EuGH, Urt. 13.10.2022 - C-344/20

Keine Diskriminierung bei ausnahmslosem Verbot religiöser Zeichen am Arbeitsplatz

Autor: RA FAArbR Prof. Dr. Martin Reufels, LL.M, WissMitin Laura Soltysiak, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2022
Besteht in einem Unternehmen eine interne Regelung, die zur Neutralität hinsichtlich des Tragens von religiösen Zeichen aufruft und ein allgemeines, ausnahmsloses Verbot für alle Arbeitnehmer statuiert, liegt keine Diskriminierung wegen der Religion vor.

RL 2000/78/EG Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 2 Abs. 2 Buchst. b; EU-GRCh Art. 21 Abs. 1

Das Problem

Die Parteien streiten darüber, ob das Verbot des Tragens religiöser Zeichen – konkret einer Kopfbedeckung – als Diskriminierung wegen der Religion anzusehen ist.

Im März 2018 bewarb sich eine Frau muslimischen Glaubens, die ein Kopftuch trägt, um ein Praktikum bei einem Unternehmen. Das Unternehmen erkundigte sich, ob die Bewerberin zur Einhaltung der internen Neutralitätsregel bereit sei. Diese besagt, dass sich die Arbeitnehmer dazu verpflichten, ihre religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen in keiner Weise, etwa durch Worte oder Kleidung, zum Ausdruck zu bringen. Die Bewerberin teilte hierauf mit, dieser Neutralitätsregelung nicht nachkommen zu wollen. Das Unternehmen lehnte die Bewerbung ab.

Die Bewerberin erneuerte nach einigen Wochen ihre Bewerbung und schlug vor, eine andere Art von Kopfbedeckung zu tragen. Diesem Vorschlag entsprach das Unternehmen nicht und teilte mit, dass keinerlei Kopfbedeckung erlaubt sei.

Die Bewerberin erhob Klage beim französischsprachigen Arbeitsgericht Brüssel und begehrte die Feststellung, dass das Unternehmen u.a. gegen Bestimmungen des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes verstoßen habe.

Das Arbeitsgericht hatte Zweifel an der genauen Auslegung des Begriffs der „unmittelbaren Diskriminierung“ im Verständnis des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG und fragte sich, ob „Religion“ und „Weltanschauung“ einen einzigen Diskriminierungsgrund darstellen. Es legte dem EuGH diese Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH sieht eine unternehmensinterne Regelung, die das sichtbare Tragen von religiösen, weltanschaulichen oder spirituellen Zeichen verbietet, nicht als unmittelbar diskriminierend wegen der Religion oder Weltanschauung an, wenn sie allgemein und unterschiedslos für alle Arbeitnehmer des Unternehmens Geltung hat.

Die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung könne jedoch eine mittelbare Diskriminierung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG darstellen, wenn sie tatsächlich dazu führe, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.

Grundsätzlich seien Religion und Weltanschauung nach Art. 1 RL 2000/78/EG als einheitlicher Diskriminierungsgrund zu verstehen. Dieser Diskriminierungsgrund sei lediglich von dem weiteren Diskriminierungsgrund „der politischen oder sonstigen Anschauung“ i.S.d. Art. 21 GRCh zu unterschieden.


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