EGMR, Urt. 8.11.2022 - 64480/19

Diskriminierung wegen Größe und Gewicht – Nichtzulassung zum Studium der Militärmedizin

Autor: RA FAArbR Prof. Dr. Martin Reufels, LL.M.Ramona Segler, LL.M., Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2022
Wird eine Bewerberin mit der Begründung, dass sie nur 1,50 m groß sei und nur 44 kg wiege, nicht zur Aufnahmeprüfung für das Studium der Militärmedizin zugelassen, liegt darin eine entschädigungspflichtige Diskriminierung wegen der Größe i.S.v. Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 2 des ersten Protokolls zur EMRK.

EMRK Art. 14, 1. Protokoll zu Art. 2

Das Problem

Im Jahr 2018 bewarb sich die Klägerin für ein Studium der Militärmedizin an einer staatlichen Universität in Rumänien. Zu diesem Zweck unterzog sie sich der notwendigen medizinischen Untersuchung. Das Ministerium für nationale Verteidigung lehnte ihre Bewerbung mit der Begründung ab, dass ihre Größe und ihr Gewicht unterhalb der in dem einschlägigen Erlass (Verordnung Nr. M.55/2014) festgelegten Anforderungen lägen und sie daher nicht in der Lage sei, eine Standard-Soldatenausrüstung mit einem Gewicht von etwa 57 kg zu tragen.

Das erstinstanzliche nationale Gericht wies die Klage der Klägerin gegen die Ablehnung ihrer Bewerbung im Jahre 2018 ab. Auch die von der Klägerin gegen diese Entscheidung im Jahre 2019 eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Die nationalen Gerichte stellten insbesondere fest, dass der Fall keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellte, da für weibliche und männliche Bewerber unterschiedliche Anforderungen an Größe und Gewicht bestanden.

Die Klägerin hat gegen diese Entscheidung im Dezember 2019 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingelegt und die Feststellung begehrt, dass in der Ablehnung ihrer Bewerbung eine Diskriminierung wegen ihrer Größe und ihres Gewichts liege.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EGMR sieht in der Ablehnung der klägerischen Bewerbung eine Diskriminierung aufgrund der Größe der Bewerberin.

Die Größe als genetisches Merkmal stelle neben den in Art. 14 EMRK ausdrücklich genannten Diskriminierungsmerkmalen ebenfalls einen Umstand dar, aufgrund dessen eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung einer Person als konventionswidrige Diskriminierung anzusehen sei. Die Aufzählung der in Art. 14 EMRK genannten Diskriminierungsmerkmale sei lediglich beispielhaft und nicht abschließend. Zudem seien die genetischen Merkmale, zu denen auch die Größe zähle, ausdrücklich in Art. 21 GRCh, der ebenfalls ein Diskriminierungsverbot regele, genannt.

Die Auferlegung von Auswahlkriterien für den Zugang zur Hochschulbildung verstoße als solche nicht gegen die Anforderungen von Art. 2 des ersten Protokolls zur EMRK. Diese Feststellung gelte gleichermaßen für die Zulassung zu einer zivilen Universität und für die Zulassung zu militärischen Bildungseinrichtungen. Auch der Grundsatz der Interoperabilität, auf den sich die nationalen Behörden im vorliegenden Fall berufen haben, könne die Auferlegung von Beschränkungen für den Zugang zum Militärdienst grundsätzlich rechtfertigen.

Die vorgebrachte Begründung für die Ablehnung der Bewerbung sei jedoch nicht verhältnismäßig und ausreichend gewesen. Die nationalen Gerichte hätten keine Begründung für den Zusammenhang zwischen der Größe eines Bewerbers und dessen körperlicher Stärke sowie der Erforderlichkeit für konkrete Tätigkeiten geliefert. Sie hätten Ausführungen dazu machen müssen, welche konkreten Aufgaben eines Militärarztes körperliche Kraft und eine bestimmte Körpergröße erfordern.

Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 2 des ersten Protokolls zur EMRK sei daher zu bejahen und der Klägerin eine Entschädigung zu zahlen.


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