BGH, Urt. 30.3.2017 - I ZR 19/16
Sekundäre Darlegungslast bei Filesharing des volljährigen Kinds
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2017
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2017
Im Fall einer Urheberrechtsverletzung, die über den von Eltern unterhaltenen Internetanschluss durch Teilnahme an einer Internettauschbörse begangen wurde, umfasst die sekundäre Darlegungslast der Anschlussinhaber bei Inanspruchnahme durch den Urheber die Angabe des Namens ihres volljährigen Kindes, das ihnen gegenüber die Begehung der Rechtsverletzung zugegeben hat.
BGH, Urt. v. 30.3.2017 - I ZR 19/16 „Loud”
Vorinstanz: OLG München, Urt. v. 14.1.2016 - 29 U 2593/15
Vorinstanz: LG München I, Urt. v. 1.7.2015 - 37 O 5394/14
GG Art. 6 Abs. 1, 14 Abs. 1; GRC Art. 7, 17 Abs. 2, 47; UrhG §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 2 Satz 1
Tatsächliche Vermutung: Die Tonträgerherstellerin treffe die Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Täterschaft der Anschlussinhaber (vgl. etwa BGH v. 15.11.2012 – I ZR 74/12– Morpheus, Rz. 32, ITRB 2013, 100 = CR 2013, 324). Kein Anscheinsbeweis, aber eine tatsächliche Vermutung spreche für die Täterschaft, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen den Internetanschluss hätten benutzen können (vgl. etwa BGH v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 15, ITRB 2014, 176 = CR 2014, 472). Eine diese Vermutung ausschließende Drittnutzungsmöglichkeit sei anzunehmen, wenn der Anschluss nicht hinreichend gesichert gewesen oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen worden sei.
Sekundäre Darlegungslast: Diesbezüglich treffe den Anschlussinhaber die sekundäre Darlegungslast, da der Geschehensablauf allein in seiner Sphäre liege (vgl. BGH v. 6.10.2016 – I ZR 154/15 – Afterlife, Rz. 18, 20, ITRB 2017, 100 = CR 2017, 590). Er habe nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit gehabt hätten, die fragliche Verletzungshandlung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen. In diesem Umfang sei er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen verpflichtet.
Schutz von Ehe und Familie: Im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 GRC und Art. 6 Abs. 1 GG) bestehe keine Verpflichtung des Anschlussinhabers, die Internetnutzung seines Ehegatten zu dokumentieren oder dessen Computer im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software zu untersuchen (vgl. BGH v. 6.10.2016 – I ZR 154/15– Afterlife, Rz. 26, ITRB 2017, 100 = CR 2017, 590).
Kein Auskunftszwang: Den Eltern stehe als Prozessparteien zwar kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 384 Nr. 1 und 2 ZPO zu. Sie unterlägen der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die allenfalls insofern Einschränkungen erfahre, als die Partei sich selbst oder einen Angehörigen einer Straftat oder Unehrenhaftigkeit bezichtigen müsste. Die Eltern hätten insofern die Wahl, auf eine Auskunft und insoweit auf eine Rechtsverteidigung durch die Geständniswirkung gem. § 138 Abs. 3 ZPO wie jede prozessual ungenügend vortragende Partei zu verzichten (vgl. BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, Rz. 19, MDR 1981, 818). Dadurch könne eine erhebliche Beeinträchtigung des Familienfriedens mit Blick auf eine mögliche zivilrechtliche oder strafrechtliche Inanspruchnahme des geständigen Kinds vermieden werden.
Prozessuale Nachteile: Die Hinnahme der prozessualen Nachteile sei vor dem Hintergrund des Informationsinteresses des Rechteinhabers aus Art. 17 Abs. 2 GRC und Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 47 GRC, Art. 8 Abs. 1 RL 2001/29/EG und Art. 3 Abs. 2 RL 2004/48/EG gerechtfertigt, weil ihm bei Auskunftsverweigerung eine effektive Verfolgung des Rechtsverstoßes regelmäßig praktisch unmöglich sei (vgl. EuGH v. 27.3.2014 – Rs. C-314/12 – UPC Telekabel, Rz. 47, CR 2014, 469).
BGH, Urt. v. 30.3.2017 - I ZR 19/16 „Loud”
Vorinstanz: OLG München, Urt. v. 14.1.2016 - 29 U 2593/15
Vorinstanz: LG München I, Urt. v. 1.7.2015 - 37 O 5394/14
GG Art. 6 Abs. 1, 14 Abs. 1; GRC Art. 7, 17 Abs. 2, 47; UrhG §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 2 Satz 1
Das Problem
Ein Musikalbum wurde über einen Internetanschluss mittels einer Filesharingsoftware ohne Zustimmung der Tonträgerherstellerin zum Herunterladen angeboten. Nach Abmahnung durch sie haben die verheirateten Anschlussinhaber eine Unterlassungserklärung abgegeben, aber geltend gemacht, dass ihre zum Tatzeitpunkt bei ihnen wohnenden drei volljährigen Kinder jeweils eigene Rechner besessen und über einen mit einem individuellen Passwort versehenen WLAN-Router Zugang zum Anschluss gehabt haben. Sie wollten nicht mitteilen, welches Kind die Tat gestanden hatte.Die Entscheidung des Gerichts
Die Anschlussinhaber seien nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG zum Schadensersatz i.H.v. 2.500 € und nach § 97 Abs. 1 UrhG a.F. zur Erstattung von Abmahnkosten i.H.v. 1.044,40 € verpflichtet. Das Anbieten von Tonaufnahmen mittels eines Filesharingprogramms verletze das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung (vgl. etwa BGH v. 11.6.2015 – I ZR 19/14 – Tauschbörse I, Rz. 14, ITRB 2016, 52 = CR 2016, 401).Tatsächliche Vermutung: Die Tonträgerherstellerin treffe die Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Täterschaft der Anschlussinhaber (vgl. etwa BGH v. 15.11.2012 – I ZR 74/12– Morpheus, Rz. 32, ITRB 2013, 100 = CR 2013, 324). Kein Anscheinsbeweis, aber eine tatsächliche Vermutung spreche für die Täterschaft, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen den Internetanschluss hätten benutzen können (vgl. etwa BGH v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Rz. 15, ITRB 2014, 176 = CR 2014, 472). Eine diese Vermutung ausschließende Drittnutzungsmöglichkeit sei anzunehmen, wenn der Anschluss nicht hinreichend gesichert gewesen oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen worden sei.
Sekundäre Darlegungslast: Diesbezüglich treffe den Anschlussinhaber die sekundäre Darlegungslast, da der Geschehensablauf allein in seiner Sphäre liege (vgl. BGH v. 6.10.2016 – I ZR 154/15 – Afterlife, Rz. 18, 20, ITRB 2017, 100 = CR 2017, 590). Er habe nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit gehabt hätten, die fragliche Verletzungshandlung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen. In diesem Umfang sei er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen verpflichtet.
Schutz von Ehe und Familie: Im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 GRC und Art. 6 Abs. 1 GG) bestehe keine Verpflichtung des Anschlussinhabers, die Internetnutzung seines Ehegatten zu dokumentieren oder dessen Computer im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software zu untersuchen (vgl. BGH v. 6.10.2016 – I ZR 154/15– Afterlife, Rz. 26, ITRB 2017, 100 = CR 2017, 590).
Kein Auskunftszwang: Den Eltern stehe als Prozessparteien zwar kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 384 Nr. 1 und 2 ZPO zu. Sie unterlägen der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die allenfalls insofern Einschränkungen erfahre, als die Partei sich selbst oder einen Angehörigen einer Straftat oder Unehrenhaftigkeit bezichtigen müsste. Die Eltern hätten insofern die Wahl, auf eine Auskunft und insoweit auf eine Rechtsverteidigung durch die Geständniswirkung gem. § 138 Abs. 3 ZPO wie jede prozessual ungenügend vortragende Partei zu verzichten (vgl. BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, Rz. 19, MDR 1981, 818). Dadurch könne eine erhebliche Beeinträchtigung des Familienfriedens mit Blick auf eine mögliche zivilrechtliche oder strafrechtliche Inanspruchnahme des geständigen Kinds vermieden werden.
Prozessuale Nachteile: Die Hinnahme der prozessualen Nachteile sei vor dem Hintergrund des Informationsinteresses des Rechteinhabers aus Art. 17 Abs. 2 GRC und Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 47 GRC, Art. 8 Abs. 1 RL 2001/29/EG und Art. 3 Abs. 2 RL 2004/48/EG gerechtfertigt, weil ihm bei Auskunftsverweigerung eine effektive Verfolgung des Rechtsverstoßes regelmäßig praktisch unmöglich sei (vgl. EuGH v. 27.3.2014 – Rs. C-314/12 – UPC Telekabel, Rz. 47, CR 2014, 469).