BVerfG, Beschl. 1.2.2023 - 1 BvL 7/18
Teilweise Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen bei im Ausland geschlossenen Ehen
Autor: RiAG Alexander Erbarth, Greiz
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 07/2023
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 07/2023
1. Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG ist eine rechtlich verbindliche, im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten einhergehende gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft, die durch einen formalisierten nach außen erkennbaren Akt begründet wird. Nach ausländischem Recht eingegangene Lebensgemeinschaften ehelicher Art unterfallen dann nicht ohne weiteres dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG, wenn diese verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien zuwiderlaufen.2. Die Freiheit der Ehe erfordert und gestattet gesetzliche Regeln, die die als Ehe verfassungsrechtlich geschützte Lebensgemeinschaft rechtlich definieren und abgrenzen. Solche Regelungen müssen mit den Strukturprinzipien vereinbar sein und den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen.3. Der Gesetzgeber darf Ehehindernisse schaffen, um die das Institut der Ehe im Sinne der verfassungsbestimmenden Strukturprinzipien zu gewährleisten. Dazu können die autonome Entscheidung beider Eheschließenden sichernde Anforderungen an die Ehefähigkeit etwa in Gestalt von Mindestaltersgrenzen für die Eheschließung gehören.
GG Art. 6 Abs. 1; EGBGB Art. 13 Abs. 3 Nr. 1, Art. 229 § 44 Abs. 4; BGB § 1303
Die aufgrund der Entscheidung des OLG Bamberg eintretende weitreichende, Politik und Presse erfassende Diskussion der sog. Kinderehen (besser: Frühehen; eingehend dazu Yassari/Michaels, Die Frühehe im Recht, 2021) veranlasste den Gesetzgeber, die Ehemündigkeit mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (BGBl. 2017 I, 2429) in § 1303 BGB neu zu regeln: Ehemündigkeit tritt gem. § 1303 Satz 1 BGB mit Volljährigkeit, also mit Vollendung des 18. Lebensjahrs (§ 2 BGB) ein. Das Familiengericht kann bei Eheschließungen ab 22.7.2017 einem Verlobten, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, auch wenn der andere Verlobte volljährig ist, keine Befreiung mehr vom Erfordernis der Volljährigkeit erteilen. Diese bisher gem. § 1303 Abs. 2–4 BGB a.F. bestehende Möglichkeit hat das neue Gesetz beseitigt, die Abs. 2–4 des § 1303 BGB a.F. sind ersatzlos entfallen. Eheschließungen sind in Deutschland nur noch zwischen zwei volljährigen Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts zulässig. Der Gesetzgeber hat damit zugleich den Widerspruch des bisherigen § 1303 Abs. 2 BGB zu Art. 2 UN-EheschließungsÜ beseitigt. Dabei handelt es sich bei einer Ehe mit einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat gem. § 1303 Satz 2 BGB um eine absolute Nichtehe (matrimonium non existens), die „Ehe“ zeitigt keinerlei rechtliche Wirkungen. Demgegenüber ist eine Ehe, die mit einem Minderjährigen geschlossen wurde, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, gem. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB aufhebbar.
Ihrem Zweck entsprechend liegt die Brisanz der Neuregelung nicht in § 1303 Satz 2 BGB, sondern in dem zeitgleich eingefügten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und den abweichenden Überleitungsvorschriften in Art. 44 Abs. 1 und Abs. 4 EGBGB. Zwar sind die Fragen der materiellen Ehevoraussetzungen nach wie vor in Art. 13 Abs. 1 EGBGB geregelt, d.h. diese richten sich für jeden Verlobten grundsätzlich nach seinem Heimatrecht vor der Heirat. Mit § 1303 Satz 1 BGB übereinstimmend ordnet Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aber die Unwirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht an, wenn ein Verlobter mit ausländischem Personalstatut im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Es handelt sich um eine absolute Nichtehe, die in Deutschland keinerlei Rechtswirkungen zeitigt; die Vorschrift beansprucht weltweite Geltung. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gilt gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB nur für ab dem 22.7.1999 geborene Ehegatten. Die Vorschrift soll alle Fälle erfassen, in denen beide Ehegatten im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 22.7.2017 nach deutschem Recht bereits volljährig sind. Eine Ehe unter Beteiligung eines Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr bei der Eheschließung noch nicht vollendet hatte, ist nicht unwirksam, wenn der minderjährige Ehegatte am 21.7.1999 (also mindestens 18 Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes) oder früher geboren wurde. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gilt gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB unter folgenden Voraussetzungen ebenfalls nicht: (1) Es muss sich nach dem gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Recht der Ehegatten trotz Minderjährigkeit um eine wirksame Ehe handeln. (2) Sodann ist gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB die Volljährigkeit beider Ehegatten festzustellen. Ein Ehegatte der nach seinem Heimatrecht noch nicht volljährig ist, jedoch am 22.7.2017 das 18. Lebensjahr vollendet hat, fällt unter Art. 299 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB. (3) Die Ehe muss ausschließlich im Ausland geführt worden seien. (4) Schließlich darf kein Ehegatte bis zum Eintritt der Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben. Die Vorschrift erfasst also nur Ehen Minderjähriger, die bis zu deren Volljährigkeit außerhalb Deutschlands geführt wurden (Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375). Hingegen gilt § 1303 Satz 2 BGB gem. Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB nur für ab dem 22.7.2017 geschlossene Ehen; bis zum 21.7.2017 geschlossene Ehen sind nach den bis zu diesem Tage geltenden Vorschriften aufhebbar.
Der Vormund der minderjährigen Ehefrau legte gegen die nach altem Recht ergangene Entscheidung des OLG Bamberg Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Der XII. Zivilsenat hat mit seinem Beschluss vom 14.11.2018 das Verfahren im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG mit der Frage vorgelegt, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verfassungskonform sei, sofern eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird (BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 m. Anm. Hettich = FamRB 2019, 47 [Erbarth]). Aufgrund der inzwischen durch das Kinderehengesetz in Kraft getretenen Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB sei die Rechtsbeschwerde begründet, hingegen sei sie ohne Geltung der neuen Vorschrift unbegründet. Das (mit Ausnahme der Fälle des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB) strikte Unwirksamkeitsverdikt ohne Einzelfallprüfung verletze das Ehegrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und den nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erforderlichen Schutz des Kindeswohls.
Die eigentliche Frage, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 BGB die Ehefreiheit verletzt, bejaht das BVerfG äußerst zurückhaltend, nämlich beschränkt auf bestimmte Rechtsfolgen der Regelung, folgt der überzeugenden Argumentation des BGH also nur teilweise. Art. 6 Abs. 1 GG stelle auch im Ausland wirksam geschlossene Ehen eines Minderjährigen unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dies gelte auch dann, wenn sie „verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien“ zuwiderliefen (Rz. 110). Da aber nicht davon auszugehen sei, dass die Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Eheschließung ausnahmslos erst mit 16 Jahren eintrete, seien von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch solche Auslandsehen betroffen, die nicht mit verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien in Widerspruch stünden (Rz. 120, Rz. 123). Der Gesetzgeber dürfe und müsse zum Schutz der Ehe Freiheitsregeln schaffen, die die Ehe rechtlich definieren und abgrenzen. Bei deren Ausgestaltung müsse er aber einerseits die wesentlichen Strukturprinzipien der Ehe sowie die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit beachten (Rz. 113 ff.).
Der mit der Regelung bezweckte Minderjährigenschutz sei ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel, und zwar sowohl mit Blick auf die konkret betroffenen als auch generalpräventiv bezogen auf alle weltweit verheirateten Minderjährigen (Rz. 68, Rz. 126 ff.). Die Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB sei zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet. Die betroffenen Minderjährigen erlangten einen besseren Schutz vor den Risiken und Pflichten der Ehe, Kinderehen würden als schädliche Praxis international stärker ins Bewusstsein gerufen, schließlich diene die alleinige Anknüpfung an das Alter der Rechtsklarheit (Rz. 130 ff.). Auch die Erforderlichkeit sei gegeben; ein einzelfallbezogenes Statusverfahren sei weniger wirksam als die automatische Unwirksamkeit, da die Ehe bis zur Rechtskraft der Entscheidung wirksam bleibe. Die Eheaufhebung sei nämlich im Vergleich zur Unwirksamkeit zwar milder, aber nicht genauso wirksam: Nach 2019 veröffentlichten Zahlen sei es lediglich in zehn von 813 Fällen zu einer Eheaufhebung gekommen, woraus folge, dass die Praxis die gesetzgeberische Grundentscheidung, die betroffenen Ehen grundsätzlich aufzuheben, kaum umsetze.
Das BVerfG verneint sodann wegen der Schwere des Eingriffs die Verhältnismäßigkeit der Regelung im engeren Sinne und stützt hierauf doch noch ihre Verfassungswidrigkeit. Freilich habe der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum aufgrund dessen es ihm nicht verwehrt sei, Mindestaltersgrenzen für die Ehe zu treffen (Rz. 117) oder die Unwirksamkeit von Minderjährigenehen ohne Einzelfallprüfung und Beteiligung der Betroffenen anzuordnen (Rz. 167 ff.). Verfassungswidrig sei nicht das Unwirksamkeitsverdikt als solches, vielmehr allein, dass die Nichtehe keinerlei nacheheliche Rechtsfolgen und Schutzmechanismen sowie keine Bestätigungsmöglichkeit nach Erreichen der Volljährigkeit kenne (Rz. 175 ff.).
Das BVerfG erklärt dementsprechend Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit dem Grundgesetz unvereinbar, bestimmt freilich die Fortgeltung bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung und räumt dem Gesetzgeber hierfür eine Frist bis zum 30.6.2024 ein (Rz. 186). Außerdem ordnet der Senat eine unterhaltsrechtliche Übergangsregelung an: Leben die „Nichtehegatten“ zusammen (d.h. nicht i.S.v. § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB getrennt), gelten §§ 1360, 1360a BGB entsprechend; leben sie nicht zusammen (d.h. bei Getrenntleben i.S.v. § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB), bestimmen sich mögliche Unterhaltsansprüche entsprechend § 1318 BGB i.V.m. §§ 1569 ff. BGB.
GG Art. 6 Abs. 1; EGBGB Art. 13 Abs. 3 Nr. 1, Art. 229 § 44 Abs. 4; BGB § 1303
Das Problem
Die Entscheidung des BVerfG ist das (vorläufige) Ende der auf vermehrtem Zuzug ausländischer Ehegatten nach Deutschland ab 2015 beruhenden Entwicklung: Das OLG Bamberg hatte in seiner Entscheidung vom 12.5.2016 – 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 = FamRB 2016, 375 (Schmid) die Hauptfrage zu beantworten, welche Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt dem durch das Familiengericht bestellten Vormund eines verheirateten 15-jährigen Mündels zukommt. Diese Frage unterliegt nach Art. 17 KSÜ dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, im Fall des OLG Bamberg also dem deutschen Recht. Für die Bestellung des Vormunds ist nach Art. 15 KSÜ ebenfalls deutsches Recht maßgeblich (Andrae, NZFam 2016, 923, 927). Nach §§ 1633, 1800 BGB a.F. war die Personensorge des Vormunds für den verheirateten Mündel auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten beschränkt. Zu diesen zählt das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht. Vorfrage war dementsprechend die Wirksamkeit der Eheschließung zwischen zwei syrischen Staatsangehörigen; die Ehefrau war zum Zeitpunkt der Eheschließung 14 Jahre alt, der Ehemann volljährig. Die nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB syrischem Recht unterliegende materielle Wirksamkeit der Ehe war gegeben, das Mindesteheschließungsalter von Mädchen nämlich auf 13 Jahre gesenkt. Liegt nach dem Eheschließungsstatut eine wirksame Ehe vor, so kann die Rechtsfolge des ordre public nicht strenger sein als im deutschen Recht vorgesehen (Andrae in NK-BGB, Art. 13 EGBGB Rz. 21, 24). Hiervon ging auch das OLG Bamberg zutreffend aus und ließ deshalb im Ergebnis offen, ob der ordre public verletzt ist.Die aufgrund der Entscheidung des OLG Bamberg eintretende weitreichende, Politik und Presse erfassende Diskussion der sog. Kinderehen (besser: Frühehen; eingehend dazu Yassari/Michaels, Die Frühehe im Recht, 2021) veranlasste den Gesetzgeber, die Ehemündigkeit mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (BGBl. 2017 I, 2429) in § 1303 BGB neu zu regeln: Ehemündigkeit tritt gem. § 1303 Satz 1 BGB mit Volljährigkeit, also mit Vollendung des 18. Lebensjahrs (§ 2 BGB) ein. Das Familiengericht kann bei Eheschließungen ab 22.7.2017 einem Verlobten, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, auch wenn der andere Verlobte volljährig ist, keine Befreiung mehr vom Erfordernis der Volljährigkeit erteilen. Diese bisher gem. § 1303 Abs. 2–4 BGB a.F. bestehende Möglichkeit hat das neue Gesetz beseitigt, die Abs. 2–4 des § 1303 BGB a.F. sind ersatzlos entfallen. Eheschließungen sind in Deutschland nur noch zwischen zwei volljährigen Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts zulässig. Der Gesetzgeber hat damit zugleich den Widerspruch des bisherigen § 1303 Abs. 2 BGB zu Art. 2 UN-EheschließungsÜ beseitigt. Dabei handelt es sich bei einer Ehe mit einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat gem. § 1303 Satz 2 BGB um eine absolute Nichtehe (matrimonium non existens), die „Ehe“ zeitigt keinerlei rechtliche Wirkungen. Demgegenüber ist eine Ehe, die mit einem Minderjährigen geschlossen wurde, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, gem. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB aufhebbar.
Ihrem Zweck entsprechend liegt die Brisanz der Neuregelung nicht in § 1303 Satz 2 BGB, sondern in dem zeitgleich eingefügten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und den abweichenden Überleitungsvorschriften in Art. 44 Abs. 1 und Abs. 4 EGBGB. Zwar sind die Fragen der materiellen Ehevoraussetzungen nach wie vor in Art. 13 Abs. 1 EGBGB geregelt, d.h. diese richten sich für jeden Verlobten grundsätzlich nach seinem Heimatrecht vor der Heirat. Mit § 1303 Satz 1 BGB übereinstimmend ordnet Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aber die Unwirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht an, wenn ein Verlobter mit ausländischem Personalstatut im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Es handelt sich um eine absolute Nichtehe, die in Deutschland keinerlei Rechtswirkungen zeitigt; die Vorschrift beansprucht weltweite Geltung. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gilt gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB nur für ab dem 22.7.1999 geborene Ehegatten. Die Vorschrift soll alle Fälle erfassen, in denen beide Ehegatten im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 22.7.2017 nach deutschem Recht bereits volljährig sind. Eine Ehe unter Beteiligung eines Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr bei der Eheschließung noch nicht vollendet hatte, ist nicht unwirksam, wenn der minderjährige Ehegatte am 21.7.1999 (also mindestens 18 Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes) oder früher geboren wurde. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gilt gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB unter folgenden Voraussetzungen ebenfalls nicht: (1) Es muss sich nach dem gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Recht der Ehegatten trotz Minderjährigkeit um eine wirksame Ehe handeln. (2) Sodann ist gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB die Volljährigkeit beider Ehegatten festzustellen. Ein Ehegatte der nach seinem Heimatrecht noch nicht volljährig ist, jedoch am 22.7.2017 das 18. Lebensjahr vollendet hat, fällt unter Art. 299 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB. (3) Die Ehe muss ausschließlich im Ausland geführt worden seien. (4) Schließlich darf kein Ehegatte bis zum Eintritt der Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben. Die Vorschrift erfasst also nur Ehen Minderjähriger, die bis zu deren Volljährigkeit außerhalb Deutschlands geführt wurden (Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375). Hingegen gilt § 1303 Satz 2 BGB gem. Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB nur für ab dem 22.7.2017 geschlossene Ehen; bis zum 21.7.2017 geschlossene Ehen sind nach den bis zu diesem Tage geltenden Vorschriften aufhebbar.
Der Vormund der minderjährigen Ehefrau legte gegen die nach altem Recht ergangene Entscheidung des OLG Bamberg Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Der XII. Zivilsenat hat mit seinem Beschluss vom 14.11.2018 das Verfahren im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG mit der Frage vorgelegt, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verfassungskonform sei, sofern eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird (BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 m. Anm. Hettich = FamRB 2019, 47 [Erbarth]). Aufgrund der inzwischen durch das Kinderehengesetz in Kraft getretenen Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB sei die Rechtsbeschwerde begründet, hingegen sei sie ohne Geltung der neuen Vorschrift unbegründet. Das (mit Ausnahme der Fälle des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB) strikte Unwirksamkeitsverdikt ohne Einzelfallprüfung verletze das Ehegrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und den nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erforderlichen Schutz des Kindeswohls.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BVerfG formuliert entsprechend dem ersten Leitsatz eine neue Definition der Ehe.Die eigentliche Frage, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 BGB die Ehefreiheit verletzt, bejaht das BVerfG äußerst zurückhaltend, nämlich beschränkt auf bestimmte Rechtsfolgen der Regelung, folgt der überzeugenden Argumentation des BGH also nur teilweise. Art. 6 Abs. 1 GG stelle auch im Ausland wirksam geschlossene Ehen eines Minderjährigen unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dies gelte auch dann, wenn sie „verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien“ zuwiderliefen (Rz. 110). Da aber nicht davon auszugehen sei, dass die Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Eheschließung ausnahmslos erst mit 16 Jahren eintrete, seien von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch solche Auslandsehen betroffen, die nicht mit verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien in Widerspruch stünden (Rz. 120, Rz. 123). Der Gesetzgeber dürfe und müsse zum Schutz der Ehe Freiheitsregeln schaffen, die die Ehe rechtlich definieren und abgrenzen. Bei deren Ausgestaltung müsse er aber einerseits die wesentlichen Strukturprinzipien der Ehe sowie die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit beachten (Rz. 113 ff.).
Der mit der Regelung bezweckte Minderjährigenschutz sei ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel, und zwar sowohl mit Blick auf die konkret betroffenen als auch generalpräventiv bezogen auf alle weltweit verheirateten Minderjährigen (Rz. 68, Rz. 126 ff.). Die Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB sei zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet. Die betroffenen Minderjährigen erlangten einen besseren Schutz vor den Risiken und Pflichten der Ehe, Kinderehen würden als schädliche Praxis international stärker ins Bewusstsein gerufen, schließlich diene die alleinige Anknüpfung an das Alter der Rechtsklarheit (Rz. 130 ff.). Auch die Erforderlichkeit sei gegeben; ein einzelfallbezogenes Statusverfahren sei weniger wirksam als die automatische Unwirksamkeit, da die Ehe bis zur Rechtskraft der Entscheidung wirksam bleibe. Die Eheaufhebung sei nämlich im Vergleich zur Unwirksamkeit zwar milder, aber nicht genauso wirksam: Nach 2019 veröffentlichten Zahlen sei es lediglich in zehn von 813 Fällen zu einer Eheaufhebung gekommen, woraus folge, dass die Praxis die gesetzgeberische Grundentscheidung, die betroffenen Ehen grundsätzlich aufzuheben, kaum umsetze.
Das BVerfG verneint sodann wegen der Schwere des Eingriffs die Verhältnismäßigkeit der Regelung im engeren Sinne und stützt hierauf doch noch ihre Verfassungswidrigkeit. Freilich habe der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum aufgrund dessen es ihm nicht verwehrt sei, Mindestaltersgrenzen für die Ehe zu treffen (Rz. 117) oder die Unwirksamkeit von Minderjährigenehen ohne Einzelfallprüfung und Beteiligung der Betroffenen anzuordnen (Rz. 167 ff.). Verfassungswidrig sei nicht das Unwirksamkeitsverdikt als solches, vielmehr allein, dass die Nichtehe keinerlei nacheheliche Rechtsfolgen und Schutzmechanismen sowie keine Bestätigungsmöglichkeit nach Erreichen der Volljährigkeit kenne (Rz. 175 ff.).
Das BVerfG erklärt dementsprechend Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit dem Grundgesetz unvereinbar, bestimmt freilich die Fortgeltung bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung und räumt dem Gesetzgeber hierfür eine Frist bis zum 30.6.2024 ein (Rz. 186). Außerdem ordnet der Senat eine unterhaltsrechtliche Übergangsregelung an: Leben die „Nichtehegatten“ zusammen (d.h. nicht i.S.v. § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB getrennt), gelten §§ 1360, 1360a BGB entsprechend; leben sie nicht zusammen (d.h. bei Getrenntleben i.S.v. § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB), bestimmen sich mögliche Unterhaltsansprüche entsprechend § 1318 BGB i.V.m. §§ 1569 ff. BGB.