BGH, Urt. 2.7.2019 - VI ZR 494/17
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Zu den Voraussetzungen rechtmäßigen staatlichen Informationshandelns
Autor: RA Christian-Oliver Moser, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Irle Moser Rechtsanwälte, Berlin;RAin Saskia Alexandra Siegmund, Irle Moser Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2019
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2019
Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Unterlassung staatlicher Äußerungen setzt einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte und das Bestehen einer Wiederholungsgefahr voraus.Hoheitliche Äußerungen sind nach den Grundsätzen rechtmäßigen staatlichen Informationshandelns gerechtfertigt, wenn sie sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage halten und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.
BGH, Urt. v. 2.7.2019 - VI ZR 494/17
Vorinstanz: LG Frankfurt a.M, Urt. v. 2.12.2016 - 2-3 O 81/15
Vorinstanz: OLG Frankfurt, Urt. v. 16.11.2017 - 16 U 2/17
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; StUG §§ 32 Abs. 3, 37 Abs. 1 Nr. 5
K meint, die Äußerungen seien ehrverletzend, da die Darstellung in der Studie eine Nähe seiner Person zum MfS suggeriere sowie Raum für Spekulationen über eine wissentliche und willentliche Zusammenarbeit eröffne.
Das LG Frankfurt hat die Klage abgewiesen; das OLG hat die B teilweise zur Unterlassung verurteilt. Hiergegen richtete sich die von B eingelegte Revision. K begehrte mit der Anschlussrevision Unterlassung aller Aussagen.
Anders als das OLG nahm der BGH keinen privatrechtlichen, sondern einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch an, denn die Aussagen in der Studie seien iRd amtlichen Funktion des BStU zur Erfüllung seines gesetzlichen Forschungs- und Unterrichtungsauftrags erfolgt. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige Rechte des Betroffenen voraus, sowie die konkret drohende Gefahr der Wiederholung. Rechtmäßiges staatliches Informationshandeln erfordere eine gesetzliche oder verfassungsunmittelbare Grundlage und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Amtliche Äußerungen hätten sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren. Aus dem Willkürverbot sei abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden, zumindest aber einem sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, den sachlich gebotenen Rahmen zudem nicht überschreiten dürfen.
Daran gemessen seien die Aussagen in der Studie des BStU nicht zu beanstanden. Der BGH ordnet die Äußerungen sorgfältig in den Gesamtkontext der Studie ein und entnimmt diesen zwar den Aussagegehalt, das MfS habe den Film mitfinanziert. Anders als das OLG vermag er den Äußerungen jedoch nicht als unabweisliche Schlussfolgerung die „verdeckte” Behauptung beizumessen, der K habe Kenntnis von einer möglichen Finanzierung durch das MfS gehabt. Bei der Annahme einer solchen verdeckten Behauptung sei im Ehrenschutzprozess besondere Zurückhaltung geboten, um die Spannungslage zwischen Ehrenschutz und Kritikfreiheit nicht einseitig zu Lasten letzterer zu verschieben. Dies gelte auch für Aussagen, denen möglicherweise eine besondere staatliche Autorität beigemessen wird und von denen grundsätzlich eine besondere Deutlichkeit oder Unmissverständlichkeit gefordert werden kann; denn die Annahme einer verdeckten Aussage setzt voraus, dass das „Zwischen-den-Zeilen-Gesagte” den Aussagen auch mit ausreichender Klarheit entnommen werden könne.
Der BGH bestätigt die Auffassung des OLG, es läge grundsätzlich ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, da die Aussage, das MfS habe den Film mitfinanziert, geeignet sei, den sozialen Geltungsanspruch und die berufliche Ehre des K als Filmregisseur zu beeinträchtigen. Dieser Eingriff sei jedoch nicht rechtswidrig, weil er nach den Grundsätzen rechtmäßigen staatlichen Informationshandelns gerechtfertigt sei. Die Äußerungen halten sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, nach welcher dem BStU die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung der Öffentlichkeit obliege. Dies setze der BStU um, indem er mit einer eigenen Forschungsgruppe selbst zur Geschichte der MfS forsche und seine Ergebnisse veröffentliche. Die Studie sei auch zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Zweckfremde, falsche Tatsachenbehauptungen lägen nicht vor, da die Aussagen Schlussfolgerungen einer wissenschaftlichen Studie darstellen, die als Werturteil zu qualifizieren seien. Der Studie liege eine vertretbare Würdigung der ausgewerteten Quellen zugrunde, so dass ihr die Wissenschaftlichkeit nicht abgesprochen werden könne. Zudem sei der K eine Person der Zeitgeschichte.
BGH, Urt. v. 2.7.2019 - VI ZR 494/17
Vorinstanz: LG Frankfurt a.M, Urt. v. 2.12.2016 - 2-3 O 81/15
Vorinstanz: OLG Frankfurt, Urt. v. 16.11.2017 - 16 U 2/17
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; StUG §§ 32 Abs. 3, 37 Abs. 1 Nr. 5
Das Problem
K nimmt die Bundesrepublik Deutschland (B) auf Unterlassung von Aussagen in einer durch den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) veröffentlichten Studie in Anspruch. K ist Filmregisseur und Filmproduzent. Zwischen 1986 und 1989 erstellte er einen Film über die vertretenen Theorien zum Ursprung des HIV-Erregers. Der Film gab auch die Meinung des damals in der DDR lebenden sowjetischen Forschers J. S. wieder, wonach der Virus in einem Forschungslabor der US-Armee künstlich geschaffen worden sei. Der BStU veröffentlichte im Jahr 2014 eine zeitgeschichtliche Studie, die u.a. die Aussage enthält, der Film des K sei durch das Ministerium der Staatssicherheit (MfS) mitfinanziert worden, um die Desinformationskampagne des MfS zu fördern.K meint, die Äußerungen seien ehrverletzend, da die Darstellung in der Studie eine Nähe seiner Person zum MfS suggeriere sowie Raum für Spekulationen über eine wissentliche und willentliche Zusammenarbeit eröffne.
Das LG Frankfurt hat die Klage abgewiesen; das OLG hat die B teilweise zur Unterlassung verurteilt. Hiergegen richtete sich die von B eingelegte Revision. K begehrte mit der Anschlussrevision Unterlassung aller Aussagen.
Die Entscheidung des Gerichts
Die Revision führt zur Abänderung der angegriffenen Entscheidung, soweit diese zum Nachteil der B ergangen ist. Der BGH hält die Klage in vollem Umfang für unbegründet.Anders als das OLG nahm der BGH keinen privatrechtlichen, sondern einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch an, denn die Aussagen in der Studie seien iRd amtlichen Funktion des BStU zur Erfüllung seines gesetzlichen Forschungs- und Unterrichtungsauftrags erfolgt. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige Rechte des Betroffenen voraus, sowie die konkret drohende Gefahr der Wiederholung. Rechtmäßiges staatliches Informationshandeln erfordere eine gesetzliche oder verfassungsunmittelbare Grundlage und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Amtliche Äußerungen hätten sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren. Aus dem Willkürverbot sei abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden, zumindest aber einem sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, den sachlich gebotenen Rahmen zudem nicht überschreiten dürfen.
Daran gemessen seien die Aussagen in der Studie des BStU nicht zu beanstanden. Der BGH ordnet die Äußerungen sorgfältig in den Gesamtkontext der Studie ein und entnimmt diesen zwar den Aussagegehalt, das MfS habe den Film mitfinanziert. Anders als das OLG vermag er den Äußerungen jedoch nicht als unabweisliche Schlussfolgerung die „verdeckte” Behauptung beizumessen, der K habe Kenntnis von einer möglichen Finanzierung durch das MfS gehabt. Bei der Annahme einer solchen verdeckten Behauptung sei im Ehrenschutzprozess besondere Zurückhaltung geboten, um die Spannungslage zwischen Ehrenschutz und Kritikfreiheit nicht einseitig zu Lasten letzterer zu verschieben. Dies gelte auch für Aussagen, denen möglicherweise eine besondere staatliche Autorität beigemessen wird und von denen grundsätzlich eine besondere Deutlichkeit oder Unmissverständlichkeit gefordert werden kann; denn die Annahme einer verdeckten Aussage setzt voraus, dass das „Zwischen-den-Zeilen-Gesagte” den Aussagen auch mit ausreichender Klarheit entnommen werden könne.
Der BGH bestätigt die Auffassung des OLG, es läge grundsätzlich ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, da die Aussage, das MfS habe den Film mitfinanziert, geeignet sei, den sozialen Geltungsanspruch und die berufliche Ehre des K als Filmregisseur zu beeinträchtigen. Dieser Eingriff sei jedoch nicht rechtswidrig, weil er nach den Grundsätzen rechtmäßigen staatlichen Informationshandelns gerechtfertigt sei. Die Äußerungen halten sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, nach welcher dem BStU die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung der Öffentlichkeit obliege. Dies setze der BStU um, indem er mit einer eigenen Forschungsgruppe selbst zur Geschichte der MfS forsche und seine Ergebnisse veröffentliche. Die Studie sei auch zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Zweckfremde, falsche Tatsachenbehauptungen lägen nicht vor, da die Aussagen Schlussfolgerungen einer wissenschaftlichen Studie darstellen, die als Werturteil zu qualifizieren seien. Der Studie liege eine vertretbare Würdigung der ausgewerteten Quellen zugrunde, so dass ihr die Wissenschaftlichkeit nicht abgesprochen werden könne. Zudem sei der K eine Person der Zeitgeschichte.