuGH genügt dabei die allgemeine Kenntnis von der Rechtsverletzung durch Verfügbarkeit geschützte Inhalte nicht. Vielmehr liegt Vorsatz vor, wenn der Betreiber keine technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachten Wirtschaftsteilnehmer in der speziellen Situation erwartet werden kann, nachdem er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass geschützte Inhalte über die Plattform rechtswidrig zugänglich gemacht werden (so ausdrücklich EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando). In diesem Fall liegt nicht eine Haftung als Störer vor, sondern eine als Täter! Der BGH gibt mithin seine bisherige Rechtsprechung (so etwa BGH, Urt. v. 15.8.2013 – I ZR 80/12 – Sharehosterdienst) ausdrücklich auf.
Für den BGH folgt aus dieser täterschaftlichen Haftung ebenfalls die Pflicht des nunmehrigen Täters, Vorsorge dafür zu treffen, weiteren Rechtsverletzungen zu verhindern. Die Vorsorgepflicht reduziert sich dabei nicht auf den konkret beanstandeten Inhalt, sondern auch „auf den künftigen Upload identischer Dateien“, soweit dies technisch und wirtschaftlich zumutbar ist.
Vor diesem Hintergrund hebt der BGH auch die Entscheidung des Berufungsgerichts auf, Abmahnkosten nach § 97 Abs. 3 UrhG nicht zuzuerkennen, da nach seiner Auffassung mit der täterschaftlichen Begehung nicht nur das Löschen verlangt werden kann, sondern auch die Verhinderung zukünftiger gleichartiger Rechtsverletzungen. Damit geht die vorformulierte Unterlassungserklärung nicht über die bestehende Unterlassungsverpflichtung hinaus.
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 2 Buchst. b; Richtlinie 2004/48/EG Art. 3 Abs. 2; UrhG §§ 19a, 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3, 97 Abs. 1, 97a Abs. 2 und 3
Das Problem
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob ein sog. Sharehoster urheberrechtlich geschützte Inhalte über seine Plattform öffentlich zugänglich macht, wenn er nicht unverzüglich rechtswidrig hochgeladene Inhalte löscht, auf deren Vorhandensein er vor der Abmahnung, durch sog. „notice and takedown“, auf der Plattform hingewiesen wurde. Haftet der Sharehoster als Störer, Gehilfe oder sogar als Täter, wenn sich nach der Aufforderung zur Entfernung weiterhin die entsprechenden Inhalte auf der Plattform zum Herunterladen befinden?Die Beklagte, eine Schweizer Aktiengesellschaft, betreibt den Sharehostingdienst „uploaded“. Ihre Plattform bietet Speicherplatz für den Upload von Dateien jedweden Inhalts an. Nach dem Hochladen wird automatisch ein elektronischer Verweis, d.h. ein Downloadlink, auf den Dateispeicherplatz erstellt. Eine Suchfunktion hält der Dienst nicht vor. Dateien können nur bei Kenntnis des konkreten Links heruntergeladen werden. Die Links werden durch von Dritten angebotene Internetseiten, sog. Linksammlungen, verbreitet. Dort finden die Nutzer auch Hinweise auf die gespeicherten Inhalte, z.B. zu Filmen, Computerspielen und Musik. Der Dienst der Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Mit Einschränkungen ist der Dienst kostenlos nutzbar. Er finanziert sich durch kostenpflichtige Premium Accounts und Werbeeinblendungen. Nutzer können bei Verwendung der Premiumaccounts schneller und mehr Inhalte gleichzeitig beziehen. Die Nutzer können Geld verdienen, indem sie Nutzer vom Premium Accounts anwerben oder Inhalte bereitstellen, die besonders häufig heruntergeladen werden. Die Seiten der Beklagten werden regelmäßig im Auftrag von Rechtsinhabern durch Recherchedienstleister nach rechtsverletzenden Inhalten durchsucht.
Im Streitfall stellte der für die Klägerin – eine Tonträgerherstellerin – tätige Recherchedienstleister am 23.6.2014 fest, dass unter einem konkreten Link in einer Linksammlung das Musikalbum „Offline“ von „Guano Apes“, an dem die Klägerin die ausschließlichen Nutzungsrechte hält, bei der Beklagten abrufbar war. Der Recherchedienstleister forderte die Beklagte noch am gleichen Tag zur Sperrung auf. Die Beklagte teilte mit, dass sie den Vorgang bearbeite. Zwei Tage später ermöglichte der Link jedoch immer noch den Abruf des Albums.
Nach erfolgloser Abmahnung klagte die Rechteinhaberin auf Unterlassung u.a. mit dem Antrag:
der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, es Dritten zu ermöglichen, das Musikalbum „Offline“ der Künstlergruppe „Guano Apes“ mit den darauf enthaltenen 10 Tonaufnahmen [es folgt eine Auflistung der Titel] i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich zu machen, wie unter der URL „...“ geschehen.
Zudem verlangte die Klägerin die Erstattung ihrer Abmahnkosten. Die Ansprüche wurden auf § 97 Abs. 1, 19 a, 85 Abs. 1 S. 1 UrhG sowie §§ 97a Abs. 2 und 3 UrhG gestützt.
Erstinstanzlich wurde dem vorbezeichneten Unterlassungsantrag entsprochen; im Übrigen hatte die Beklagte einen Unterlassungsanspruch anerkannt, so dass darüber ein Teil-Anerkenntnisurteil erging. Abmahnkostenersatz sprach das Landgericht nicht zu (LG Hamburg, Urt. v. 7.7.2016 – 310 O 208/15).
Die Berufungsinstanz wies den Unterlassungsantrag zurück, soweit dieser nicht anerkannt worden war und versagte ebenfalls die Abmahnkostenerstattung (OLG Hamburg, Urt. v. 28.6.2018 – 5 U 150/16). Das Berufungsgericht meinte, die Beklagte könne nur auf Grundlage der Störerhaftung in Anspruch genommen werden. Nach dem Hinweis auf den Rechtsverstoß sei die Beklagte allenfalls dazu verpflichtet, das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren und weitere gleichartige Rechtsverletzungen zu verhindern. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich nicht, dass die Beklagte eine Pflicht zur Vorsorge nicht erfüllt habe und es dadurch zu einer weiteren Rechtsverletzung gekommen sei. Daher könne die Beklagte nicht wegen der Verletzung dieser Vorsorgepflicht in Anspruch genommen werden. Zur Klarstellung: eine Verurteilung auf Unterlassung wegen täterschaftlichen öffentlichen Zugänglichmachens lehnte das Berufungsgericht ab.
Das Berufungsgericht wies ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ab, da im Text der vorformulierten Unterlassungserklärung allgemein verlangt worden sei, es zu unterlassen, das jeweilige Musikalbum i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich zu machen „wie unter der URL [...] geschehen“. Dies gehe über die vorgeworfene unterlassene Löschung der Links hinaus und habe der Konkretisierung im Sinne des anerkannten Unterlassungstenors des Landgerichtsurteils bedurft.
Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH hatte den Rechtsstreit zunächst ausgesetzt, um das Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens des EuGH in Sachen „YouTube und Cyando“ abzuwarten (vgl. EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18). Hiernach gelangte der BGH zu dem Ergebnis, die Beklagte hafte nach der im Verletzungszeitpunkt bestehenden Rechtslage täterschaftlich (!) auf Unterlassung der öffentlichen Wiedergabe durch den Sharehoster und nicht lediglich nach den Grundsätzen der Störerhaftung. Der BGH wies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück, das den Fall nunmehr noch nach den im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht (Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten v. 31.5.2021 (BGBl. I 1215) beurteilen muss.Der BGH stellte zunächst besonders praxisrelevant fest, dass der Klageantrag nicht nur die Haftung als Störer erfasse, da ein solcher Antrag, gemeint ist die Formulierung „eine Rechtsverletzung zu ...ermöglichen“, sich sowohl auf eine Täterhaftung als auch auf eine Störerhaftung beziehen könne. Schließlich habe die Klägerin ihre Ansprüche in der Begründung vorrangig auf täterschaftliche Haftung, hilfsweise Gehilfenhaftung sowie weiter höchst hilfsweise auf Störerhaftung gestützt. Die Antragsfassung könne insofern auf Grundlage der Begründung wegen der Akzessorietät auf die drei genannten Handlungsalternativen gestützt werden.
Ferner sei das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung ein besonderer Fall der öffentlichen Wiedergabe (s. § 15 Abs. 2, und 15 Abs. 3 UrhG). Dieses Recht sei nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, so dass die Bestimmungen des deutschen Urheberrechts entsprechend der Richtlinie auszulegen seien (s. dazu auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; dazu auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255).
Die öffentliche Wiedergabe durch öffentliche Zugänglichmachung falle in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2001/29/EG, da bei dem Abruf einer Datei im Internet die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit erfolgt, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe in Form öffentlichen Zugänglichmachung, nicht anwesend sind (Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2001/99/EG; so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255). Die Rechtsprechung des EuGH konsequent anwendend kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der europarechtliche Begriff der öffentlichen Wiedergabe zwei Tatbestandsmerkmale beinhaltet, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit derselben. Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe insgesamt hat weitere Kriterien, die unselbstständig und miteinander verflochten sind und einzeln in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden sind. Für den Praktiker stellt sich die Frage, ob damit kumulatives Vorliegen gemeint ist.
Mit dem BGH jedenfalls erfasste der Begriff der Öffentlichkeit erstens die Wiedergabe an eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und zweitens viele Personen, die gleichzeitig und, wohl auch oder, nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (so auch BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20; Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 262). Dies ist im Streitfall gegeben.
Öffentlich ist die Wiedergabe, wenn ein technisches Verfahren verwendet wird, das sich vom bisherigen unterscheidet oder der Inhalt einem Publikum eröffnet wird, an das der Berechtigte zunächst nicht dachte (so auch BGH, Urt. v. 27.5.2021 – I ZR 119/20; Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 262). Mit dem BGH ist dies gegeben, wenn urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Zustimmung des Rechtsinhabers auf einer Webseite zur Verfügung gestellt werden. Wenn darüber hinaus keine öffentliche Wiedergabe im Internet stattfand, wird zudem im Sinne des Tatbestandsmerkmals ein anderes technisches Verfahren genutzt.
Im Unterschied zur Berufungsinstanz nimmt der BGH die Handlung einer Wiedergabe an. Er argumentiert auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung (s. dazu EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255), dass eine Handlung der Wiedergabe vorliegt, wenn der Plattformbetreiber in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens der Öffentlichkeit Zugang zu geschützten Inhalten verschafft. Dann ist diese Tätigkeit als „Handlung der Wiedergabe“ einzustufen, da er ein Geschäftsmodell wählt, bei dem die Nutzer dazu angeregt werden, geschützte Inhalte auf der Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen (so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando; auch Bockslaff/Bünger, IPRB 2021, 255).
Aus dem Vorsatz sind direkt oder indirekt Schlussfolgerungen zu ziehen, ob der Betreiber bei der oder Wiedergabe sich der Inhalte bemächtigen will oder nicht (so auch EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18). Mit dem EuGH genügt dabei die allgemeine Kenntnis von der Rechtsverletzung durch Verfügbarkeit geschützte Inhalte nicht. Vielmehr liegt Vorsatz vor, wenn der Betreiber keine technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachten Wirtschaftsteilnehmer in der speziellen Situation erwartet werden kann, nachdem er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass geschützte Inhalte über die Plattform rechtswidrig zugänglich gemacht werden (so ausdrücklich EuGH, Urt. v. 22.6.2021 – C-682/18 – YouTube und Cyando). In diesem Fall liegt nicht eine Haftung als Störer vor, sondern eine als Täter! Der BGH gibt mithin seine bisherige Rechtsprechung (so etwa BGH, Urt. v. 15.8.2013 – I ZR 80/12 – Sharehosterdienst) ausdrücklich auf.
Für den BGH folgt aus dieser täterschaftlichen Haftung ebenfalls die Pflicht des nunmehrigen Täters, Vorsorge dafür zu treffen, weiteren Rechtsverletzungen zu verhindern. Die Vorsorgepflicht reduziert sich dabei nicht auf den konkret beanstandeten Inhalt, sondern auch „auf den künftigen Upload identischer Dateien“, soweit dies technisch und wirtschaftlich zumutbar ist.
Vor diesem Hintergrund hebt der BGH auch die Entscheidung des Berufungsgerichts auf, Abmahnkosten nach § 97 Abs. 3 UrhG nicht zuzuerkennen, da nach seiner Auffassung mit der täterschaftlichen Begehung nicht nur das Löschen verlangt werden kann, sondern auch die Verhinderung zukünftiger gleichartiger Rechtsverletzungen. Damit geht die vorformulierte Unterlassungserklärung nicht über die bestehende Unterlassungsverpflichtung hinaus.