EuGH, Urt. 14.2.2019 - C-345/17

Datenschutzvorgaben für Videoaufzeichnung von Polizeibeamten

Autor: RAin Maria-Urania Dovas, LL.M., SSW Schneider Schiffer Weihermüller, München
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2019
1. Art. 3 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.2. Art. 9 der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens, d.h. die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, eine Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, sofern aus diesem Video hervorgeht, dass diese Aufzeichnung und diese Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

EuGH, Urt. v. 14.2.2019 - C-345/17

RL 95/46/EG Art. 3, 9

Das Problem

Dem EuGH wurden vom Obersten Gerichtshof Lettland zwei Fragen, eine zu Art. 3 und eine zu Art. 9 RL 95/46/EG, zur Vorabentscheidung vorgelegt. In dem Verfahren ging es darum, ob ein Bürger gegen nationales Recht verstieß, indem er auf YouTube ein selbst gefilmtes Video über die Aufnahme seiner Aussage in einer Dienststelle der lettischen nationalen Polizei im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens veröffentlichte.

Der Oberste Gerichtshof legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Fallen Tätigkeiten wie die im vorliegenden Fall in Rede stehende Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle bei der Vornahme von Verfahrenshandlungen und die Veröffentlichung des aufgezeichneten Videos auf der Website www.youtube.com in den Geltungsbereich der Richtlinie 95/46?

2. Ist die Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass die genannten Tätigkeiten als eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken i.S.v. Art. 9 dieser Richtlinie angesehen werden können?

Die Entscheidung des Gerichts

Die Aufnahme und Veröffentlichung der Videoaufzeichnung falle in den Geltungsbereich der Richtlinie und könne eine Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken i.S.v. Art. 9 RL 95/46 darstellen.

Personenbezogene Daten: Ein von einer Kamera aufgezeichnetes Bild einer natürlichen Person sei ein personenbezogenes Datum, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermögliche. Da die Polizeibeamten auf dem Video zu sehen und zu verstehen seien, sei davon auszugehen, dass die Bilder personenbezogene Daten darstellten.

Verarbeitung: Eine Videoaufzeichnung von Personen auf einer kontinuierlichen Speichervorrichtung (hier: Digitalkamera) und das Hochladen des Videos auf YouTube stellten eine ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten dar.

Keine Datenverarbeitung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie: Die Richtlinie finde keine Anwendung auf Verarbeitungen, die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgten, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fielen und auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, die von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen werde. Keiner dieser beiden Fälle liege im Ausgangsverfahren vor. Die RL 95/46 sehe keine Ausnahme vor, die die Verarbeitung personenbezogener Daten, die Beamte betreffe, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließe. Informationen seien nicht deshalb keine personenbezogenen Daten, weil sie im Kontext einer beruflichen Tätigkeit stünden.

Journalistische Tätigkeit: Meinungsfreiheit und Journalismus seien weit auszulegen. Die Befreiungen und Ausnahmen der Richtlinie würden für jeden gelten, der journalistisch tätig sei. Journalistische Tätigkeiten seien solche, die zum Zweck hätten, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchen Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dass der Ersteller des Films kein Berufsjournalist sei, schließe nicht aus, dass das Video und die Veröffentlichung auf YouTube unter diese Ausnahmen fallen könnten. Der Träger, mit dem die verarbeiteten Daten übermittelt würden, sei für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Tätigkeit allein zu journalistischen Zwecken handle, nicht ausschlaggebend. Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass jegliche im Internet veröffentlichte Information, die sich auf personenbezogene Daten beziehe, unter den Begriff der journalistischen Tätigkeit falle.

Beschränkung der Befreiungen und Ausnahmen: Das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungsäußerung müssten miteinander in Einklang gebracht werden. Zur Herstellung eines Gleichgewichts dürften sich Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Datenschutz nur auf das absolut Notwendige beschränken. Der EGMR habe für die Zwecke dieser Abwägung relevante Kriterien entwickelt, die zu berücksichtigen seien, darunter: Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, Gegenstand der Berichterstattung, vorangegangenes Verhalten der betroffenen Person, Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung, Art und Weise sowie Umstände, unter denen die Informationen erlangt worden sind, Richtigkeit. Auch Maßnahmen, die es ermöglichten, das Ausmaß des Eingriffs in das Recht auf Privatsphäre zu verringern, seien zu berücksichtigen. Im Ausgangsverfahren könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre der gefilmten Polizeibeamten vorliege. Das vorlegende Gericht müsse prüfen, ob die Aufzeichnungen und die Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel gehabt hätten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.


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