BVerfG, Beschl. 2.5.2018 - 1 BvR 666/17
Zur Pflicht zum Abdruck eines Nachtrags bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung
Autor: Dr. Donata Störmer, Fachanwältin für Urheber- und MedienrechtIRLE MOSER Rechtsanwälte PartG, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2018
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2018
Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet, dass der Träger der Pressefreiheit grundsätzlich selbst entscheiden darf, was er in seinem Presseerzeugnis aufnehmen will oder nicht. Eingriffe in die Pressefreiheit durch die Zuerkennung von Ansprüchen auf nachträgliche Mitteilung im Anschluss an eine ursprünglich rechtmäßige Verdachtsberichterstattung müssen auf Ausnahmefälle begrenzt sein und kommen deshalb nur in Betracht, wenn spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung qualifiziert Anlass geben. Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes ist bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen; die der Presse abverlangte nachträgliche Erklärung muss sich auf eine distanzierte Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken.
BVerfG, Beschl. v. 2.5.2018 - 1 BvR 666/17
Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 7.2.2017 - VII ZR 152/15
Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 29.11.2016 - VII ZR 52/15
Vorinstanz: OLG Hamburg, Urt. v. 10.2.2015 - 7 U 44/12
Vorinstanz: LG Hamburg, Urt. v. 20.4.2012 - 324 O 628/10
GG Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004; StGB § 186
„[Im Magazin (...) haben wir durch die Berichterstattung] (...) den Verdacht erweckt, der H.-Chefjustiziar G. habe an den beschriebenen angeblichen Abhörmaßnahmen gegen R. mitgewirkt. Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht. Der Verlag.”
Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie eine Anhörungsrüge des Nachrichtenmagazins wies der BGH zurück. Das Nachrichtenmagazin wendete sich daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG und die beiden darauffolgenden Entscheidungen des BGH.
Die Entscheidung des OLG verletze das Nachrichtenmagazin in seinen Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Zwar bestünden grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aus §§ 823, 1004 BGB einen „äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch” abzuleiten, der eingreife, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Meldung über eine Straftat sich aufgrund späterer gerichtlicher Erkenntnisse in einem anderen Licht darstelle und die durch die Meldung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrecht noch andauere. Entsprechendes gelte für verfahrensabschließende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft. So sei bei der Berichterstattung über den Verdacht von Straftaten zu berücksichtigen, dass diese stets das Risiko der Unrichtigkeit in sich trage und besonders belastende Auswirkungen auf den Betroffenen haben könne. Zur Abmilderung der Folgen für den Betroffenen sei diesem das Recht zuzubilligen, in dem Fall, dass die strafrechtlichen Ermittlungen zu der betreffenden Straftat eingestellt werden oder der Betroffene frei gesprochen werde, von der Presse eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang des Strafverfahrens zu verlangen.
Eine im Nachgang zu rechtmäßigen Presseberichten angeordnete nachträgliche Mitteilung über erst später bekannt werdende Umstände unterscheide sich jedoch in ihren Anforderungen grundsätzlich von einer Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten. Hier sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche Berichterstattung verfassungsrechtlich von der Pressefreiheit gedeckt war und die Presseorgane diese grundsätzlich als abgeschlossen betrachten durften. Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet wird, gehöre zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden dürfe, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet habe oder nicht. Die Zuerkennung von Ansprüchen auf nachträgliche Mitteilung in Anschluss an eine ursprüngliche rechtmäßige Verdachtsberichterstattung müsse daher auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Von einem solchen Ausnahmefall könne ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die entsprechenden Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen werden oder ein Freispruch gegenüber dem Betroffenen ergangen sei und dies der Presse von diesem nachprüfbar bekannt gemacht werde. Demgegenüber könne eine nachträgliche Mitteilung nicht beliebig unter Berufung auf neue Erkenntnisse und das Verlangen nach einer neuen Würdigung der Verdachtslage begehrt werden. Insoweit unterscheide sich der Rechtsstreit um den Anspruch auf Abdruck einer nachträglichen Mitteilung seinem Gegenstand nach von dem Rechtsstreit um Richtigstellung und sei nicht nur dessen Fortsetzung. Während der Anspruch auf Richtigstellung davon abhänge, ob die Presse in der Würdigung der Verdachtsmomente zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den insoweit geltenden Anforderungen genügt habe, setze ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung voraus, dass spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung qualifiziert Anlass geben.
Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes sei bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen. Insbesondere dürfe die Presse nicht zu einer eigenen Bewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden. Die ihr abverlangte Erklärung müsse sich auf eine distanzierte Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken. Soweit im Rahmen einer solchen nachträglichen Mitteilung darüber hinaus dritte Personen Erwähnung fänden, seien auch deren Rechte zu wahren.
Das OLG habe anders als es ihm vom BGH aufgegeben worden sei, nicht zwischen der Richtigstellung einer ursprünglich rechtswidrigen Berichterstattung und einer nachträglichen Mitteilung wegen geänderter Umstände unterschieden. Der Sache nach verlange das OLG damit von der Presse, auch nach der Berichterstattung bekannt werdende Umstände allgemein zu verfolgen sowie von den Betroffenen neu vorgetragene Gesichtspunkte zu berücksichtigen und diese dann in Ergänzung ihrer früheren Berichterstattung zur Grundlage von – fremdformulierten – nachträglichen Mitteilungen zu machen. Dies sei mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.
Auch genüge der dem Nachrichtenmagazin durch das OLG auferlegte „Nachtrag” den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Inhalt, Form und Umfang nicht. In der Sache stelle dieser eine Berichtigung dar, die nur bei einer rechtswidrigen Berichterstattung zulässig sei. Insbesondere dürfe das Nachrichtenmagazin nicht dazu verpflichtet werden, von seiner ursprünglichen Berichterstattung abzurücken und zu erklären, dass es den Verdacht nicht mehr aufrechterhalte. Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen hätte die von einer kurzen Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung eingeleitete Mitteilung ausgereicht, dass das gegen den Betroffenen geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Mehr hätte von dem Nachrichtenmagazin unter Berücksichtigung seiner Meinungs- und Pressefreiheit nicht verlangt werden dürfen.
Zudem greife die Entscheidung des OLG in die Persönlichkeitsrechte Dritter ein, die in dem angeordneten „Nachtrag” identifizierbar erwähnt werden. Hierdurch werde der vor Jahren in Bezug auf diese geäußerte Verdacht wiederholt und erneut die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Für den hierin liegendem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der genannten Personen sei keine Rechtfertigung ersichtlich.
BVerfG, Beschl. v. 2.5.2018 - 1 BvR 666/17
Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 7.2.2017 - VII ZR 152/15
Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 29.11.2016 - VII ZR 52/15
Vorinstanz: OLG Hamburg, Urt. v. 10.2.2015 - 7 U 44/12
Vorinstanz: LG Hamburg, Urt. v. 20.4.2012 - 324 O 628/10
GG Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004; StGB § 186
Das Problem
Im August 2010 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” in seiner gleichnamigen Zeitschrift einen Beitrag, der sich kritisch mit den Zuständen bei der HSH Nordbank AG befasste. Insbesondere wurde darüber berichtet, dass der frühere Chefjustiziar der HSH Nordbank AG im Jahr 2009 an einer Abhörmaßnahme gegen ein Vorstandsmitglied der HSH Nordbank AG beteiligt gewesen sein könnte, die letztendlich zu dessen womöglich auf einer Falschbezichtigung basierenden Entlassung geführt habe. Das Ermittlungsverfahren gegen den früheren Chefjustiziar stellte die Staatsanwaltschaft später mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Das LG Hamburg und das OLG Hamburg verurteilten das Nachrichtenmagazin auf die Klage u.a. des Chefjustiziars, sinngemäß richtigzustellen, dass der Kläger an Abhörmaßnahmen wie denen in der Berichterstattung beschriebenen angeblichen Maßnahmen gegen das ehemalige Vorstandsmitglied der HSH Nordbank AG nicht mitgewirkt habe. Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch den BGH verurteilte das OLG das Nachrichtenmagazin sodann zum Abdruck der folgenden vom Kläger, dem Chefjustiziar der HSH Nordbank AG, vorformulierten Erklärung, wobei die Überschrift von „Richtigstellung” zu „Nachtrag” zu ändern sei:„[Im Magazin (...) haben wir durch die Berichterstattung] (...) den Verdacht erweckt, der H.-Chefjustiziar G. habe an den beschriebenen angeblichen Abhörmaßnahmen gegen R. mitgewirkt. Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht. Der Verlag.”
Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie eine Anhörungsrüge des Nachrichtenmagazins wies der BGH zurück. Das Nachrichtenmagazin wendete sich daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG und die beiden darauffolgenden Entscheidungen des BGH.
Die Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.Die Entscheidung des OLG verletze das Nachrichtenmagazin in seinen Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Zwar bestünden grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aus §§ 823, 1004 BGB einen „äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch” abzuleiten, der eingreife, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Meldung über eine Straftat sich aufgrund späterer gerichtlicher Erkenntnisse in einem anderen Licht darstelle und die durch die Meldung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrecht noch andauere. Entsprechendes gelte für verfahrensabschließende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft. So sei bei der Berichterstattung über den Verdacht von Straftaten zu berücksichtigen, dass diese stets das Risiko der Unrichtigkeit in sich trage und besonders belastende Auswirkungen auf den Betroffenen haben könne. Zur Abmilderung der Folgen für den Betroffenen sei diesem das Recht zuzubilligen, in dem Fall, dass die strafrechtlichen Ermittlungen zu der betreffenden Straftat eingestellt werden oder der Betroffene frei gesprochen werde, von der Presse eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang des Strafverfahrens zu verlangen.
Eine im Nachgang zu rechtmäßigen Presseberichten angeordnete nachträgliche Mitteilung über erst später bekannt werdende Umstände unterscheide sich jedoch in ihren Anforderungen grundsätzlich von einer Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten. Hier sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche Berichterstattung verfassungsrechtlich von der Pressefreiheit gedeckt war und die Presseorgane diese grundsätzlich als abgeschlossen betrachten durften. Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet wird, gehöre zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden dürfe, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet habe oder nicht. Die Zuerkennung von Ansprüchen auf nachträgliche Mitteilung in Anschluss an eine ursprüngliche rechtmäßige Verdachtsberichterstattung müsse daher auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Von einem solchen Ausnahmefall könne ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die entsprechenden Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen werden oder ein Freispruch gegenüber dem Betroffenen ergangen sei und dies der Presse von diesem nachprüfbar bekannt gemacht werde. Demgegenüber könne eine nachträgliche Mitteilung nicht beliebig unter Berufung auf neue Erkenntnisse und das Verlangen nach einer neuen Würdigung der Verdachtslage begehrt werden. Insoweit unterscheide sich der Rechtsstreit um den Anspruch auf Abdruck einer nachträglichen Mitteilung seinem Gegenstand nach von dem Rechtsstreit um Richtigstellung und sei nicht nur dessen Fortsetzung. Während der Anspruch auf Richtigstellung davon abhänge, ob die Presse in der Würdigung der Verdachtsmomente zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den insoweit geltenden Anforderungen genügt habe, setze ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung voraus, dass spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung qualifiziert Anlass geben.
Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes sei bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen. Insbesondere dürfe die Presse nicht zu einer eigenen Bewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden. Die ihr abverlangte Erklärung müsse sich auf eine distanzierte Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken. Soweit im Rahmen einer solchen nachträglichen Mitteilung darüber hinaus dritte Personen Erwähnung fänden, seien auch deren Rechte zu wahren.
Das OLG habe anders als es ihm vom BGH aufgegeben worden sei, nicht zwischen der Richtigstellung einer ursprünglich rechtswidrigen Berichterstattung und einer nachträglichen Mitteilung wegen geänderter Umstände unterschieden. Der Sache nach verlange das OLG damit von der Presse, auch nach der Berichterstattung bekannt werdende Umstände allgemein zu verfolgen sowie von den Betroffenen neu vorgetragene Gesichtspunkte zu berücksichtigen und diese dann in Ergänzung ihrer früheren Berichterstattung zur Grundlage von – fremdformulierten – nachträglichen Mitteilungen zu machen. Dies sei mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.
Auch genüge der dem Nachrichtenmagazin durch das OLG auferlegte „Nachtrag” den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Inhalt, Form und Umfang nicht. In der Sache stelle dieser eine Berichtigung dar, die nur bei einer rechtswidrigen Berichterstattung zulässig sei. Insbesondere dürfe das Nachrichtenmagazin nicht dazu verpflichtet werden, von seiner ursprünglichen Berichterstattung abzurücken und zu erklären, dass es den Verdacht nicht mehr aufrechterhalte. Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen hätte die von einer kurzen Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung eingeleitete Mitteilung ausgereicht, dass das gegen den Betroffenen geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Mehr hätte von dem Nachrichtenmagazin unter Berücksichtigung seiner Meinungs- und Pressefreiheit nicht verlangt werden dürfen.
Zudem greife die Entscheidung des OLG in die Persönlichkeitsrechte Dritter ein, die in dem angeordneten „Nachtrag” identifizierbar erwähnt werden. Hierdurch werde der vor Jahren in Bezug auf diese geäußerte Verdacht wiederholt und erneut die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Für den hierin liegendem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der genannten Personen sei keine Rechtfertigung ersichtlich.