BVerfG, Beschl. 15.5.2019 - 1 BvQ 43/19
Keine Volksverhetzung durch Wahlwerbespot
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 08/2019
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 08/2019
Ein Angriff auf die Menschenwürde zur Begründung des volksverhetzenden Gehalts eines Wahlwerbespots kann nicht aus einer Auslegung des Werbespots unter Rückgriff auf das Parteiprogramm hergeleitet werden.
BVerfG, Beschl. v. 15.5.2019 - 1 BvQ 43/19
Vorinstanz: OVG Berlin-Bdb., Beschl. v. 13.5.2019 - 3 S 33.19
Vorinstanz: VG Berlin, Beschl. v. 3.5.2019
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1; StGB § 130 Abs. 1 Nr. 2
Evidenter und gewichtiger Strafrechtsverstoß: Da die Wahlwerbung in Hörfunk und Fernsehen nach wie vor zu den wichtigen Mitteln im Wahlkampf der politischen Parteien gehöre, müsse die Vergabe von Hörfunk- und Fernsehzeiten für Wahlwerbesendungen dem Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien Rechnung tragen. Daher dürften zum Zweck der Wahlwerbung vorgesehene Sendungen der politischen Parteien nur bei einem evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß gegen allgemeine Normen des Strafrechts zurückgewiesen werden (vgl. BVerfG v. 14.2.1978 – 2 BvR 523/75, BVerfGE 47, 198 [230 ff.]; BVerfG v. 30.5.1984 – 2 BvR 617/84, BVerfGE 67, 149 [152]).
Volksverhetzung: Für die Frage, ob in einem Werbespot eine strafbare Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB liege, komme es darauf an, ob dieser einen Teil der Bevölkerung beschimpfe, böswillig verächtlich mache oder verleumde und dadurch dessen Menschenwürde angreife. Maßgeblich sei dabei, dass Teilen der Bevölkerung ihre Würde als Personen abgesprochen werde.
Kein Menschenwürdeangriff: Der Fokus des Wahlwerbespots liege vorliegend auf den Deutschen als vermeintlichen „Opfern”, wobei auf eine Reihe von in den Medien geschilderten Straftaten angespielt werde. Als Bedrohung würden lediglich abstrakt die „willkürliche Grenzöffnung” und die „Massenzuwanderung” genannt und nicht Teilen der Bevölkerung ihre Menschenwürde abgesprochen.
Kein Rückgriff auf Parteiprogramm: Ein Angriff auf die Menschenwürde zur Begründung eines volksverhetzenden Gehalts des Wahlwerbespots könne insb. nicht aus einer Auslegung des Werbespots unter Rückgriff auf das Parteiprogramm der NPD hergeleitet werden. Maßgeblich für die Beurteilung des Wahlwerbespots sei allein dieser selbst, nicht die innere Haltung oder die parteiliche Programmatik, die seinen Hintergrund bilde.
BVerfG, Beschl. v. 15.5.2019 - 1 BvQ 43/19
Vorinstanz: OVG Berlin-Bdb., Beschl. v. 13.5.2019 - 3 S 33.19
Vorinstanz: VG Berlin, Beschl. v. 3.5.2019
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1; StGB § 130 Abs. 1 Nr. 2
Das Problem
Für einen 90-sekündigen Fernseh-Wahlwerbespot der NPD wurden vom rbb Sendeplätze am 30.4. und 17.5.2019 zugeteilt, jedoch die Ausstrahlung mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid v. 30.4.2019 wegen eines offenkundigen und schwerwiegenden Verstoßes gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt. Der Wahlwerbespot beginnt mit den Worten „Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern”, was bildlich mit immer schneller werdenden Einblendungen von Tatorten und Namen von Opfern von Gewalt- und Tötungsdelikten unterlegt wird. In der Folge wird die Einrichtung von „Schutzzonen” als Orten, „an denen sich Deutsche sicher fühlen sollen”, in Aussicht gestellt.Die Entscheidung des Gerichts
Der Sender werde per einstweiliger Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG verpflichtet, den Wahlwerbespot auf dem zugeteilten Sendeplatz am 17.5.2019 sowie auf einem weiteren vom rbb zu bestimmenden Sendeplatz vor der Europawahl auszustrahlen, da eine zu erhebende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben würde.Evidenter und gewichtiger Strafrechtsverstoß: Da die Wahlwerbung in Hörfunk und Fernsehen nach wie vor zu den wichtigen Mitteln im Wahlkampf der politischen Parteien gehöre, müsse die Vergabe von Hörfunk- und Fernsehzeiten für Wahlwerbesendungen dem Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien Rechnung tragen. Daher dürften zum Zweck der Wahlwerbung vorgesehene Sendungen der politischen Parteien nur bei einem evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß gegen allgemeine Normen des Strafrechts zurückgewiesen werden (vgl. BVerfG v. 14.2.1978 – 2 BvR 523/75, BVerfGE 47, 198 [230 ff.]; BVerfG v. 30.5.1984 – 2 BvR 617/84, BVerfGE 67, 149 [152]).
Volksverhetzung: Für die Frage, ob in einem Werbespot eine strafbare Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB liege, komme es darauf an, ob dieser einen Teil der Bevölkerung beschimpfe, böswillig verächtlich mache oder verleumde und dadurch dessen Menschenwürde angreife. Maßgeblich sei dabei, dass Teilen der Bevölkerung ihre Würde als Personen abgesprochen werde.
Kein Menschenwürdeangriff: Der Fokus des Wahlwerbespots liege vorliegend auf den Deutschen als vermeintlichen „Opfern”, wobei auf eine Reihe von in den Medien geschilderten Straftaten angespielt werde. Als Bedrohung würden lediglich abstrakt die „willkürliche Grenzöffnung” und die „Massenzuwanderung” genannt und nicht Teilen der Bevölkerung ihre Menschenwürde abgesprochen.
Kein Rückgriff auf Parteiprogramm: Ein Angriff auf die Menschenwürde zur Begründung eines volksverhetzenden Gehalts des Wahlwerbespots könne insb. nicht aus einer Auslegung des Werbespots unter Rückgriff auf das Parteiprogramm der NPD hergeleitet werden. Maßgeblich für die Beurteilung des Wahlwerbespots sei allein dieser selbst, nicht die innere Haltung oder die parteiliche Programmatik, die seinen Hintergrund bilde.