Die Kirche als Arbeitgeber: Was Arbeitnehmer wissen müssen
13.07.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Rh - Anwalt-Suchservice Mit etwa 1,3 Millionen Arbeitnehmern sind die Kirchen - evangelisch und katholisch - der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland nach dem öffentlichen Dienst. Traditionell werden ihnen viele Sonderrechte eingeräumt, die kein anderer Arbeitgeber hat und die es auch in anderen Ländern in dieser Form nicht gibt. So hat nicht nur die Kirchenzugehörigkeit, sondern auch das außerdienstliche Verhalten der Mitarbeiter entscheidende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Nicht nur bei Bewerbungen werden kirchlich-moralische Maßstäbe berücksichtigt. Ein Kirchenaustritt, ein Leserbrief über das Thema Abtreibung oder das Heiraten eines Partners, der bereits geschieden ist, können schnell zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Aber: Wie passt all dies in die moderne Zeit, in der es klare Gesetze gegen Diskriminierung aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gibt?
Die Kirchen dürfen das arbeitsrechtliche Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern weitgehend frei regeln. Sie dürfen von ihren Mitarbeitern eine bestimmte religiöse Überzeugung verlangen plus einen den kirchlichen Moral- und Sittenvorstellungen entsprechenden Lebenswandel. Die Einstellung von Bewerbern können sie von deren Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft abhängig machen.
Für Arbeitnehmer der Kirchen können Beförderungen, Vertragsverlängerungen und Verbeamtungen von ihrem persönlichen Lebenswandel abhängig sein. Eine uneheliche Beziehung kann zum Beispiel die Karriere blockieren. Wer nach einer Scheidung neu heiratet, riskiert gar die Kündigung. Und natürlich können erst recht eine gleichgeschlechtliche Beziehung von Arbeitnehmern, eine ebensolche Eheschließung oder ein Outing zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.
Hinzu kommen Sonderregeln in vielen Bereichen. So findet bei den Kirchen keine Mitbestimmung durch Betriebsrat oder Personalrat statt. Es gibt stattdessen Mitarbeitervertretungen, die jedoch nach eigenen, kirchlichen Rechtsvorschriften gewählt werden und agieren.
Ihre Arbeitnehmer können die Kirchen als Angestellte oder als Beamte beschäftigen. Das Beamtenrecht weist jedoch Unterschiede zur staatlichen Variante auf. Ebenso ist das Tarifvertragsrecht für die Kirchen als Arbeitgeber abweichend vom außerkirchlichen Bereich geregelt. Daher sind Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks in der Regel nicht erlaubt.
Tatsächlich stammt das Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht der Kirchen noch aus der Weimarer Reichsverfassung (Art. 137 Abs.3). Es wurde über Artikel 140 in das heutige Grundgesetz übernommen. Die Sonderregeln haben sogar Eingang ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gefunden, welches unter anderem in Arbeitsverträgen eine Diskriminierung aus religiösen und weltanschaulichen Gründen verbietet. So gibt § 9 AGG den Kirchen erhebliche Sonderrechte zur Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern aus weltanschaulichen Gründen. Auch dürfen sie von ihren Beschäftigten "ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen".
Die oben beschriebenen Sonderrechte gelten für alle Organisationen und Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft, unabhängig von der Rechtsform. Sie gelten für alle Arbeitgeber, die Religionsgemeinschaften zugeordnet sind und die ihre Aufgabe in der Verbreitung des Glaubens sehen. Somit haben die Sonderrechte beispielsweise auch für die Verwaltung der Kirchen selbst Gültigkeit, sowie für kirchliche Jugendheime, Konfessionsschulen, kirchliche Verlage und Nachrichtenagenturen, Krankenhäuser, Seniorenheime oder auch für Einrichtungen wie die katholische Pax Bank eG.
2018 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einem Fall beschäftigt, der schon seit Jahren seinen Weg durch die deutschen Gerichtsinstanzen nimmt. Eine Frau hatte sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ausgeschriebene befristete Referentenstelle beworben. Dabei ging es um ein Projekt, bei dem ein Bericht zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung angefertigt werden sollte. Die Stellenausschreibung verlangte als Einstellungsvoraussetzung eine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche oder einer anderen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche. Allerdings war die Bewerberin konfessionslos.
Die Frau wurde deswegen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie verlangte daraufhin eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen einer Diskriminierung aus religiösen Gründen. In erster Instanz sprach ihr das Arbeitsgericht eine Entschädigung zu. Das Landesarbeitsgericht lehnte diese ab. Das Bundesarbeitsgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor.
2018 hat der EuGH im oben geschilderten Fall entschieden. Dem Gerichtshof zufolge steht es zwar staatlichen Gerichten in der Regel nicht zu, über das der hier vorliegenden Bewerbungsvoraussetzung zugrunde liegende Ethos selbst zu entscheiden. Allerdings könnten die Gerichte durchaus prüfen, ob diese Voraussetzung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche aufgrund der Art der jeweiligen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sei.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt sein. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie verlange eine Abwägung zwischen dem Autonomierecht der Kirchen und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht bei Einstellungen wegen ihrer Weltanschauung diskriminiert zu werden.
Fazit: Der EuGH gesteht staatlichen Gerichten das Recht zu, grundsätzlich zu prüfen, ob kirchliche Einstellungskriterien eine unzulässige Diskriminierung sind. Die Kirchen wiederum können nicht nach Belieben Bewerber ablehnen, sondern müssen ihre Einstellungsvoraussetzungen von sachlichen Abwägungen abhängig machen.
Für einen Arbeitsplatz mit religiösen oder seelsorgerischen Aufgaben oder bei dem die Kirche nach außen hin repräsentiert wird, dürfen die Kirchen demnach andere Anforderungen stellen, als an den Koch in der Kantine eines kirchlichen Betriebs, den Hausmeister oder den Buchhalter (EuGH, Urteil in der Rechtssache C - 414/16, Pressemitteilung vom 17.4.2018).
Der Fall ging zurück an das Bundesarbeitsgericht, das die Erwägungen des EuGH zu berücksichtigen hatte. Es hat entschieden, dass § 9 Abs. 1 Alternative 1 AGG, der eine Ungleichbehandlung aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ermöglicht, gegen das Europarecht verstößt und nicht anzuwenden ist. Allerdings kann eine Ungleichbehandlung immer noch mit § 9 Abs. 1 Alternative 2 AGG begründet werden, wenn diese nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Der Klägerin wurde ein Teil der geforderten Entschädigung zugesprochen (Urteil vom 25.10.2018, Az. 8 AZR 501/14).
Die Klägerin hat inzwischen Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 9 Abs. 1 AGG erhoben. Der Fall ist demnächst anhängig (BVerfG, Az. 2 BvR 934/19).
Ein Mitarbeiter einer Kinderbetreuungsstätte des katholischen Caritasverbandes war aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Kita betreute nachmittags Schulkinder bis 12 Jahre, deren Religion keine Rolle spielte. Es fand kein Religionsunterricht statt. Der Grund für den Kirchenaustritt des Arbeitnehmers waren hauptsächlich die zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen. Der kirchliche Arbeitgeber sah in dem Kirchenaustritt des Sozialpädagogen jedoch nur ein illoyales Verhalten. Daher wurde ihm umgehend gekündigt.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte diese Kündigung unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art. 137 Weimarer Reichsverfassung und Art. 140 Grundgesetz. Die Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen sei hier auch nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerechtfertigt. Denn: Der Arbeitnehmer sei im "verkündungsnahen Bereich" tätig gewesen. Er habe nicht nur in einem einzelnen Punkt Kritik geübt, sondern sich von der kompletten Organisation Kirche losgesagt (BAG, Urteil vom 25.4.2013, Az. 2 AZR 579/12).
Eine katholische Hebamme hatte einige Jahre an einem kirchlichen Krankenhaus gearbeitet und war dann ausgeschieden, um sich selbstständig zu machen. Gleichzeitig trat sie aus der Kirche aus. Ein paar Jahre später bewarb sie sich erneut. Beim Bewerbungsgespräch kam ihre Kirchenzugehörigkeit nicht zur Sprache. Sie wurde eingestellt. Erst bei Rücksendung des Arbeitsvertrages mit einem Personalfragebogen realisierte der Arbeitgeber, dass sie kein Kirchenmitglied war - und kündigte ihr sofort. Dagegen klagte die Hebamme - auch deshalb, weil in dem Krankenhaus durchaus auch Nicht-Kirchenmitglieder arbeiteten, einschließlich Hebammen. Diesen Fall legte das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor, die Entscheidung steht noch aus (Beschluss vom 21.7.2022, Az. 2 AZR 130/21 (A)).
Eine neue Zivilehe nach einer Scheidung verstößt gegen kirchliche Moralvorstellungen. Dies erfuhr auch der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses, der nach einer Scheidung wieder geheiratet hatte. Seine neue Ehe war aus kirchlicher Sicht ungültig. Ihm wurde wegen eines schweren Loyalitätsverstoßes gekündigt.
Nur beschäftigte der Krankenhausträger durchaus auch nicht katholische und wiederverheiratete Chefärzte. Das Bundesarbeitsgericht sah die Kündigung daher zunächst als unwirksam an, obwohl es grundsätzlich das Recht der Kirchen bestätigte, aus solchen Gründen zu kündigen. Schließlich landete der Fall beim Bundesverfassungsgericht, das das Urteil aufhob. Der Arbeitsvertrag des Arztes enthielt nämlich eine Klausel, nach welcher eine Kündigung aus solchen Gründen erlaubt war.
Das Bundesverfassungsgericht erarbeitete ein mehrstufiges Abwägungsverfahren der Rechte des Arbeitnehmers gegen die besonderen Rechte der Kirchen. Es betonte, dass das Bundesarbeitsgericht nicht selbst moralische Wertungen durchführen oder sich über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen dürfe (Beschluss vom 22. Oktober 2014, Az. 2 BvR 661/12).
Nach einem Ausflug zum Europäischen Gerichtshof, der die endgültige Entscheidung dem Bundesarbeitsgericht überließ, entschied dieses: Die Kündigung war unwirksam. Insbesondere sei die Klausel im Arbeitsvertrag des Chefarztes, nach der eine aus kirchlicher Sicht ungültige Eheschließung ein schwerer Loyalitätsverstoß im Arbeitsverhältnis sei, nicht rechtswirksam. Ein sachlicher Grund für die Kündigung habe nicht bestanden (Urteil vom 20.2.2019, Az. 2 AZR 746/14).
Streitpunkt ist immer wieder, inwieweit die Kirche als Arbeitgeber ihre moralischen Anforderungen herunterschrauben muss, weil ein Arbeitnehmer beruflich wenig oder gar nichts mit der Verkündung des Glaubens zu tun hat. Der Fall eines Organisten einer katholischen Kirchengemeinde kam auf eine Prozessdauer von 20 Jahren.
Der Mann hatte sich scheiden lassen und eine nicht eheliche Beziehung mit einer neuen Freundin begonnen. Als diese schwanger wurde, kündigte ihm sein kirchlicher Arbeitgeber wegen Verstoßes gegen Moral und Sitte und gegen den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe.
Mehrere deutsche Gerichte bestätigten die Kündigung des Kirchenmusikers. Er wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser betrachtete die Kündigung als Verstoß gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Nähe des Klägers zum Verkündungsauftrag der Kirche sei nicht ausreichend geprüft und die konkurrierenden Rechte und Interessen der Beteiligten seien nicht ausreichend gegeneinander abgewogen worden.
Allerdings bewirkte dieses Urteil nicht, dass der Kläger die gewünschte Entschädigung bekam. Der Streit ging also weiter. Mit dem Fall beschäftigte sich dreimal das Bundesarbeitsgericht, zweimal das Bundesverfassungsgericht und dreimal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Letztendlich scheiterte der Organist mit seiner Klage, da die Frist für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach der Entscheidung des EGMR abgelaufen war (LAG Düsseldorf, Urteil vom 5.5.2011, Az. 7 Sa 1427/10).
Tatsächlich ändert sich jedoch auch das Kirchenrecht. Die römisch-katholische Kirche hat mittlerweile ihre "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" geändert. Die Neufassung wurde am 27. April 2015 beschlossen und gilt seit 1.1.2016 in allen deutschen Bistümern. Darin steht unter anderem, dass besondere Loyalitätspflichten in Hinblick auf Wiederheirat und Eingehen einer Lebenspartnerschaft nur noch von katholischen Arbeitnehmern im pastoralen und katechetischen Bereich verlangt werden. Es scheint jedoch keine einheitliche Verfahrensweise bei der Frage zu geben, für welchen Personenkreis besondere Loyalitätspflichten bestehen.
Die Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 9. Dezember 2016 enthält weiterhin einen Passus, nach dem Arbeitnehmern bei Kirchenaustritt gekündigt werden kann. Ebenso ist eine Kündigung möglich, wenn Beschäftigte durch ihr Verhalten "die evangelische Kirche und ihre Ordnungen grob missachten oder sonst die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes" beeinträchtigen.
Wer eine Beschäftigung bei der Kirche anstrebt bzw. ausübt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass dort ein besonderes Arbeitsrecht gilt. Immer wieder wird hartnäckig um arbeitsrechtliche Fragen in Zusammenhang mit Verstößen gegen kirchliche Vorstellungen prozessiert. Es gibt Rechtsanwälte, die sich auf das Kirchenrecht spezialisiert haben, und die in Fällen aus diesem Bereich kompetent helfen können.
Das Wichtigste in Kürze
1. Sonderarbeitsrecht: Kirchliche Arbeitgeber haben auf Grundlage des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts weitreichende Freiheiten bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, die über das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Arbeitsrecht hinausgehen.
2. Kündigungsschutz: Tritt ein konfessionell gebundener Mitarbeiter aus der Kirche aus oder heiratet, darf ihm grundsätzlich gekündigt werden. Die Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen ist in der Kirche gerechtfertigt.
3. Konfessionslose Bewerber: Mitarbeiter, die nicht der Religion der Kirche angehören, werden regelmäßig nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Dies ist nur zulässig, wenn es angesichts des Ethos der betreffenden Kirche aufgrund der Art der jeweiligen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten und im Übrigen verhältnismäßig ist.
1. Sonderarbeitsrecht: Kirchliche Arbeitgeber haben auf Grundlage des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts weitreichende Freiheiten bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, die über das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Arbeitsrecht hinausgehen.
2. Kündigungsschutz: Tritt ein konfessionell gebundener Mitarbeiter aus der Kirche aus oder heiratet, darf ihm grundsätzlich gekündigt werden. Die Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen ist in der Kirche gerechtfertigt.
3. Konfessionslose Bewerber: Mitarbeiter, die nicht der Religion der Kirche angehören, werden regelmäßig nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Dies ist nur zulässig, wenn es angesichts des Ethos der betreffenden Kirche aufgrund der Art der jeweiligen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten und im Übrigen verhältnismäßig ist.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Welche Sonderrechte haben die Kirchen? Auf welcher rechtlichen Grundlage beruhen die Sonderrechte? Welche Arbeitgeber haben Sonderrechte bei religiöser Diskriminierung? Wie behandeln die Kirchen konfessionslose Bewerber? Was hat der Europäische Gerichtshof zu konfessionslosen Bewerbern entschieden? Wann führt ein Kirchenaustritt zur Kündigung? Darf ein Kirchenaustritt vor der Einstellung zur Kündigung führen? Ist eine Kündigung wegen einer zweiten Eheschließung wirksam? Der Organisten-Fall: Kündigung wegen unehelicher Beziehung Im Wandel der Zeiten: Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht? Praxistipp zur Kirche als Arbeitgeber Welche Sonderrechte haben die Kirchen?
Die Kirchen dürfen das arbeitsrechtliche Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern weitgehend frei regeln. Sie dürfen von ihren Mitarbeitern eine bestimmte religiöse Überzeugung verlangen plus einen den kirchlichen Moral- und Sittenvorstellungen entsprechenden Lebenswandel. Die Einstellung von Bewerbern können sie von deren Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft abhängig machen.
Für Arbeitnehmer der Kirchen können Beförderungen, Vertragsverlängerungen und Verbeamtungen von ihrem persönlichen Lebenswandel abhängig sein. Eine uneheliche Beziehung kann zum Beispiel die Karriere blockieren. Wer nach einer Scheidung neu heiratet, riskiert gar die Kündigung. Und natürlich können erst recht eine gleichgeschlechtliche Beziehung von Arbeitnehmern, eine ebensolche Eheschließung oder ein Outing zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.
Hinzu kommen Sonderregeln in vielen Bereichen. So findet bei den Kirchen keine Mitbestimmung durch Betriebsrat oder Personalrat statt. Es gibt stattdessen Mitarbeitervertretungen, die jedoch nach eigenen, kirchlichen Rechtsvorschriften gewählt werden und agieren.
Ihre Arbeitnehmer können die Kirchen als Angestellte oder als Beamte beschäftigen. Das Beamtenrecht weist jedoch Unterschiede zur staatlichen Variante auf. Ebenso ist das Tarifvertragsrecht für die Kirchen als Arbeitgeber abweichend vom außerkirchlichen Bereich geregelt. Daher sind Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks in der Regel nicht erlaubt.
Auf welcher rechtlichen Grundlage beruhen die Sonderrechte?
Tatsächlich stammt das Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht der Kirchen noch aus der Weimarer Reichsverfassung (Art. 137 Abs.3). Es wurde über Artikel 140 in das heutige Grundgesetz übernommen. Die Sonderregeln haben sogar Eingang ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gefunden, welches unter anderem in Arbeitsverträgen eine Diskriminierung aus religiösen und weltanschaulichen Gründen verbietet. So gibt § 9 AGG den Kirchen erhebliche Sonderrechte zur Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern aus weltanschaulichen Gründen. Auch dürfen sie von ihren Beschäftigten "ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen".
Welche Arbeitgeber haben Sonderrechte bei religiöser Diskriminierung?
Die oben beschriebenen Sonderrechte gelten für alle Organisationen und Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft, unabhängig von der Rechtsform. Sie gelten für alle Arbeitgeber, die Religionsgemeinschaften zugeordnet sind und die ihre Aufgabe in der Verbreitung des Glaubens sehen. Somit haben die Sonderrechte beispielsweise auch für die Verwaltung der Kirchen selbst Gültigkeit, sowie für kirchliche Jugendheime, Konfessionsschulen, kirchliche Verlage und Nachrichtenagenturen, Krankenhäuser, Seniorenheime oder auch für Einrichtungen wie die katholische Pax Bank eG.
Wie behandeln die Kirchen konfessionslose Bewerber?
2018 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einem Fall beschäftigt, der schon seit Jahren seinen Weg durch die deutschen Gerichtsinstanzen nimmt. Eine Frau hatte sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ausgeschriebene befristete Referentenstelle beworben. Dabei ging es um ein Projekt, bei dem ein Bericht zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung angefertigt werden sollte. Die Stellenausschreibung verlangte als Einstellungsvoraussetzung eine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche oder einer anderen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche. Allerdings war die Bewerberin konfessionslos.
Die Frau wurde deswegen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie verlangte daraufhin eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen einer Diskriminierung aus religiösen Gründen. In erster Instanz sprach ihr das Arbeitsgericht eine Entschädigung zu. Das Landesarbeitsgericht lehnte diese ab. Das Bundesarbeitsgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor.
Was hat der Europäische Gerichtshof zu konfessionslosen Bewerbern entschieden?
2018 hat der EuGH im oben geschilderten Fall entschieden. Dem Gerichtshof zufolge steht es zwar staatlichen Gerichten in der Regel nicht zu, über das der hier vorliegenden Bewerbungsvoraussetzung zugrunde liegende Ethos selbst zu entscheiden. Allerdings könnten die Gerichte durchaus prüfen, ob diese Voraussetzung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche aufgrund der Art der jeweiligen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sei.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt sein. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie verlange eine Abwägung zwischen dem Autonomierecht der Kirchen und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht bei Einstellungen wegen ihrer Weltanschauung diskriminiert zu werden.
Fazit: Der EuGH gesteht staatlichen Gerichten das Recht zu, grundsätzlich zu prüfen, ob kirchliche Einstellungskriterien eine unzulässige Diskriminierung sind. Die Kirchen wiederum können nicht nach Belieben Bewerber ablehnen, sondern müssen ihre Einstellungsvoraussetzungen von sachlichen Abwägungen abhängig machen.
Für einen Arbeitsplatz mit religiösen oder seelsorgerischen Aufgaben oder bei dem die Kirche nach außen hin repräsentiert wird, dürfen die Kirchen demnach andere Anforderungen stellen, als an den Koch in der Kantine eines kirchlichen Betriebs, den Hausmeister oder den Buchhalter (EuGH, Urteil in der Rechtssache C - 414/16, Pressemitteilung vom 17.4.2018).
Der Fall ging zurück an das Bundesarbeitsgericht, das die Erwägungen des EuGH zu berücksichtigen hatte. Es hat entschieden, dass § 9 Abs. 1 Alternative 1 AGG, der eine Ungleichbehandlung aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ermöglicht, gegen das Europarecht verstößt und nicht anzuwenden ist. Allerdings kann eine Ungleichbehandlung immer noch mit § 9 Abs. 1 Alternative 2 AGG begründet werden, wenn diese nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Der Klägerin wurde ein Teil der geforderten Entschädigung zugesprochen (Urteil vom 25.10.2018, Az. 8 AZR 501/14).
Die Klägerin hat inzwischen Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 9 Abs. 1 AGG erhoben. Der Fall ist demnächst anhängig (BVerfG, Az. 2 BvR 934/19).
Wann führt ein Kirchenaustritt zur Kündigung?
Ein Mitarbeiter einer Kinderbetreuungsstätte des katholischen Caritasverbandes war aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Kita betreute nachmittags Schulkinder bis 12 Jahre, deren Religion keine Rolle spielte. Es fand kein Religionsunterricht statt. Der Grund für den Kirchenaustritt des Arbeitnehmers waren hauptsächlich die zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen. Der kirchliche Arbeitgeber sah in dem Kirchenaustritt des Sozialpädagogen jedoch nur ein illoyales Verhalten. Daher wurde ihm umgehend gekündigt.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte diese Kündigung unter Berufung auf das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art. 137 Weimarer Reichsverfassung und Art. 140 Grundgesetz. Die Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen sei hier auch nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerechtfertigt. Denn: Der Arbeitnehmer sei im "verkündungsnahen Bereich" tätig gewesen. Er habe nicht nur in einem einzelnen Punkt Kritik geübt, sondern sich von der kompletten Organisation Kirche losgesagt (BAG, Urteil vom 25.4.2013, Az. 2 AZR 579/12).
Darf ein Kirchenaustritt vor der Einstellung zur Kündigung führen?
Eine katholische Hebamme hatte einige Jahre an einem kirchlichen Krankenhaus gearbeitet und war dann ausgeschieden, um sich selbstständig zu machen. Gleichzeitig trat sie aus der Kirche aus. Ein paar Jahre später bewarb sie sich erneut. Beim Bewerbungsgespräch kam ihre Kirchenzugehörigkeit nicht zur Sprache. Sie wurde eingestellt. Erst bei Rücksendung des Arbeitsvertrages mit einem Personalfragebogen realisierte der Arbeitgeber, dass sie kein Kirchenmitglied war - und kündigte ihr sofort. Dagegen klagte die Hebamme - auch deshalb, weil in dem Krankenhaus durchaus auch Nicht-Kirchenmitglieder arbeiteten, einschließlich Hebammen. Diesen Fall legte das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor, die Entscheidung steht noch aus (Beschluss vom 21.7.2022, Az. 2 AZR 130/21 (A)).
Ist eine Kündigung wegen einer zweiten Eheschließung wirksam?
Eine neue Zivilehe nach einer Scheidung verstößt gegen kirchliche Moralvorstellungen. Dies erfuhr auch der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses, der nach einer Scheidung wieder geheiratet hatte. Seine neue Ehe war aus kirchlicher Sicht ungültig. Ihm wurde wegen eines schweren Loyalitätsverstoßes gekündigt.
Nur beschäftigte der Krankenhausträger durchaus auch nicht katholische und wiederverheiratete Chefärzte. Das Bundesarbeitsgericht sah die Kündigung daher zunächst als unwirksam an, obwohl es grundsätzlich das Recht der Kirchen bestätigte, aus solchen Gründen zu kündigen. Schließlich landete der Fall beim Bundesverfassungsgericht, das das Urteil aufhob. Der Arbeitsvertrag des Arztes enthielt nämlich eine Klausel, nach welcher eine Kündigung aus solchen Gründen erlaubt war.
Das Bundesverfassungsgericht erarbeitete ein mehrstufiges Abwägungsverfahren der Rechte des Arbeitnehmers gegen die besonderen Rechte der Kirchen. Es betonte, dass das Bundesarbeitsgericht nicht selbst moralische Wertungen durchführen oder sich über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen dürfe (Beschluss vom 22. Oktober 2014, Az. 2 BvR 661/12).
Nach einem Ausflug zum Europäischen Gerichtshof, der die endgültige Entscheidung dem Bundesarbeitsgericht überließ, entschied dieses: Die Kündigung war unwirksam. Insbesondere sei die Klausel im Arbeitsvertrag des Chefarztes, nach der eine aus kirchlicher Sicht ungültige Eheschließung ein schwerer Loyalitätsverstoß im Arbeitsverhältnis sei, nicht rechtswirksam. Ein sachlicher Grund für die Kündigung habe nicht bestanden (Urteil vom 20.2.2019, Az. 2 AZR 746/14).
Der Organisten-Fall: Kündigung wegen unehelicher Beziehung
Streitpunkt ist immer wieder, inwieweit die Kirche als Arbeitgeber ihre moralischen Anforderungen herunterschrauben muss, weil ein Arbeitnehmer beruflich wenig oder gar nichts mit der Verkündung des Glaubens zu tun hat. Der Fall eines Organisten einer katholischen Kirchengemeinde kam auf eine Prozessdauer von 20 Jahren.
Der Mann hatte sich scheiden lassen und eine nicht eheliche Beziehung mit einer neuen Freundin begonnen. Als diese schwanger wurde, kündigte ihm sein kirchlicher Arbeitgeber wegen Verstoßes gegen Moral und Sitte und gegen den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe.
Mehrere deutsche Gerichte bestätigten die Kündigung des Kirchenmusikers. Er wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser betrachtete die Kündigung als Verstoß gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Nähe des Klägers zum Verkündungsauftrag der Kirche sei nicht ausreichend geprüft und die konkurrierenden Rechte und Interessen der Beteiligten seien nicht ausreichend gegeneinander abgewogen worden.
Allerdings bewirkte dieses Urteil nicht, dass der Kläger die gewünschte Entschädigung bekam. Der Streit ging also weiter. Mit dem Fall beschäftigte sich dreimal das Bundesarbeitsgericht, zweimal das Bundesverfassungsgericht und dreimal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Letztendlich scheiterte der Organist mit seiner Klage, da die Frist für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach der Entscheidung des EGMR abgelaufen war (LAG Düsseldorf, Urteil vom 5.5.2011, Az. 7 Sa 1427/10).
Im Wandel der Zeiten: Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht?
Tatsächlich ändert sich jedoch auch das Kirchenrecht. Die römisch-katholische Kirche hat mittlerweile ihre "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" geändert. Die Neufassung wurde am 27. April 2015 beschlossen und gilt seit 1.1.2016 in allen deutschen Bistümern. Darin steht unter anderem, dass besondere Loyalitätspflichten in Hinblick auf Wiederheirat und Eingehen einer Lebenspartnerschaft nur noch von katholischen Arbeitnehmern im pastoralen und katechetischen Bereich verlangt werden. Es scheint jedoch keine einheitliche Verfahrensweise bei der Frage zu geben, für welchen Personenkreis besondere Loyalitätspflichten bestehen.
Die Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie vom 9. Dezember 2016 enthält weiterhin einen Passus, nach dem Arbeitnehmern bei Kirchenaustritt gekündigt werden kann. Ebenso ist eine Kündigung möglich, wenn Beschäftigte durch ihr Verhalten "die evangelische Kirche und ihre Ordnungen grob missachten oder sonst die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes" beeinträchtigen.
Praxistipp zur Kirche als Arbeitgeber
Wer eine Beschäftigung bei der Kirche anstrebt bzw. ausübt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass dort ein besonderes Arbeitsrecht gilt. Immer wieder wird hartnäckig um arbeitsrechtliche Fragen in Zusammenhang mit Verstößen gegen kirchliche Vorstellungen prozessiert. Es gibt Rechtsanwälte, die sich auf das Kirchenrecht spezialisiert haben, und die in Fällen aus diesem Bereich kompetent helfen können.
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