EuGH 10.9.2024 - C-48/22 P
Marktmachtmissbrauch bei bevorzugtem eigenen Preisvergleichsdienst
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2024
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2024
Die Praxis einer Onlinesuchmaschine, eigene Preisvergleichsdienste auf den allgemeinen Ergebnisseiten bevorzugt darzustellen und zugleich konkurrierende Preisvergleichsdienste herabzustufen, kann ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. Art. 102 AEUV sein.
AEUV Art. 102; EWR-Abkommen Art. 54
Marktmachtmissbrauch: Art. 102 AEUV verbiete die missbräuchliche Ausnutzung beherrschender Stellung auf zumindest wesentlichem Teil des Binnenmarkts, soweit dies den Handel beeinträchtigen könne. Praktiken von Marktbeherrschern, die durch Beschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Leistungswettbewerbs Verbrauchern unmittelbaren oder mittelbar schaden könnten, würden geahndet (Rz. 87 f. m.w.N.).
Missbräuchliche Zugangsverweigerung: Eine Verweigerung des Zugangs zur vom Marktbeherrscher für sich entwickelten Infrastruktur könne Marktmachtmissbrauch sein, wenn sie den Wettbewerb auf dem betreffenden Markt ohne objektive Rechtfertigung ausschließe. Zudem müsse die Infrastruktur für den Wettbewerber mangels tatsächlicher oder potentieller Alternative unentbehrlich sein (Rz. 89; vgl. etwa EuGH v. 26.11.1998 – C-7/97, ECLI:EU:C:1998:569 – Bronner Rz. 41, MMR 1999, 348 = CI 1999, 177).
Keine Zugangsverpflichtung: Bei der in Rede stehenden Infrastruktur handle es sich um die allgemeinen Ergebnislisten der Internetsuchmaschine, die Verkehr insb. zu den konkurrierenden Preisvergleichsdiensten erzeugten und die grundsätzlich offen sei. Google könne der Kommissionsanordnung auf verschiedene Weise nachkommen, sofern konkurrierende Preisvergleichsdienste denselben Methoden der Präsentation auf den allgemeinen Ergebnislisten unabhängig von der Ergebnisart (Boxen oder generische Ergebnisse) unterworfen würden und somit ebenso sichtbar wie die eigenen Dienste seien. Es gehe also um Diskriminierung auf den allgemeinen Ergebnislisten und nicht um Zugangsverschaffung zu den Boxen (Rz. 98–104).
Selbstbegünstigung mit Drittherabstufung: Die Boxen seien selbst bei hervorgehobener Darstellung keine von allgemeinen Ergebnislisten getrennte, eigenständige Infrastruktur. Zudem hätten die konkurrierenden Preisvergleichsdienste ungehinderten Zugang zu den allgemeinen Ergebnislisten (Rz. 105 ff.).
Diskriminierende Hebelwirkung beim Preisvergleich: Durch die Kombination von Selbstbegünstigung mit gleichzeitiger Konkurrentenherabstufung habe Google seine Beherrschung des mit hoher Zutrittsschranke behafteten Markts allgemeiner Suchdienste als Hebel genutzt, um auf dem Markt für Preisvergleichsdienste den eigenen Dienst zu begünstigen. Dies habe zu einer tatsächlichen oder potentiellen Verdrängung des Wettbewerbs auf diesem nachgelagerten Markt geführt (Rz. 108).
Unanwendbare Kriterien der Lieferverweigerung: Die Voraussetzungen des Bronner-Urteils beträfen die Zugangsverweigerung (vgl. Rz. 89) und seien nicht auf die Verknüpfung unangemessener Bedingungen mit der Zugangsgewährung anwendbar. Die diskriminierende Hebelwirkung könne auch ohne Erfüllung dieser Voraussetzungen eine eigenständige Form des Marktmachtmissbrauchs sein. Unfaire Zugangsbedingungen könnten zumindest potentiell den Wettbewerb behindern, selbst wenn Infrastruktur, Dienstleistung oder Vorleistungsgut nicht zwingend für die wirtschaftliche Tätigkeit auf einem nachgelagerten Markt unerlässlich seien. Solche Praktiken könnten nicht mit einer Zugangsverweigerung gleichgesetzt werden, da der Marktbeherrscher nicht mit stärkerem Eingriff in Vertragsfreiheit und Eigentum zur Zugangsgewährung gezwungen werden müsse (Rz. 91, 109–112 m.w.N.).
Hebelmissbrauch bei Leistungswettbewerbswidrigkeit: Die vom Marktbeherrscher angewandten Hebelwirkungen seien als solche nach Art. 102 AEUV nicht verboten. Der sachliche Anwendungsbereich der besonderen Verantwortung des Marktbeherrschers sei anhand der geschwächten Wettbewerb kennzeichnenden, spezifischen Einzelfallumstände zu ermitteln. Der Hebelmissbrauch sei nicht allein auf Verdrängungswirkungen gestützt worden, sondern zum einen auf wettbewerbsrechtlich bedenkliche Aspekte ungerechtfertigter Ungleichbehandlung und zum anderen auf relevante spezifische Umstände der diskriminierenden Art der Infrastruktur, was den Schluss auf einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV zugelassen habe (Rz. 157 f.).
Suchmaschinenverkehr: Bei diesen spezifischen Umständen handle es sich erstens um die Bedeutung des von der Internetsuchmaschine ausgehenden Verkehrs zu den Preisvergleichsdiensten. Dieser Verkehr ermögliche die Ausnutzung positiver Netzwerkeffekte, weil ein Preisvergleichsdienst umso mehr Besuche erhalte, je größer sein Nutzen für Internetnutzer sei und je mehr Händler zur Inanspruchnahme neigten. Der Rückgang der Besucherzahlen könne in einer Abwärtsspirale langfristig zu einem Marktaustritt führen (Rz. 159).
Nutzerverhalten: Zweitens konzentrierten sich die Nutzer der Suchmaschine üblicherweise auf die ersten drei bis fünf Suchergebnisse, schenkten den nachfolgenden Ergebnissen insb. unterhalb des unmittelbar sichtbaren Bildschirmteils nur wenig Aufmerksamkeit und betrachteten die am besten sichtbaren Ergebnisse unabhängig von ihrer tatsächlichen Bedeutung als die relevantesten (Rz. 160).
Mangelnde Substituierbarkeit: Drittens mache der Internetsuchmaschinenverkehr einen großen Teil des Verkehrs zu den konkurrierenden Preisvergleichsdiensten aus und könne nicht wirksam durch andere Quellen, wie Textanzeigen, Apps, Direktverkehr, Partner-Websites, soziale Netze oder andere Suchmaschinen, ersetzt werden. Die Bedeutung des Internetsuchmaschinenverkehrs und dessen mangelnde Substitution seien relevante Merkmale der möglichen Leistungswettbewerbswidrigkeit (Rz. 161 f.).
Verantwortung des Marktbeherrschers: Auch wenn der Marktbeherrscher für die Wahrung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt verantwortlich sei, so sei nicht dessen Marktbeherrschung zu beanstanden, sondern nur deren missbräuchliche Ausnutzung. Art. 102 AEUV solle weder die Erlangung von Marktbeherrschung durch eigene Leistung verhindern noch die Erhaltung weniger effizienter Wettbewerber gewährleisten (Rz. 163 f. m.w.N.).
Nachweis des Marktmachtmissbrauchs: Für den Marktmachtmissbrauch sei i.d.R. nachzuweisen, dass eine leistungswettbewerbswidrige Praxis konkret tatsächlich oder potentiell den Wettbewerb auf beherrschten, verbundenen oder benachbarten Märkten einschränke, indem ebenso leistungsfähige Wettbewerber verdrängt oder deren Entwicklung verhindert würden (Rz. 165 m.w.N.).
Verhaltensabhängiges Prüfungsschema: Dieser von der Art der Praxis abhängige Nachweis könne verschiedene Prüfungsschemata umfassen, müsse jedoch stets unter Würdigung aller relevanten tatsächlichen Umstände zu Praxis, ihrem Kontext (Sektormerkmale), Märkten oder dem Funktionieren des Wettbewerbs dort geführt werden. Außerdem müssten mit genauen und konkreten Analyse- und Beweiselementen zumindest potentielle Verdrängungswirkungen nachgewiesen werden. Statt Verdrängung könne Marktmachtmissbrauch auch in Praktiken bestehen, die tatsächlich oder potentiell darauf abzielten oder bewirkten, Wettbewerber durch Zugangshürden oder andere leistungswettbewerbsfremde Abschottungsmaßnahmen am Marktzugang zu hindern und so zum Nachteil der Verbraucher Produktion, Innovation oder die Entwicklung alternativer Produkte einzuschränken (Rz. 166 ff. m.w.N.).
Kontextmerkmale fehlenden Leistungswettbewerbs: Die spezifischen Umstände von Verkehrsbedeutung, Nutzerverhalten und Substitutionsproblemen stellten Aspekte des Praxiskontexts dar, in dem Internetsuchmaschine und Preisvergleichsdienste funktionierten. Sie bezögen sich nicht allein auf Praxisauswirkungen oder -zusammenhänge, sondern könnten die Leistungswettbewerbswidrigkeit kennzeichnen. So sei nachgewiesen worden, dass die Verdrängungswirkungen auf dem nachgelagerten Preisvergleichsmarkt sowie der Erfolg von Googles Preisvergleichsdienst nicht auf dessen Leistungsfähigkeit, sondern auf Praktiken und spezifische Umstände zurückzuführen seien (Rz. 169–172).
Kriterien wettbewerbswidriger Selbstbegünstigung: Aufgrund der Kombination der spezifischen Umstände habe die Selbstbegünstigung den Wettbewerb schwächen können, so dass die Praxis als leistungswettbewerbswidrig einzustufen sei. Diese Praxis sei durch Hebelwirkung vom beherrschten Markt mit hohen Zutrittsschranken für Wettbewerbsvorteile auf dem nachgelagerten Markt verwirklicht worden. Eine Selbstbegünstigung des Marktbeherrschers sei nicht generell leistungswettbewerbswidrig, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Einzelfallumstände. Solche Umstände seien in der gleichzeitigen Herabstufung der Ergebnisse der Konkurrenten in Anbetracht der Merkmale des vorgelagerten Markts und der festgestellten spezifischen Umstände zu erkennen (Rz. 183–187).
Keine objektive Rechtfertigung: Das EuG habe kohärent festgestellt, dass die unterschiedliche Behandlung insb. durch die algorithmische Herabstufung auf der Herkunft und nicht dem Inhalt der Ergebnisse beruht habe. Der Feststellung der Gleichbehandlungsmöglichkeit unter Wahrung von Zuverlässigkeit und Qualität sei nicht wirksam entgegengetreten worden (Rz. 188–192).
Nicht tragende neue gerichtliche Kriterien: EuG und Kommission seien somit insgesamt nicht rechtsfehlerhaft von leistungswettbewerbswidriger Diskriminierung ausgegangen. Zwar habe das EuG eigenständige Erwägungen zur Anomalie bzgl. der grundsätzlich offenen Infrastruktur der Internetsuchmaschine, zu deren superdominanter Marktmacht sowie zur obligatorischen Gleichbehandlung i.S.d. Netzneutralitäts-VO 2015/2120 angestellt. Doch seien diese Erwägungen nur ergänzend und nicht erforderlich gewesen (Rz. 193–198).
Potentiell wettbewerbswidrige Auswirkungen: Die Praktiken hätten zum Rückgang des Suchmaschinenverkehrs zu den Konkurrenzdiensten in 13 EWR-Ländern geführt. Die potentiellen Auswirkungen bestünden in der Gefahr der Tätigkeitseinstellung der Konkurrenten sowie in negativen Folgen für Innovation und den Zugang der Verbraucher zu den leistungsfähigsten Diensten (Rz. 219 f.).
Kriterien des Kausalzusammenhangs: Die Feststellung der potentiellen oder tatsächlichen Verhaltensauswirkungen lasse sich auf die tatsächliche Entwicklung des oder der betroffenen Märkte stützen. Werde ein Zusammenhang zwischen ihr und den Praktiken festgestellt, könnten zusätzliche Gesichtspunkte zum Nachweis des Kausalzusammenhangs geeignet sein (z.B. Einschätzungen von Marktteilnehmern), wie dies vorliegend hinsichtlich des Rückgangs des Suchmaschinenverkehrs der Fall gewesen sei (Rz. 225 f.).
Kein zwingend kontrafaktisches Szenario: Ein Unternehmen könne zur Widerlegung der angenommenen potentiellen oder tatsächlichen Verhaltensauswirkungen eine kontrafaktische Analyse vorlegen. Die Kommission könne sich auf eine Reihe von Beweisen stützen, ohne i.R.v. Art. 102 AEUV zum systematischen Rückgriff auf ein einziges Nachweismittel, wie einer kontrafaktischen Analyse, verpflichtet zu sein (Rz. 227 ff.; vgl. Rz. 165 ff. m.w.N.; vgl. aber „Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. [102 AEUV] auf Fälle von Behinderungsmissbrauch“, ABl. C 45 v. 24.2.2009, S. 7 Rz. 21).
Keine isolierte kontrafaktische Analyse: Eigene Verkehrszunahme und der Rückgang bei den Konkurrenzdiensten seien ursächlich für die potentiellen Verhaltensauswirkungen gewesen. Da diese Verkehrsveränderungen auf der kombinierten Anwendung der Selbstbevorzugung und der Herabstufung der Konkurrenzdienste beruht hätten, müsse ein geeignetes kontrafaktisches Szenario auf der wahrscheinlichen Marktentwicklung ohne diese beiden Praktiken kumulativ und nicht nur alternativ beruhen. Deshalb spielten weder die festgestellte mangelnde Veränderung des Suchmaschinenverkehrs durch die bloße Abschaffung der Boxen noch fehlende wettbewerbsrechtliche Einwände gegen isolierte Verhaltensweisen eine durchgreifende Rolle (Rz. 237 f., 244-247).
Keine zwingende Prüfung der Wettbewerbereffizienz: Dass Art. 102 AEUV weniger leistungsfähige Unternehmen als den Marktbeherrscher nicht schütze, bedeute nicht, dass stets der Nachweis potentieller Verdrängung eines ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers durch eine systematische Prüfung seiner tatsächlichen oder hypothetischen Leistungsfähigkeit erforderlich sei (Rz. 263 f.; vgl. Rz. 163–167 m.w.N.).
Kriterium des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers: Wenn der Marktbeherrscher im Verwaltungsverfahren mit Nachweisen darlege, dass seine Praktiken mangels Verdrängungswirkungen nicht gem. Art. 102 AEUV wettbewerbsbeschränkend gewesen seien, müsse die Kommission nicht nur das Ausmaß der Marktbeherrschung, sondern auch die mögliche strategische Verdrängung mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber prüfen. Wegen der Beweislast der Kommission habe sie den Marktmachtmissbrauch anhand verschiedener Kriterien zu beweisen. Zu diesen gehöre der As-Efficient-Competitor-Test (AEC-Test) nur dann, wenn er relevant sei, was ggf. durch den Unionsrichter zu beurteilen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall (Rz. 265–269 m.w.N.).
AEUV Art. 102; EWR-Abkommen Art. 54
Das Problem
Die seit 2008 in 13 Ländern des EWR marktbeherrschende Internetsuchmaschine Google zeigte i.R.d. Integration vertikaler Suchdienste (z.B. zu News, Lokalem, Shopping oder Flugreisen) auf seinen Suchergebnisseiten oben oder rechts in einer Box in erweitertem Format Angebote des eigenen Preisvergleichsdienstes an, von denen Nutzer teils zu diesem Dienst weitergeleitet wurden. Gleichzeitig wurden konkurrierende Preisvergleichsdienste in den „blauen Links“ der generischen Suchergebnisse durch den Panda-Algorithmus mangels Originalinhalten herabgestuft, wodurch deren Sichtbarkeit erheblich beeinträchtigt wurde. Die EU-Kommission eröffnete am 30.11.2010 ein Verwaltungsverfahren und verfügte mit Beschl. v. 27.6.2017 gegenüber Google gem. Art. 102 AEUV i.V.m. Art. 54 EWR-Abkommen die Einstellung der Diskriminierung samt Geldbuße i.H.v. 2,42 Mrd. Euro. Dies wurde angesichts der Schwere des Verstoßes vom EuG bestätigt, obwohl dessen Auswirkungen nicht für alle nationalen Märkte ausreichend nachgewiesen worden waren.Die Entscheidung des Gerichts
Die erstinstanzliche Abweisung der Nichtigkeitsklage von Google LLC und Alphabet Inc. gegen den Beschluss der Kommission wurde bestätigt.Marktmachtmissbrauch: Art. 102 AEUV verbiete die missbräuchliche Ausnutzung beherrschender Stellung auf zumindest wesentlichem Teil des Binnenmarkts, soweit dies den Handel beeinträchtigen könne. Praktiken von Marktbeherrschern, die durch Beschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Leistungswettbewerbs Verbrauchern unmittelbaren oder mittelbar schaden könnten, würden geahndet (Rz. 87 f. m.w.N.).
Missbräuchliche Zugangsverweigerung: Eine Verweigerung des Zugangs zur vom Marktbeherrscher für sich entwickelten Infrastruktur könne Marktmachtmissbrauch sein, wenn sie den Wettbewerb auf dem betreffenden Markt ohne objektive Rechtfertigung ausschließe. Zudem müsse die Infrastruktur für den Wettbewerber mangels tatsächlicher oder potentieller Alternative unentbehrlich sein (Rz. 89; vgl. etwa EuGH v. 26.11.1998 – C-7/97, ECLI:EU:C:1998:569 – Bronner Rz. 41, MMR 1999, 348 = CI 1999, 177).
Keine Zugangsverpflichtung: Bei der in Rede stehenden Infrastruktur handle es sich um die allgemeinen Ergebnislisten der Internetsuchmaschine, die Verkehr insb. zu den konkurrierenden Preisvergleichsdiensten erzeugten und die grundsätzlich offen sei. Google könne der Kommissionsanordnung auf verschiedene Weise nachkommen, sofern konkurrierende Preisvergleichsdienste denselben Methoden der Präsentation auf den allgemeinen Ergebnislisten unabhängig von der Ergebnisart (Boxen oder generische Ergebnisse) unterworfen würden und somit ebenso sichtbar wie die eigenen Dienste seien. Es gehe also um Diskriminierung auf den allgemeinen Ergebnislisten und nicht um Zugangsverschaffung zu den Boxen (Rz. 98–104).
Selbstbegünstigung mit Drittherabstufung: Die Boxen seien selbst bei hervorgehobener Darstellung keine von allgemeinen Ergebnislisten getrennte, eigenständige Infrastruktur. Zudem hätten die konkurrierenden Preisvergleichsdienste ungehinderten Zugang zu den allgemeinen Ergebnislisten (Rz. 105 ff.).
Diskriminierende Hebelwirkung beim Preisvergleich: Durch die Kombination von Selbstbegünstigung mit gleichzeitiger Konkurrentenherabstufung habe Google seine Beherrschung des mit hoher Zutrittsschranke behafteten Markts allgemeiner Suchdienste als Hebel genutzt, um auf dem Markt für Preisvergleichsdienste den eigenen Dienst zu begünstigen. Dies habe zu einer tatsächlichen oder potentiellen Verdrängung des Wettbewerbs auf diesem nachgelagerten Markt geführt (Rz. 108).
Unanwendbare Kriterien der Lieferverweigerung: Die Voraussetzungen des Bronner-Urteils beträfen die Zugangsverweigerung (vgl. Rz. 89) und seien nicht auf die Verknüpfung unangemessener Bedingungen mit der Zugangsgewährung anwendbar. Die diskriminierende Hebelwirkung könne auch ohne Erfüllung dieser Voraussetzungen eine eigenständige Form des Marktmachtmissbrauchs sein. Unfaire Zugangsbedingungen könnten zumindest potentiell den Wettbewerb behindern, selbst wenn Infrastruktur, Dienstleistung oder Vorleistungsgut nicht zwingend für die wirtschaftliche Tätigkeit auf einem nachgelagerten Markt unerlässlich seien. Solche Praktiken könnten nicht mit einer Zugangsverweigerung gleichgesetzt werden, da der Marktbeherrscher nicht mit stärkerem Eingriff in Vertragsfreiheit und Eigentum zur Zugangsgewährung gezwungen werden müsse (Rz. 91, 109–112 m.w.N.).
Hebelmissbrauch bei Leistungswettbewerbswidrigkeit: Die vom Marktbeherrscher angewandten Hebelwirkungen seien als solche nach Art. 102 AEUV nicht verboten. Der sachliche Anwendungsbereich der besonderen Verantwortung des Marktbeherrschers sei anhand der geschwächten Wettbewerb kennzeichnenden, spezifischen Einzelfallumstände zu ermitteln. Der Hebelmissbrauch sei nicht allein auf Verdrängungswirkungen gestützt worden, sondern zum einen auf wettbewerbsrechtlich bedenkliche Aspekte ungerechtfertigter Ungleichbehandlung und zum anderen auf relevante spezifische Umstände der diskriminierenden Art der Infrastruktur, was den Schluss auf einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV zugelassen habe (Rz. 157 f.).
Suchmaschinenverkehr: Bei diesen spezifischen Umständen handle es sich erstens um die Bedeutung des von der Internetsuchmaschine ausgehenden Verkehrs zu den Preisvergleichsdiensten. Dieser Verkehr ermögliche die Ausnutzung positiver Netzwerkeffekte, weil ein Preisvergleichsdienst umso mehr Besuche erhalte, je größer sein Nutzen für Internetnutzer sei und je mehr Händler zur Inanspruchnahme neigten. Der Rückgang der Besucherzahlen könne in einer Abwärtsspirale langfristig zu einem Marktaustritt führen (Rz. 159).
Nutzerverhalten: Zweitens konzentrierten sich die Nutzer der Suchmaschine üblicherweise auf die ersten drei bis fünf Suchergebnisse, schenkten den nachfolgenden Ergebnissen insb. unterhalb des unmittelbar sichtbaren Bildschirmteils nur wenig Aufmerksamkeit und betrachteten die am besten sichtbaren Ergebnisse unabhängig von ihrer tatsächlichen Bedeutung als die relevantesten (Rz. 160).
Mangelnde Substituierbarkeit: Drittens mache der Internetsuchmaschinenverkehr einen großen Teil des Verkehrs zu den konkurrierenden Preisvergleichsdiensten aus und könne nicht wirksam durch andere Quellen, wie Textanzeigen, Apps, Direktverkehr, Partner-Websites, soziale Netze oder andere Suchmaschinen, ersetzt werden. Die Bedeutung des Internetsuchmaschinenverkehrs und dessen mangelnde Substitution seien relevante Merkmale der möglichen Leistungswettbewerbswidrigkeit (Rz. 161 f.).
Verantwortung des Marktbeherrschers: Auch wenn der Marktbeherrscher für die Wahrung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt verantwortlich sei, so sei nicht dessen Marktbeherrschung zu beanstanden, sondern nur deren missbräuchliche Ausnutzung. Art. 102 AEUV solle weder die Erlangung von Marktbeherrschung durch eigene Leistung verhindern noch die Erhaltung weniger effizienter Wettbewerber gewährleisten (Rz. 163 f. m.w.N.).
Nachweis des Marktmachtmissbrauchs: Für den Marktmachtmissbrauch sei i.d.R. nachzuweisen, dass eine leistungswettbewerbswidrige Praxis konkret tatsächlich oder potentiell den Wettbewerb auf beherrschten, verbundenen oder benachbarten Märkten einschränke, indem ebenso leistungsfähige Wettbewerber verdrängt oder deren Entwicklung verhindert würden (Rz. 165 m.w.N.).
Verhaltensabhängiges Prüfungsschema: Dieser von der Art der Praxis abhängige Nachweis könne verschiedene Prüfungsschemata umfassen, müsse jedoch stets unter Würdigung aller relevanten tatsächlichen Umstände zu Praxis, ihrem Kontext (Sektormerkmale), Märkten oder dem Funktionieren des Wettbewerbs dort geführt werden. Außerdem müssten mit genauen und konkreten Analyse- und Beweiselementen zumindest potentielle Verdrängungswirkungen nachgewiesen werden. Statt Verdrängung könne Marktmachtmissbrauch auch in Praktiken bestehen, die tatsächlich oder potentiell darauf abzielten oder bewirkten, Wettbewerber durch Zugangshürden oder andere leistungswettbewerbsfremde Abschottungsmaßnahmen am Marktzugang zu hindern und so zum Nachteil der Verbraucher Produktion, Innovation oder die Entwicklung alternativer Produkte einzuschränken (Rz. 166 ff. m.w.N.).
Kontextmerkmale fehlenden Leistungswettbewerbs: Die spezifischen Umstände von Verkehrsbedeutung, Nutzerverhalten und Substitutionsproblemen stellten Aspekte des Praxiskontexts dar, in dem Internetsuchmaschine und Preisvergleichsdienste funktionierten. Sie bezögen sich nicht allein auf Praxisauswirkungen oder -zusammenhänge, sondern könnten die Leistungswettbewerbswidrigkeit kennzeichnen. So sei nachgewiesen worden, dass die Verdrängungswirkungen auf dem nachgelagerten Preisvergleichsmarkt sowie der Erfolg von Googles Preisvergleichsdienst nicht auf dessen Leistungsfähigkeit, sondern auf Praktiken und spezifische Umstände zurückzuführen seien (Rz. 169–172).
Kriterien wettbewerbswidriger Selbstbegünstigung: Aufgrund der Kombination der spezifischen Umstände habe die Selbstbegünstigung den Wettbewerb schwächen können, so dass die Praxis als leistungswettbewerbswidrig einzustufen sei. Diese Praxis sei durch Hebelwirkung vom beherrschten Markt mit hohen Zutrittsschranken für Wettbewerbsvorteile auf dem nachgelagerten Markt verwirklicht worden. Eine Selbstbegünstigung des Marktbeherrschers sei nicht generell leistungswettbewerbswidrig, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Einzelfallumstände. Solche Umstände seien in der gleichzeitigen Herabstufung der Ergebnisse der Konkurrenten in Anbetracht der Merkmale des vorgelagerten Markts und der festgestellten spezifischen Umstände zu erkennen (Rz. 183–187).
Keine objektive Rechtfertigung: Das EuG habe kohärent festgestellt, dass die unterschiedliche Behandlung insb. durch die algorithmische Herabstufung auf der Herkunft und nicht dem Inhalt der Ergebnisse beruht habe. Der Feststellung der Gleichbehandlungsmöglichkeit unter Wahrung von Zuverlässigkeit und Qualität sei nicht wirksam entgegengetreten worden (Rz. 188–192).
Nicht tragende neue gerichtliche Kriterien: EuG und Kommission seien somit insgesamt nicht rechtsfehlerhaft von leistungswettbewerbswidriger Diskriminierung ausgegangen. Zwar habe das EuG eigenständige Erwägungen zur Anomalie bzgl. der grundsätzlich offenen Infrastruktur der Internetsuchmaschine, zu deren superdominanter Marktmacht sowie zur obligatorischen Gleichbehandlung i.S.d. Netzneutralitäts-VO 2015/2120 angestellt. Doch seien diese Erwägungen nur ergänzend und nicht erforderlich gewesen (Rz. 193–198).
Potentiell wettbewerbswidrige Auswirkungen: Die Praktiken hätten zum Rückgang des Suchmaschinenverkehrs zu den Konkurrenzdiensten in 13 EWR-Ländern geführt. Die potentiellen Auswirkungen bestünden in der Gefahr der Tätigkeitseinstellung der Konkurrenten sowie in negativen Folgen für Innovation und den Zugang der Verbraucher zu den leistungsfähigsten Diensten (Rz. 219 f.).
Kriterien des Kausalzusammenhangs: Die Feststellung der potentiellen oder tatsächlichen Verhaltensauswirkungen lasse sich auf die tatsächliche Entwicklung des oder der betroffenen Märkte stützen. Werde ein Zusammenhang zwischen ihr und den Praktiken festgestellt, könnten zusätzliche Gesichtspunkte zum Nachweis des Kausalzusammenhangs geeignet sein (z.B. Einschätzungen von Marktteilnehmern), wie dies vorliegend hinsichtlich des Rückgangs des Suchmaschinenverkehrs der Fall gewesen sei (Rz. 225 f.).
Kein zwingend kontrafaktisches Szenario: Ein Unternehmen könne zur Widerlegung der angenommenen potentiellen oder tatsächlichen Verhaltensauswirkungen eine kontrafaktische Analyse vorlegen. Die Kommission könne sich auf eine Reihe von Beweisen stützen, ohne i.R.v. Art. 102 AEUV zum systematischen Rückgriff auf ein einziges Nachweismittel, wie einer kontrafaktischen Analyse, verpflichtet zu sein (Rz. 227 ff.; vgl. Rz. 165 ff. m.w.N.; vgl. aber „Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. [102 AEUV] auf Fälle von Behinderungsmissbrauch“, ABl. C 45 v. 24.2.2009, S. 7 Rz. 21).
Keine isolierte kontrafaktische Analyse: Eigene Verkehrszunahme und der Rückgang bei den Konkurrenzdiensten seien ursächlich für die potentiellen Verhaltensauswirkungen gewesen. Da diese Verkehrsveränderungen auf der kombinierten Anwendung der Selbstbevorzugung und der Herabstufung der Konkurrenzdienste beruht hätten, müsse ein geeignetes kontrafaktisches Szenario auf der wahrscheinlichen Marktentwicklung ohne diese beiden Praktiken kumulativ und nicht nur alternativ beruhen. Deshalb spielten weder die festgestellte mangelnde Veränderung des Suchmaschinenverkehrs durch die bloße Abschaffung der Boxen noch fehlende wettbewerbsrechtliche Einwände gegen isolierte Verhaltensweisen eine durchgreifende Rolle (Rz. 237 f., 244-247).
Keine zwingende Prüfung der Wettbewerbereffizienz: Dass Art. 102 AEUV weniger leistungsfähige Unternehmen als den Marktbeherrscher nicht schütze, bedeute nicht, dass stets der Nachweis potentieller Verdrängung eines ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers durch eine systematische Prüfung seiner tatsächlichen oder hypothetischen Leistungsfähigkeit erforderlich sei (Rz. 263 f.; vgl. Rz. 163–167 m.w.N.).
Kriterium des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers: Wenn der Marktbeherrscher im Verwaltungsverfahren mit Nachweisen darlege, dass seine Praktiken mangels Verdrängungswirkungen nicht gem. Art. 102 AEUV wettbewerbsbeschränkend gewesen seien, müsse die Kommission nicht nur das Ausmaß der Marktbeherrschung, sondern auch die mögliche strategische Verdrängung mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber prüfen. Wegen der Beweislast der Kommission habe sie den Marktmachtmissbrauch anhand verschiedener Kriterien zu beweisen. Zu diesen gehöre der As-Efficient-Competitor-Test (AEC-Test) nur dann, wenn er relevant sei, was ggf. durch den Unionsrichter zu beurteilen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall (Rz. 265–269 m.w.N.).