EuGH, Urt. 14.3.2017 - Rs. C-188/15

Kopftuchverbot – Möglichkeiten und EU-rechtliche Grenzen

Autor: RAin FAinArbR Dr. Cornelia Marquardt,RAin Claudia Posluschny,Norton Rose Fulbright LLP, München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2017
Das arbeitgeberseitige Verbot des sichtbaren Tragens jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar und kann auch ein Kopftuchverbot rechtfertigen. Der bloße Wunsch eines Kunden, Serviceleistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin mit Kopftuch zu erhalten, ist jedoch für ein Verbot nicht ausreichend.

EuGH, Urt. v. 14.3.2017 - Rs. C-157/15 „G4S Secure Solutions”

EuGH, Urt. v. 14.3.2017 - Rs. C-188/15 „Bougnaoui u. ADDH”

Vorinstanz: Hof van Cassatie, Belgien, u. Cour de cassation, Frankreich

Richtlinie (RL) 2000/78/EG v. 27.11.2000 Art. 1 u. 4

Das Problem

Der EuGH hatte über zwei Vorlagen zu entscheiden, in denen den Klägerinnen wegen des Tragens eines islamischen Kopftuches gekündigt worden war und die hiergegen vorgingen.

Frau Achbita arbeitete als Rezeptionistin beim belgischen Unternehmen G4S. Bereits vor ihrer Einstellung verbot eine Unternehmensregelung das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer und religiöser Überzeugungen. Auf diese Regelung stützte G4S die Kündigung, als die Arbeitnehmerin ankündigte, künftig bei der Arbeit das islamische Kopftuch zu tragen.

Die zweite Entscheidung betraf die Softwaredesignerin Frau Bougnaoui beim französischen Unternehmen Micropole. Hier reagierte der Arbeitgeber mit seiner Kündigung auf den Wunsch eines Kunden, seine Leistungen nicht mehr durch eine Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt.

Sowohl der französische Cour de cassation als auch der belgische Hof van Cassatie legten die Sachen dem EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vor.

Die Entscheidungen des Gerichts

Im Fall von Frau Achbita (Rs. C-157/15) sah der EuGH in dem Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, keine durch die Richtlinie 2000/78/EG verbotene unmittelbare Diskriminierung, da sich das Verbot aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergebe, die allgemein das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbiete. Der EuGH wies darauf hin, dass die Regelung als allgemeine Vorgabe unterschiedslos für alle Arbeitnehmer des Unternehmens gelte, und kam zu dem Ergebnis, eine solche Regelung begründe keine unmittelbare auf die Religion oder Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung i.S.d. RL 2000/78/EG. Falls die Regelung eine mittelbare Diskriminierung darstellen sollte, wäre sie gerechtfertigt, wenn das Verbot lediglich Arbeitnehmer beträfe, die mit Kunden in Kontakt treten.

Im Verfahren der Softwaredesignerin Frau Bougnaoui (Rs. C-188/15) stellte der EuGH dagegen fest, dass – falls es keine allgemeine Verbotsregel gibt, was das vorlegende nationale Gericht noch zu prüfen hat – allein der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin mit Kopftuch ausführen zu lassen, ein Kopftuchverbot nicht rechtfertigen kann. Eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Diskriminierungsgründe stehe, stelle nach Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78 nur dann keine Diskriminierung dar, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art der jeweiligen beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle und es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handele.

Der Wille eines Arbeitgebers, einem Kundenwunsch auf Leistungserbringung ohne islamisches Kopftuch zu entsprechen, könne keine solche Anforderung i.S.d. Richtlinie darstellen. Zum einen sei dies bei einem mit der Religion im Zusammenhang stehenden Merkmal ohnehin nur unter sehr begrenzten Bedingungen denkbar. Zum anderen müsse das Merkmal selbst eine solche Anforderung sein und deshalb von der Art der beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben sein. Auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen, erstrecke sich der Begriff der Anforderung demgegenüber nicht.


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