BVerfG, Beschl. 9.11.2020 - 1 BvR 697/20
Zurechnung fiktiver Einkünfte zur Zahlung von Unterhalt für Minderjährige
Autor: VorsRiOLG Dr. Regina Bömelburg, Köln
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2021
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2021
Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus, dass subjektive Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen und die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sind.
BGB § 1603 Abs. 1, Abs. 2
Die Kindesmutter wurde im April 2017 zur Zahlung von Kindesunterhalt an ihre Tochter i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts verpflichtet. Einen Antrag des Beistands des Sohnes auf Zahlung des Mindestunterhalts wurde vom FamG wegen mangelnder Leistungsfähigkeit abgelehnt. Auf die Beschwerde des Sohnes verpflichtete das OLG die Bf, an ihren Sohn Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzgl. des hälftigen staatlichen Kindergelds zu zahlen. Die Leistungsfähigkeit der Bf ergebe sich aus fiktiven Einkünften, weil die Kindesmutter nicht mit hinreichender Substanz Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit beziehungsweise die Unfähigkeit zu solchen aufgrund einer Krankheit vorgetragen habe. Sie arbeite gegenwärtig 20 Wochenstunden und überschreite damit die ärztlich geratene Maximalgrenze von 16 Wochenarbeitsstunden. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Bf ihrem Ausbildungsberuf als Floristin bis zu einer Arbeitszeit von 48 Wochenstunden nachgehen könne.
BGB § 1603 Abs. 1, Abs. 2
Das Problem
Die Beschwerdeführerin (Bf) ist die Mutter einer minderjährigen Tochter und eines minderjährigen Sohnes, die beide im Haushalt des von der Kindesmutter getrennt lebenden Ehemanns leben und von diesem betreut werden. Die Kindesmutter ist ausgebildete Floristin, übt diesen Beruf jedoch seit langem nicht mehr aus. Seit Juli 2019 geht sie einer Teilzeitbeschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden nach und erhält ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Sie leidet an einer psychischen Erkrankung und nach Einschätzung der sie behandelnden Fachärztin neigt sie zur Selbstüberschätzung hinsichtlich ihrer Arbeitsfähigkeit; ferner ist ihre Erwerbsfähigkeit deutlich eingeschränkt und besteht für höchstens vier Stunden täglicher Arbeitszeit.Die Kindesmutter wurde im April 2017 zur Zahlung von Kindesunterhalt an ihre Tochter i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts verpflichtet. Einen Antrag des Beistands des Sohnes auf Zahlung des Mindestunterhalts wurde vom FamG wegen mangelnder Leistungsfähigkeit abgelehnt. Auf die Beschwerde des Sohnes verpflichtete das OLG die Bf, an ihren Sohn Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzgl. des hälftigen staatlichen Kindergelds zu zahlen. Die Leistungsfähigkeit der Bf ergebe sich aus fiktiven Einkünften, weil die Kindesmutter nicht mit hinreichender Substanz Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit beziehungsweise die Unfähigkeit zu solchen aufgrund einer Krankheit vorgetragen habe. Sie arbeite gegenwärtig 20 Wochenstunden und überschreite damit die ärztlich geratene Maximalgrenze von 16 Wochenarbeitsstunden. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Bf ihrem Ausbildungsberuf als Floristin bis zu einer Arbeitszeit von 48 Wochenstunden nachgehen könne.