BGH, Urt. 7.3.2024 - I ZR 83/23

Keine rechtsmissbräuchliche Abmahnung auf Amazon-Marktplatz – Vielfachabmahner II

Autor: RA, FAArbR, zert. Datenschutzbeauftragter (TÜV) Michael Wübbeke, LL.M. (Amsterdam), nordKollegen Rechtsanwälte & Notar, www.nordkollegen.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 09/2024
Der Geltendmachung einer Vertragsstrafe wegen Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht aus einem aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertag kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenstehen. Von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt. Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann dies regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen nicht gerichtlich weiterverfolgt hat.

BGB § 242; UWG § 8c Abs. 1 u. 2

Das Problem

Mit Schreiben v. 17.7.2020 mahnte ein als Verein eingetragener Interessenverband von Online-Unternehmen einen Anbieter bei Amazon wegen behaupteter Wettbewerbsverstöße im Zusammenhang mit der Präsentation von Waren ab. Unter dem 23.7.2020 gab der Verkäufer eine strafbewerte Unterlassungserklärung ab, die inhaltlich der der Abmahnung beigefügten vorformulierten Erklärung entsprach und die der Verein annahm. Mit Schreiben v. 24.3.2021 forderte der Verein den Verkäufer wegen eines Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 5.000 € auf. Mit Schreiben v. 26.5.2021 erklärte der Verkäufer die Anfechtung sowie hilfsweise die Kündigung der strafbewehrten Unterlassungserklärung vom 23.7.2020. Der Verein erhob daraufhin Zahlungsklage, die von den Vorinstanzen zurückgewiesen wurde.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision habe Erfolg. Das Berufungsurteil werde aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Zahlungsklage stehe nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB entgegen.

Rechtsmissbrauch: Grundsätzlich könne der Geltendmachung einer Vertragsstrafe wegen Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht aus einem aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertrag zwar der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen. Ob aber tatsächlich ein Rechtsmissbrauch vorliege, beurteile sich aufgrund des auf Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG beschränkten Anwendungsbereichs des § 8c Abs. 1 UWG nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Nach § 8c Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG sei die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände rechtsmissbräuchlich sei, wobei eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen sei, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu diene, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung sei von einem Rechtsmissbrauch in diesem Sinne auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden Gesichtspunkten leiten lasse. Erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass die sachfremden Ziele überwögen. Es sei zumindest ein Indiz für ein solches rechtsmissbräuchliches Vorgehen, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen würden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt werde. Dadurch könne sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafeansprüche entstehen zu lassen.

Vereinszweck: Allerdings sei nicht jedes Bestreben, durch ein Vorgehen gegen Wettbewerbsverstöße auch Einnahmen in Form von Abmahnkostenerstattungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, als Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen anzusehen. Auch könnten in gewissen, den Verbandszweck nicht außer Acht lassenden Grenzen andere Überlegungen sachgerecht sein. Entscheidend sei, ob solche Überlegungen und Verhaltensweisen als dem Vereinszweck der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienlich und diesem untergeordnet angesehen werden könnten oder ob sie so bestimmend in den Vordergrund träten, dass der angebliche Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen werden müsse.

Beweislast: Grundsätzlich sei es Sache des Verkäufers, Tatsachen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen und dafür Beweis anzubieten. Dies gelte auch für das Vorgehen eines Vereins, für den die Vermutung spreche, dass er seinen satzungsmäßigen Zwecken nachgehe. Sei diese Vermutung allerdings durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttert, so müsse der Verein substantiiert die Gründe darlegen, die gegen einen Missbrauch sprächen Dabei obliege es ihm insb., zur Klärung der in seiner Sphäre liegenden und dem Anspruchsgegner nicht bekannten Umstände vorzutragen.

Fehlerhafte Abwägung: Die Annahme des Berufungsgerichts, die mit 3.520 Abmahnungen große Zahl an ausgesprochenen Abmahnungen im Jahr 2020, woraufhin lediglich 1.325 Unterlassungserklärungen abgegeben und weitere 528 Fälle gerichtlich verfolgt worden seien, ließe keinen anderen Schluss zu, als dass der Verein seine Abmahntätigkeit in erster Linie dazu einsetze, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafeansprüche entstehen zu lassen, basiere auf einer unvollständigen und damit rechtsfehlerhaften Abwägung. Richtig sei es davon ausgegangen, dass die Vielzahl von Abmahnungen für sich genommen nicht auf ein im Vordergrund stehendes Gebührenerzielungsinteresse hindeute. Ohne Hinzutreten weiterer Indizien könne ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten aber regelmäßig auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolge.

Gründe gegen einen Rechtsmissbrauch: Die Auswahl und das Betreiben geeigneter „Musterverfahren“ sowie das Abwarten von deren Ausgang könne sachgerecht sein. Für die Frage, ob in dem Ausspruch einer erheblichen Anzahl weiterer Abmahnungen in vergleichbaren Fällen ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch gesehen werden könne, komme es entscheidend darauf an, ob auch diese Fälle nach einer zugunsten des Abmahnenden ausgegangenen Klärung der Rechtslage bei Ausbleiben einer Unterwerfung gerichtlich weiterverfolgt würden oder nicht.

Gegen die Rechtsmissbräuchlichkeit spreche es z.B., wenn die gerichtliche Weiterverfolgung gegenüber im Ausland ansässigen Schuldnern tatsächlich erschwert oder gar faktisch kaum möglich, aber durchaus denkbar sei, dass die Schuldner das beanstandete Verhalten allein aufgrund der Abmahnungen einstellten. Gelegentlich werde ggf. auch aus sozialen Gründen auf die Weiterverfolgung von Ansprüchen verzichtet. Auch könne es sachgerecht erscheinen, dass in Fällen, in denen eine weitere Rechtsverfolgung aussichtslos erscheine, wie etwa bei Unzustellbarkeit von Schriftstücken oder Insolvenz, nach dem Ausspruch einer Abmahnung zur Vermeidung zusätzlicher Kosten davon abzusehen, weitere rechtliche Schritte zu unternehmen. Es komme maßgeblich darauf an, ob solche Überlegungen und Verhaltensweisen als dem Vereinszweck der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienlich und diesem untergeordnet angesehen werden können oder ob die Vermeidung von Kostenrisiken so bestimmend in den Vordergrund trete, dass der angebliche Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung angesehen werden muss.

Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch: Es könne demgegenüber entsprechend der in § 8c Abs. 1 Nr. 5 UWG zum Ausdruck kommenden Wertung ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten darin gesehen werden, dass die vom Gläubiger vorgefertigte Unterlassungsverpflichtungserklärung so weit gefasst sei, dass darunter auch andere als die abgemahnten Verstöße fielen. Dies setze allerdings voraus, dass dem Abmahnenden nicht lediglich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sei oder die Forderung sich aus seiner ex ante Sicht noch im üblichen Rahmen halte. Ein weiterer Anhaltspunkt für ein missbräuchliches Abmahnverhalten könne darin zu sehen sein, dass der Verein Nichtmitglieder systematisch anders behandele als Mitglieder.


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