BGH, Urt. 5.6.2024 - VIII ZR 150/23

Rückerstattung überzahlter Miete beim Bezug von Bürgergeld durch den Mieter

Autor: Dr. Olaf Riecke, Hamburg
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 09/2024
Bezieht ein Wohnraummieter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II, geht ein auf Rückerstattung überzahlter Miete gerichteter Bereicherungsanspruch gegen den Vermieter unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II auf den Sozialleistungsträger über.

BGB § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1; SGB II § 33 Abs. 1 Satz 1

Das Problem

Ein Bürgergeldbezieher klagt auf Rückzahlung von Miete; er war vom 1.9.2018 bis Ende Juni 2020 – gemeinsam mit einem mit ihm nicht in Bedarfsgemeinschaft lebenden Mitmieter – Mieter einer rund 49 qm großen Wohnung (Nettokaltmiete monatlich 850 €). Die Miete soll sittenwidrig überhöht gewesen sein; zudem sei sie wegen eines Wasserschadens in vollem Umfang gemindert gewesen. Für September 2018 hatte der Mieter einen Teil der Miete noch selbst entrichtet. Das Jobcenter wurde wiederholt vergeblich um die Rückübertragung übergegangener Ansprüche auf den Kläger gebeten. Steht dem Mieter ein eigener (ggf. anteiliger) Rückzahlungsanspruch zu oder kann er zumindest im Wege der Prozessstandschaft auf Zahlung klagen?

Die Entscheidung des Gerichts

Der auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gestützte Anspruch auf Rückerstattung überzahlter Miete gegen die Vermieterin ist gem. § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II auf das zuständige Jobcenter übergegangen, weil bei rechtzeitiger Leistung der Vermieterin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erbracht worden wären. Der gesetzliche Forderungsübergang dient der Sicherstellung des Nachrangs der nach dem SGB II erbrachten Sozialleistungen (vgl. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 3, 5 Abs. 1 SGB II; s. BSG v. 23.6.2016 – B 14 AS 4/15 R, NJW 2017, 590 Rz. 26 f.; BSG v. 19.3.2020 – B 4 AS 38/20 B, juris Rz. 8; jeweils m.w.N.). Ein Anspruch „gegen einen Anderen, der nicht Leistungsträger ist“ gem. § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II umfasst auch Bereicherungsansprüche gegen den Vermieter wegen überzahlter Miete. Entsprechendes wurde bereits für den Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter nach §§ 536a Abs. 1, 536 Abs. 3 BGB wegen eines Mangels der Mietsache entschieden (BGH v. 21.6.2023 – VIII ZR 303/21, MietRB 2023, 250 [Abramenko] = MDR 2023, 1105 = NZM 2023, 803 Rz. 38). Für Bereicherungsansprüche gegen den Vermieter wegen überzahlter Miete gilt nichts anderes (LG Hamburg v. 31.5.2016 – 316 S 81/15, WuM 2016, 434, 435; LG Hamburg v. 31.3.2022 – 333 S 17/21 Rz. 14; AG Nürnberg v. 22.3.2017 – 16 C 127/16, WuM 2017, 398, 399). Diese Bereicherungsansprüche sind für die Zeit entstanden, in der das Jobcenter Leistungen erbracht hat. Die Ansprüche entstanden Monat für Monat im Umfang der rechtsgrundlosen Überzahlung der Miete und wurden mit ihrem Entstehen fällig (§ 271 BGB; vgl. nur BSGE 92, 223 Rz. 33 Rz. 39). In dem hier maßgeblichen Zeitraum bezog der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies gilt auch für den Monat September 2018, in welchem der Kläger einen Teil der Miete noch selbst entrichtete. Schon bevor er die Wohnung gemietet hatte, lebte er in einer Flüchtlingsunterkunft und war auf staatliche Unterstützung in Gestalt von Leistungen zur Sicherung von Lebensunterhalt nach dem SGB II angewiesen. Nach der Bestimmung des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II findet ein Anspruchsübergang auf den Leistungsträger des Weiteren nur dann statt, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erbracht worden wären (vgl. BT-Drucks. 15/1516, 62). Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts wären hier im Umfang überzahlter Miete vom Jobcenter im jeweiligen Folgemonat nicht erbracht worden, wenn vermieterseits die überzahlte Miete rechtzeitig zurückerstattet worden wäre. Dem gesetzlichen Anspruchsübergang auf das Jobcenter nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II steht nicht entgegen, dass es im gegebenen Fall an einer schriftlichen Mitteilung des Leistungsträgers an die Beklagte/Vermieterin über die Erbringung von Leistungen an den Kläger/Mieter i.S.v. § 33 Abs. 3 S. 1 SGB II (Rechtswahrungsanzeige; vgl. BGH v. 23.2.2011 – XII ZR 59/09, MDR 2011, 1112 = NJW-RR 2011, 1441 Rz. 25 [zur Inanspruchnahme eines Unterhaltspflichtigen für die Vergangenheit]) fehlt. Die Anwendung des § 33 Abs. 1 SGB II hängt ersichtlich nicht davon ab, ob der Leistungsträger den Anderen im Einzelfall in Anspruch nimmt oder nicht. Dies betrifft ausschließlich den Verwaltungsvollzug, berührt jedoch nicht die Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchsübergangs. Der Mieter kann die geltend gemachten Ansprüche auch nicht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft verfolgen. Der Leistungsträger hat eine dahingehende Ermächtigung im Streitfall nicht erteilt.


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