Dokumentarische Filmaufnahme ist kein urheberrechtlich geschütztes Filmwerk
Autor: RA Béla von Raggamby, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Heller & Partner Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 07/2012
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 07/2012
Einer dokumentarischen Filmaufnahme, die das wirkliche Geschehen im Bild festhält, kann die erforderliche persönlich geistige Schöpfung nur zugebilligt werden, wenn die Verwendung von fotografischen Gestaltungselementen im Ergebnis ein individuelles Schaffen darstellt.
KG, Urt. v. 28.3.2012 - 24 U 81/11 (nrkr.)
Vorinstanz: LG Berlin, Urt. v. 20.5.2011 - 15 O 573/10
UrhG §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6, Abs. 2, 72; BGB § 242
Kein Filmwerk: Die streitgegenständliche Filmsequenz sei kein Filmwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG; sie erreiche die notwendige Schöpfungshöhe – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sog. „kleinen Münze” – nicht. Eine persönliche geistige Schöpfung i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG könne grundsätzlich auch einem Film zugebilligt werden, der darauf abzielt, ein wirkliches Geschehen im Bild festzuhalten. Dies setze im Ergebnis ein individuelles Schaffen, bspw. durch die Auswahl, Anordnung und Sammlung des Stoffes sowie der Art der Zusammenstellung der einzelnen Bildfolgen, voraus; die schematische Aneinanderreihung von Lichtbildern reiche nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1983 – I ZR 147/81 – Filmregisseur, MDR 1984, 734 = GRUR 1984, 730). Eigenschöpferische Gestaltungselemente lägen jedoch nicht vor; die streitgegenständliche Filmsequenz stelle eine Aufnahme eines aktuellen Ereignisses dar. Die Wirklichkeit bestimme die Ablaufregie. Der Kameramann E. habe keinen gestalterischen Einfluss auf die Bildfolge nehmen können; die Kameraführung sei durch das zu dokumentierende Geschehen weitestgehend vorgegeben gewesen.
Kein Lichtbildwerk: Voraussetzung für den Schutz von Filmeinzelbildern als Lichtbildwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG sei, dass ihnen eine kreative Entscheidung des Aufnehmenden zugrunde liege; dies erfordere den Einsatz fotografischer Gestaltungsmittel und sei hier nicht der Fall. Der fehlende Spielraum für kreative Entscheidungen betreffe nicht nur besagte Filmsequenz als solche, sondern ebenso die sie ergebenden Einzelbilder. Die Frage, ob bereits das „Abpassen des rechten Augenblicks” für eine einzelne Fotografie überhaupt als ausreichende Gestaltung angesehen werden könne, hat das OLG daher offen gelassen.
Kein Leistungsschutzrecht: Ebenso offen gelassen wurde, ob dem Kameramann E. ein Leistungsschutzrecht auch an Laufbildfolgen, die aus einer Vielzahl von Einzelbildern – die einzeln als Lichtbilder nach § 72 UrhG anzusehen sind – zusammengesetzt sind, obwohl diese Laufbildfolgen keine Werkqualität erreichen und im Zeitpunkt der Entstehung nicht geschützt waren.
Verwirkung der Ansprüche: Ein ggf. durch die Verletzung von Leistungsschutzrechten an der Filmsequenz entstandener Unterlassungsanspruch aus § 72 UrhG, sei nach § 242 BGB verwirkt. Die Verwirkung stelle einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens dar und betreffe nicht das Urheberrecht als solches, sondern nur die aus der Urheberrechtsverletzung folgenden Ansprüche. Der Verletzter müsse sich einen – im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigenden – so wertvollen Besitzstand geschaffen haben, dass es geboten erscheine, die Verwirkung des urheberrechtlichen Anspruchs in Betracht zu ziehen. Dem Rechtsinhaber wiederum müsse angesichts dieses wertvollen Besitzstandes offenbar sein, dass sein Schweigen vom Verletzer als Billigung oder sicherer Hinweis, der Rechteinhaber werde von der Verfolgung seiner Rechte absehen, angesehen werde (BGH, Urt. v. 13.2.1981 – I ZR 43/79 – Stühle und Tische, MDR 1981, 994 = GRUR 1981, 652 [653]). Ob eine besondere „Wertigkeit des Urheberrechts” im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen sei, lässt das OLG offen, da sich die Kläger hier nicht auf ein Urheberrecht, sondern allenfalls auf Leistungsschutzrechte berufen könnten (vgl. Wild in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 97 Rz. 200). Das für eine Verwirkung notwendige „Zeitmoment” sei angesichts der Nichtgeltendmachung der Ansprüche für einen Zeitraum von rund 48 Jahren zu bejahen und auch das erforderliche sog. „Umstandsmoment” sei gegeben. Der Kameramann E sei der einzige Kameramann vor Ort gewesen und die ihm zugeschriebenen Filmaufnahmen seien seit 1962 regelmäßig gesendet worden. Auch habe der Kameramann Kenntnis von der Überlassung zur Ausstrahlung gehabt, so dass es aus Sicht des beklagten Fernsehsenders äußerst fern liege, dass sich ein Rechteinhaber nicht um die Verwirklichung seiner Rechte bemüht hätte. Auch die für die Verwirkung erforderliche „Vertrauensinvestition” läge vor. Der Rechtsvorgänger des Fernsehsenders habe im Jahre 1996 einen Vergleich mit einem vermeintlichen Rechteinhaber über die Zahlung i.H.v. 500.000 DM über die auch zukünftige Nutzung u.a. der Filmsequenz „Tod des Peter Fechter an der Berliner Mauer” geschlossen und damit eine nicht unerhebliche Vermögensdisposition getroffen. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigten, dass etwaige Leistungsschutzrechte nach § 72 Abs. 3 Satz 1, Satz 2, § 69 UrhG mit Ablauf des 31.12.2012 (50 Jahre nach Ablauf des Jahres 1962) erlöschen. Die geltend gemachten Auskunfts- und Zahlungsansprüche seien aus diesen Erwägungen ebenfalls verwirkt.
KG, Urt. v. 28.3.2012 - 24 U 81/11 (nrkr.)
Vorinstanz: LG Berlin, Urt. v. 20.5.2011 - 15 O 573/10
UrhG §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6, Abs. 2, 72; BGB § 242
Das Problem:
Die Kläger nehmen aus übertragenem Recht des Kameramanns E. einen Fernsehsender auf Unterlassung der Verwertung einer Filmsequenz, die den Abtransport des an der Berliner Mauer im Jahre 1962 angeschossenen und tödlich verwundeten DDR-Bürgers Peter Fechtner zeigt, in Anspruch. Weiter fordern sie Auskunft und Feststellung der Verpflichtung des Fernsehsenders zum Wertersatz. Das LG Düsseldorf weist die Klage ab.Die Entscheidung des Gerichts:
Das OLG weist die Berufung zurück, da Ansprüche gem. §§ 97 Abs. 1, Abs. 2, 1 Nr. 5 und 6, 2 Abs. 2 UrhG nicht bestehen. (Ansprüche aus einem Leistungsschutzrecht für Laufbilder nach §§ 95, 94 UrhG schieden angesichts des fehlendes Schutzes vor 1965 aus).Kein Filmwerk: Die streitgegenständliche Filmsequenz sei kein Filmwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG; sie erreiche die notwendige Schöpfungshöhe – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sog. „kleinen Münze” – nicht. Eine persönliche geistige Schöpfung i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG könne grundsätzlich auch einem Film zugebilligt werden, der darauf abzielt, ein wirkliches Geschehen im Bild festzuhalten. Dies setze im Ergebnis ein individuelles Schaffen, bspw. durch die Auswahl, Anordnung und Sammlung des Stoffes sowie der Art der Zusammenstellung der einzelnen Bildfolgen, voraus; die schematische Aneinanderreihung von Lichtbildern reiche nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1983 – I ZR 147/81 – Filmregisseur, MDR 1984, 734 = GRUR 1984, 730). Eigenschöpferische Gestaltungselemente lägen jedoch nicht vor; die streitgegenständliche Filmsequenz stelle eine Aufnahme eines aktuellen Ereignisses dar. Die Wirklichkeit bestimme die Ablaufregie. Der Kameramann E. habe keinen gestalterischen Einfluss auf die Bildfolge nehmen können; die Kameraführung sei durch das zu dokumentierende Geschehen weitestgehend vorgegeben gewesen.
Kein Lichtbildwerk: Voraussetzung für den Schutz von Filmeinzelbildern als Lichtbildwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG sei, dass ihnen eine kreative Entscheidung des Aufnehmenden zugrunde liege; dies erfordere den Einsatz fotografischer Gestaltungsmittel und sei hier nicht der Fall. Der fehlende Spielraum für kreative Entscheidungen betreffe nicht nur besagte Filmsequenz als solche, sondern ebenso die sie ergebenden Einzelbilder. Die Frage, ob bereits das „Abpassen des rechten Augenblicks” für eine einzelne Fotografie überhaupt als ausreichende Gestaltung angesehen werden könne, hat das OLG daher offen gelassen.
Kein Leistungsschutzrecht: Ebenso offen gelassen wurde, ob dem Kameramann E. ein Leistungsschutzrecht auch an Laufbildfolgen, die aus einer Vielzahl von Einzelbildern – die einzeln als Lichtbilder nach § 72 UrhG anzusehen sind – zusammengesetzt sind, obwohl diese Laufbildfolgen keine Werkqualität erreichen und im Zeitpunkt der Entstehung nicht geschützt waren.
Verwirkung der Ansprüche: Ein ggf. durch die Verletzung von Leistungsschutzrechten an der Filmsequenz entstandener Unterlassungsanspruch aus § 72 UrhG, sei nach § 242 BGB verwirkt. Die Verwirkung stelle einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens dar und betreffe nicht das Urheberrecht als solches, sondern nur die aus der Urheberrechtsverletzung folgenden Ansprüche. Der Verletzter müsse sich einen – im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigenden – so wertvollen Besitzstand geschaffen haben, dass es geboten erscheine, die Verwirkung des urheberrechtlichen Anspruchs in Betracht zu ziehen. Dem Rechtsinhaber wiederum müsse angesichts dieses wertvollen Besitzstandes offenbar sein, dass sein Schweigen vom Verletzer als Billigung oder sicherer Hinweis, der Rechteinhaber werde von der Verfolgung seiner Rechte absehen, angesehen werde (BGH, Urt. v. 13.2.1981 – I ZR 43/79 – Stühle und Tische, MDR 1981, 994 = GRUR 1981, 652 [653]). Ob eine besondere „Wertigkeit des Urheberrechts” im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen sei, lässt das OLG offen, da sich die Kläger hier nicht auf ein Urheberrecht, sondern allenfalls auf Leistungsschutzrechte berufen könnten (vgl. Wild in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 97 Rz. 200). Das für eine Verwirkung notwendige „Zeitmoment” sei angesichts der Nichtgeltendmachung der Ansprüche für einen Zeitraum von rund 48 Jahren zu bejahen und auch das erforderliche sog. „Umstandsmoment” sei gegeben. Der Kameramann E sei der einzige Kameramann vor Ort gewesen und die ihm zugeschriebenen Filmaufnahmen seien seit 1962 regelmäßig gesendet worden. Auch habe der Kameramann Kenntnis von der Überlassung zur Ausstrahlung gehabt, so dass es aus Sicht des beklagten Fernsehsenders äußerst fern liege, dass sich ein Rechteinhaber nicht um die Verwirklichung seiner Rechte bemüht hätte. Auch die für die Verwirkung erforderliche „Vertrauensinvestition” läge vor. Der Rechtsvorgänger des Fernsehsenders habe im Jahre 1996 einen Vergleich mit einem vermeintlichen Rechteinhaber über die Zahlung i.H.v. 500.000 DM über die auch zukünftige Nutzung u.a. der Filmsequenz „Tod des Peter Fechter an der Berliner Mauer” geschlossen und damit eine nicht unerhebliche Vermögensdisposition getroffen. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigten, dass etwaige Leistungsschutzrechte nach § 72 Abs. 3 Satz 1, Satz 2, § 69 UrhG mit Ablauf des 31.12.2012 (50 Jahre nach Ablauf des Jahres 1962) erlöschen. Die geltend gemachten Auskunfts- und Zahlungsansprüche seien aus diesen Erwägungen ebenfalls verwirkt.