BGH, Urt. 9.8.2022 - VI ZR 1244/20
Prüfpflichten eines Hotelbewertungsportals
Autor: RA Ralph Müller-Bidinger,BIDINGER Rechtsanwaltskanzlei, Frankfurt/M.
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2022
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2022
Bei einem Bewertungsportal reicht die Rüge des Bewerteten, der Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen. Der Bewertete muss seine Behauptung, es fehle an einem Gästekontakt, nur dann näher begründen, wenn für ihn die Identität des Bewertenden ohne weiteres aus der Bewertung erkennbar ist.
BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3
Die Klägerin forderte von der Beklagten Unterlassung verschiedener – unvorteilhafter – Bewertungen von Nutzern, die ihre Bewertungen lediglich unter einem (ihrem?) Vornamen veröffentlicht hatten. Während das Landgericht Köln die Klage abgewiesen hatte (LG Köln, Urt. v. 11.12.2019 – 28 O 242/19), gab das Oberlandesgericht Köln der Klage – mit Ausnahme der Bewertung von „Elisabeth“ – statt (OLG Köln, Urt. v. 27.8.2020 – 15 U 309/19). Mit ihrer Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Die Klägerin hatte im Verfahren schlicht behauptet, die betreffenden Bewerter seien nicht ihre Gäste gewesen, hätten also ihre Leistungen gar nicht in Anspruch genommen, obwohl in den Bewertungen zum Teil weitere Angaben zu der Person des Nutzers, seinen Begleitern sowie den (angeblich) in Anspruch genommenen Leistungen gemacht und teilweise auch Fotos hochgeladen worden waren. Ob sie sich auf das schlichte bestreiten des Gästekontakts beschränken durfte oder eine nähere Begründung hierfür liefern musste, bevor das Bewertungsportal seinerseits zur Nachprüfung – die im konkreten Fall nicht stattfand – verpflichtet ist, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden.
Da die Beklagte in der Schweiz ansässig ist, die Klägerin dagegen in Deutschland, war zunächst die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu klären. Sie folgt aus Art. 5 Nr. 3 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 LugÜ (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30.10.2007, ABl. 2009 Nr. L 147, S. 5), weil auch drohende Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter den Begriff der „unerlaubten Handlung“ fallen und sich die angegriffenen negativen Bewertungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin an ihrem Sitz in Deutschland auswirken.
Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch der Klägerin ist § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG (Unternehmerpersönlichkeitsrecht). Diese Regelung des deutschen Rechts war jedenfalls deshalb anwendbar, weil die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem VI. Zivilsenat des BGH eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts getroffen hatten. Diese führte sowohl nach Art. 42 Satz 1 EGBGB also auch gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-Verordnung zur Anwendung deutschen Rechts, so dass offen bleiben konnte, welche der beiden Rechtsnormen konkret heranzuziehen ist. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO legte der BGH einschränkend aus, so dass ausnahmsweise neues Tatsachenvorbringen (die Rechtswahl) berücksichtigt werden konnte, weil dies – aufgrund der Tatsache, dass die Parteien den gesamten Rechtsstreit auf Basis des deutschen Rechts geführt hatten – keine nennenswerte Mehrarbeit verursachte und die Belange des Prozessgegners gewahrt blieben.
Der Beklagten, die die Stellung eines Hostproviders zukommt, kam die Haftungsbeschränkung des § 10 Satz 1 TMG nicht zugute, weil diese nach ständiger Rechtsprechung (s. z.B. BGH, Urt. v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, GRUR 2016, 855 Rz. 19 = MDR 2016, 518 – jameda.de II und Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, GRUR 2012, 311 Rz. 19 = MDR 2012, 92 – Blog-Eintrag) nicht für Unterlassungsansprüche gilt, die ihre Grundlage – wie hier – in einer vorangegangenen Rechtsverletzung haben.
Da die Beklagte keine inhaltlich-redaktionelle Überprüfung der eingestellten Bewertungen vornimmt und sich die beanstandeten Bewertungen auch nicht zu eigen gemacht hatte, konnte sie nicht als unmittelbare Störerin/Täterin, sondern lediglich als mittelbare Störerin in Anspruch genommen werden. Die Auslobung der Flugmeilen als Prämie für bis zu zehn Bewertungen monatlich genüge nicht für eine unmittelbare Störerhaftung, so der Senat. Die mittelbare Störerhaftung bewirkt, dass die Nutzerbeiträge nicht vor ihrer Veröffentlichung, sondern erst auf entsprechend konkrete Beanstandung hin auf Rechtsverletzungen zu überprüfen und – im Falle einer solchen Verletzung – künftig zu vermeiden sind.
Welche konkreten Überprüfungsmaßnahmen der Hostprovider bei einer konkreten Beanstandung treffen muss, bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalles. Für Bewertungsportale sei hierbei zu berücksichtigen, dass diese eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllten, aber auch von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit sich bringen, d.h. auch für nicht unerhebliche persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen missbraucht werden können. Die Missbrauchsgefahr werde durch die – rechtlich zulässige (vgl. § 19 Abs. 2 TTDSG) – Möglichkeit, Bewertungen anonym oder unter einem Pseudonym abgeben zu können, noch verstärkt, und hierdurch werde es dem Betroffenen zudem erheblich erschwert, unmittelbar gegen den betreffenden Nutzer vorzugehen. Daher müsse der Hostprovider eines Bewertungsportals im Fall eines konkreten Hinweises auf einen Rechtsverstoß diese Beanstandung an den für den Inhalt Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterleiten. Bleibe eine Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist aus, sei von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der Eintrag zu löschen.
Im konkreten Fall hatte die beklagte Bewertungsportalbetreiberin jede Nachfrage bei ihren Nutzern verweigert, obwohl die konkret dargelegte Beanstandung eine entsprechende Prüfungspflicht ausgelöst hatte. Für das Entstehen der Prüfungspflicht ließ der BGH die Rüge, den jeweiligen Bewertungen liege kein Gästekontakt zugrunde, genügen. Zu weiteren Darlegungen, insbesondere einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts, sei der Bewertete gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet. Das gelte nicht nur, wenn die Bewertung ohne tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibenden Angaben ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen. Denn, so der Senat, könne der Bewertete diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen. Abgesehen von der Grenze des Rechtsmissbrauchs bedürfe es einer näheren Begründung nur dann, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne weiteres aus der Bewertung ergebe. Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts war trotz der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen weiteren Angaben zu der Person des Nutzers, seinen Begleitern, den (angeblich) in Anspruch genommenen Leistungen und teilweise beigefügter Fotos, die Klägerin nicht verpflichtet, ihre Angabe des fehlenden Gästekontakts näher zu begründen. Darauf, ob die Klägerin aufgrund der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen Ausführungen zu weiteren Angaben überhaupt in der Lage war, um den Kreis der in Betracht kommenden Gäste einzugrenzen, komme es nicht an. Da die Beklagte ihrer bestehenden Prüfpflicht nicht nachgekommen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass den angegriffenen Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liege.
BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3
Das Problem
Die Klägerin betreibt einen Ferienpark in Deutschland. Die Beklagte, die ihren Sitz in der Schweiz hat, betreibt ein Reiseportal im Internet. Dort lassen sich u.a. Hotels buchen und, nach Registrierung mit einer E‑Mail-Adresse, auch bewerten. Die Nutzungsbedingungen erlauben dies allerdings nur, wenn die Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Für bis zu zehn veröffentlichte deutschsprachige Hotelbewertungen pro Monat erhalten die Nutzer zudem Flugmeilen als Prämie.Die Klägerin forderte von der Beklagten Unterlassung verschiedener – unvorteilhafter – Bewertungen von Nutzern, die ihre Bewertungen lediglich unter einem (ihrem?) Vornamen veröffentlicht hatten. Während das Landgericht Köln die Klage abgewiesen hatte (LG Köln, Urt. v. 11.12.2019 – 28 O 242/19), gab das Oberlandesgericht Köln der Klage – mit Ausnahme der Bewertung von „Elisabeth“ – statt (OLG Köln, Urt. v. 27.8.2020 – 15 U 309/19). Mit ihrer Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Die Klägerin hatte im Verfahren schlicht behauptet, die betreffenden Bewerter seien nicht ihre Gäste gewesen, hätten also ihre Leistungen gar nicht in Anspruch genommen, obwohl in den Bewertungen zum Teil weitere Angaben zu der Person des Nutzers, seinen Begleitern sowie den (angeblich) in Anspruch genommenen Leistungen gemacht und teilweise auch Fotos hochgeladen worden waren. Ob sie sich auf das schlichte bestreiten des Gästekontakts beschränken durfte oder eine nähere Begründung hierfür liefern musste, bevor das Bewertungsportal seinerseits zur Nachprüfung – die im konkreten Fall nicht stattfand – verpflichtet ist, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden.
Die Entscheidung des Gerichts
Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG Köln und wies die Revision der Beklagten zurück.Da die Beklagte in der Schweiz ansässig ist, die Klägerin dagegen in Deutschland, war zunächst die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu klären. Sie folgt aus Art. 5 Nr. 3 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 LugÜ (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30.10.2007, ABl. 2009 Nr. L 147, S. 5), weil auch drohende Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter den Begriff der „unerlaubten Handlung“ fallen und sich die angegriffenen negativen Bewertungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin an ihrem Sitz in Deutschland auswirken.
Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch der Klägerin ist § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG (Unternehmerpersönlichkeitsrecht). Diese Regelung des deutschen Rechts war jedenfalls deshalb anwendbar, weil die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem VI. Zivilsenat des BGH eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts getroffen hatten. Diese führte sowohl nach Art. 42 Satz 1 EGBGB also auch gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-Verordnung zur Anwendung deutschen Rechts, so dass offen bleiben konnte, welche der beiden Rechtsnormen konkret heranzuziehen ist. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO legte der BGH einschränkend aus, so dass ausnahmsweise neues Tatsachenvorbringen (die Rechtswahl) berücksichtigt werden konnte, weil dies – aufgrund der Tatsache, dass die Parteien den gesamten Rechtsstreit auf Basis des deutschen Rechts geführt hatten – keine nennenswerte Mehrarbeit verursachte und die Belange des Prozessgegners gewahrt blieben.
Der Beklagten, die die Stellung eines Hostproviders zukommt, kam die Haftungsbeschränkung des § 10 Satz 1 TMG nicht zugute, weil diese nach ständiger Rechtsprechung (s. z.B. BGH, Urt. v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, GRUR 2016, 855 Rz. 19 = MDR 2016, 518 – jameda.de II und Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, GRUR 2012, 311 Rz. 19 = MDR 2012, 92 – Blog-Eintrag) nicht für Unterlassungsansprüche gilt, die ihre Grundlage – wie hier – in einer vorangegangenen Rechtsverletzung haben.
Da die Beklagte keine inhaltlich-redaktionelle Überprüfung der eingestellten Bewertungen vornimmt und sich die beanstandeten Bewertungen auch nicht zu eigen gemacht hatte, konnte sie nicht als unmittelbare Störerin/Täterin, sondern lediglich als mittelbare Störerin in Anspruch genommen werden. Die Auslobung der Flugmeilen als Prämie für bis zu zehn Bewertungen monatlich genüge nicht für eine unmittelbare Störerhaftung, so der Senat. Die mittelbare Störerhaftung bewirkt, dass die Nutzerbeiträge nicht vor ihrer Veröffentlichung, sondern erst auf entsprechend konkrete Beanstandung hin auf Rechtsverletzungen zu überprüfen und – im Falle einer solchen Verletzung – künftig zu vermeiden sind.
Welche konkreten Überprüfungsmaßnahmen der Hostprovider bei einer konkreten Beanstandung treffen muss, bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalles. Für Bewertungsportale sei hierbei zu berücksichtigen, dass diese eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllten, aber auch von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit sich bringen, d.h. auch für nicht unerhebliche persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen missbraucht werden können. Die Missbrauchsgefahr werde durch die – rechtlich zulässige (vgl. § 19 Abs. 2 TTDSG) – Möglichkeit, Bewertungen anonym oder unter einem Pseudonym abgeben zu können, noch verstärkt, und hierdurch werde es dem Betroffenen zudem erheblich erschwert, unmittelbar gegen den betreffenden Nutzer vorzugehen. Daher müsse der Hostprovider eines Bewertungsportals im Fall eines konkreten Hinweises auf einen Rechtsverstoß diese Beanstandung an den für den Inhalt Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterleiten. Bleibe eine Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist aus, sei von der Berechtigung der Beanstandung auszugehen und der Eintrag zu löschen.
Im konkreten Fall hatte die beklagte Bewertungsportalbetreiberin jede Nachfrage bei ihren Nutzern verweigert, obwohl die konkret dargelegte Beanstandung eine entsprechende Prüfungspflicht ausgelöst hatte. Für das Entstehen der Prüfungspflicht ließ der BGH die Rüge, den jeweiligen Bewertungen liege kein Gästekontakt zugrunde, genügen. Zu weiteren Darlegungen, insbesondere einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts, sei der Bewertete gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet. Das gelte nicht nur, wenn die Bewertung ohne tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibenden Angaben ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen. Denn, so der Senat, könne der Bewertete diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen. Abgesehen von der Grenze des Rechtsmissbrauchs bedürfe es einer näheren Begründung nur dann, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne weiteres aus der Bewertung ergebe. Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts war trotz der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen weiteren Angaben zu der Person des Nutzers, seinen Begleitern, den (angeblich) in Anspruch genommenen Leistungen und teilweise beigefügter Fotos, die Klägerin nicht verpflichtet, ihre Angabe des fehlenden Gästekontakts näher zu begründen. Darauf, ob die Klägerin aufgrund der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen Ausführungen zu weiteren Angaben überhaupt in der Lage war, um den Kreis der in Betracht kommenden Gäste einzugrenzen, komme es nicht an. Da die Beklagte ihrer bestehenden Prüfpflicht nicht nachgekommen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass den angegriffenen Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liege.