BVerfG, Beschl. 3.12.2020 - 1 BvR 2575/20
Keine Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des fachgerichtlichen Wegs
Autor: RA Martin Boden, LL.M., FA für Gewerblichen Rechtsschutz, FA für Urheber- und Medienrecht,www.boden-rechtsanwaelte.de
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 05/2021
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 05/2021
Die gezielte Nichtvorlage einer außergerichtlichen Reaktion auf eine Abmahnung im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfüllt den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs nach dem UWG. Dieser unterliegt dem fachgerichtlichen Rechtsweg.Für die rechtliche Begründung in einer außergerichtlichen Abmahnung und die rechtliche Begründung in einem darauf folgenden Verfügungsantrag ist keine Identität erforderlich.
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2, § 90 Abs. 2 Satz 1, § 92; UWG a.F. § 8Abs. 4; UWG § 8c
Die Verfassungsbeschwerde sei gem. § 90 Abs. 2 Satz1 BVEerfGG mangels ausreichender Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs unzulässig. Die Beschwerdeführerin sei gehalten, zunächst den Weg des Widerspruchsverfahrens und des Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung der einstweiligen Verfügung weiterzuverfolgen. Die Nichtvorlage ihrer außergerichtlichen Erwiderung durch den Antragsteller könne einen Fall des Rechtsmissbrauchs gem. § 8 Abs. 4 UWG a.F., seit 2.12.2020 § 8c UWG darstellen, wenn dem Antragsteller das Verschweigen der Erwiderung als planmäßig gezielte Gehörsvereitelung vorgeworfen werden könne. In diesem Fall wäre die einstweilige Verfügung durch das Fachgericht als unzulässig abzuweisen.
Es mangele auch an einem Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit durch das Gericht. Dieses sei durch den wahrheitswidrigen Vortrag des Antragstellers ebenfalls getäuscht worden. Erst bei Vorliegen der gesamten Korrespondenz hätte das Gericht sachgerecht über eine etwaig notwendige Anhörung entscheiden können. Die Abweichungen zwischen Abmahnung und Verfügungsantrag rechtfertigten keine ausnahmsweise Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung. Auch wenn der Antragsteller sein Unterlassungsbegehren abweichend formuliert habe, sei das jetzige konkret produktbezogene Unterlassungsverlangen bereits als Minus in dem außergerichtlich formulierten „Insbesondere-Antrag“ enthalten gewesen. Diese Abweichung sei nicht gravierend und führe nicht zu einer Verkürzung ihrer prozessualen Rechte.
Eine Identität der rechtlichen Begründung von Abmahnung und Antragsschrift sei nicht notwendig. Es sei unschädlich, dass der Antragsteller gegenüber der Abmahnung zusätzliche Normen anführe und damit evtl. auf das außergerichtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin reagiere. Eine Grenze sei erst dann zu ziehen, wenn der Verfügungsantrag den mit der Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände und Sachverhaltsumstände neu eingeführt werden.
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2, § 90 Abs. 2 Satz 1, § 92; UWG a.F. § 8Abs. 4; UWG § 8c
Die Entscheidung des Gerichts
Das BVerfG weist die Verfassungsbeschwerde durch Nichtannahmebeschluss ab.Die Verfassungsbeschwerde sei gem. § 90 Abs. 2 Satz1 BVEerfGG mangels ausreichender Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs unzulässig. Die Beschwerdeführerin sei gehalten, zunächst den Weg des Widerspruchsverfahrens und des Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung der einstweiligen Verfügung weiterzuverfolgen. Die Nichtvorlage ihrer außergerichtlichen Erwiderung durch den Antragsteller könne einen Fall des Rechtsmissbrauchs gem. § 8 Abs. 4 UWG a.F., seit 2.12.2020 § 8c UWG darstellen, wenn dem Antragsteller das Verschweigen der Erwiderung als planmäßig gezielte Gehörsvereitelung vorgeworfen werden könne. In diesem Fall wäre die einstweilige Verfügung durch das Fachgericht als unzulässig abzuweisen.
Es mangele auch an einem Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit durch das Gericht. Dieses sei durch den wahrheitswidrigen Vortrag des Antragstellers ebenfalls getäuscht worden. Erst bei Vorliegen der gesamten Korrespondenz hätte das Gericht sachgerecht über eine etwaig notwendige Anhörung entscheiden können. Die Abweichungen zwischen Abmahnung und Verfügungsantrag rechtfertigten keine ausnahmsweise Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung. Auch wenn der Antragsteller sein Unterlassungsbegehren abweichend formuliert habe, sei das jetzige konkret produktbezogene Unterlassungsverlangen bereits als Minus in dem außergerichtlich formulierten „Insbesondere-Antrag“ enthalten gewesen. Diese Abweichung sei nicht gravierend und führe nicht zu einer Verkürzung ihrer prozessualen Rechte.
Eine Identität der rechtlichen Begründung von Abmahnung und Antragsschrift sei nicht notwendig. Es sei unschädlich, dass der Antragsteller gegenüber der Abmahnung zusätzliche Normen anführe und damit evtl. auf das außergerichtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin reagiere. Eine Grenze sei erst dann zu ziehen, wenn der Verfügungsantrag den mit der Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände und Sachverhaltsumstände neu eingeführt werden.