Autor: RA und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Dr. Kristofer Bott, Frankfurt/M.
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2022
Art. 9 der Markenrechtsrichtlinie Nr. 2008/95/EG sowie die Art. 54, 110 und 111 der Gemeinschaftsmarkenverordnung Nr. 207/2009/EG sind dahin auszulegen,– dass eine Handlung – wie z.B. eine Abmahnung –, mit der sich der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts der Benutzung einer jüngeren Marke widersetzt, ohne jedoch die für die Herbeiführung einer rechtsverbindlichen Lösung notwendigen Schritte zu unternehmen, die Duldung nicht beendet und dementsprechend nicht die Verwirkungsfrist im Sinne dieser Bestimmungen unterbricht;– dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts die Nichtigerklärung einer jüngeren Marke begehrt oder sich deren Benutzung widersetzt, die Verwirkung durch Duldung im Sinne dieser Bestimmungen verhindert, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingereicht wurde, aber aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers nicht die Anforderungen des nationalen Rechts erfüllte, die für die Zwecke der Zustellung gelten, und die Mängel aus Gründen, die dem Rechtsbehelfsführer zuzurechnen sind, erst nach Ablauf der Verwirkungsfrist behoben wurden;– dass der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts im Sinne dieser Bestimmungen bei Verwirkung seines Anspruchs auf Nichtigerklärung einer jüngeren Marke und auf Unterlassung ihrer Benutzung durch die Verwirkung auch daran gehindert ist, Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz, auf Auskunft oder auf Vernichtung von Waren zu erheben.
MarkenrechtsRL 2008/95/EG Art. 9; GMV Nr. 207/2009/EG Art. 54, 110, 111; MarkenG § 21 Das Problem
Seit 1984 gibt es das Unternehmen HEITEC, erst als GmbH, heute als HEITEC AG. Das Unternehmen befasst sich heute mit technischen Dienstleistungen in den Bereichen Automatisierung, Digitalisierung und Elektronik. Im Jahr 2003 wird die HEITECH PROMOTION GmbH in das Handelsregister eingetragen, mit dem Geschäftsgegenstand der Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Konsumgütern. HEITEC, das ältere Unternehmen, ist Inhaberin einer im Jahr 1998 mit Seniorität von 1991 angemeldeten und im Jahr 2005 eingetragenen Unionsmarke „HEITEC“. HEITECH PROMOTION GmbH wiederum hat und nutzt seit 2004 Marken mit dem Bestandteil „HEITECH“. Mit Schreiben vom 29.11.2004 wandte sich HEITECH an HEITEC und schlug eine Abgrenzungsvereinbarung vor. Weiter geht es in Zeitlupe: HEITEC reagierte darauf offenbar nicht, mahnte HEITECH aber am 22.4.2009 – also noch nicht ganz 5 Jahre nach Erhalt des HEITECH-Schreibens – ab, was wiederum HEITECH offenbar kalt ließ. Am 31.12.2012 reichte HEITEC Klage ein, die im Mai 2014 der beklagten HEITECH zugestellt wurde. Die Verzögerung lag daran, dass erst kein Kostenvorschuss einbezahlt, dann dem Gericht zunächst überhaupt kein und schließlich ein nicht mit der eingereichten Klageschrift übereinstimmendes Exemplar für die Zustellung übermittelt worden war. Konnte HEITECH nun mit Erfolg einwenden, etwaige Ansprüche von HEITEC seien verwirkt? – § 21 Abs. 1 und Abs. 2 MarkenG (und die entsprechenden Regelungen in Art. 9 MarkenrechtsRL, Art. 54 Abs. 1 und Abs. 2 GMV, auf die sich die Vorlage bezieht) bestimmen, dass der Markeninhaber oder der Inhaber einer geschäftlichen Bezeichnung die Benutzung einer jüngeren Marke oder geschäftlichen Bezeichnung oder sonstigen Rechts i.S.d. § 13 MarkenG nicht mehr untersagen kann, wenn er sie in Kenntnis der Benutzung 5 Jahre lang geduldet hat. Im November 2004 wusste HEITEC von HEITECH, im April 2009 erfolgte die Abmahnung, noch vor Ablauf dieser 5-Jahresfrist, Einreichung und erst recht Zustellung der Klage erfolgten deutlich nach Ablauf, und das wegen nachlässigen Betreibens des Verfahrens. Worauf kommt es an? Auf den Zugang der Abmahnung, auf die Einreichung oder Zustellung der Klage, auf Nachlässigkeit der Klägerin oder objektive Kriterien und die Perspektive der Beklagten? Die Instanzgerichte erkannten im Wesentlichen auf Verwirkung. Der BGH legte dem EuGH die Fragen vor, ob nur ein bei einer Behörde oder einem Gericht eingelegter Rechtsbehelf die Duldung (§ 21 MarkenG) beende – ergänze: oder ggf. auch eine Abmahnung –, ob, im Fall einer Klage, auf deren Einreichung oder die Zustellung abzustellen sei, und ob bei einer Verspätung ein etwaiges Verschulden des Klägers von Bedeutung sei, sowie schließlich, ob die Verwirkung nur den Unterlassungsanspruch oder auch die Folgeansprüche erfasse (BGH, Beschl. v. 23.7.2020 – I ZR 56/19 – GRUR 2020, 1198 = MDR 2020, 1457 – HEITEC II). Die Entscheidung des Gerichts
Der Gerichtshof antwortet, im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Generalanwalt (Schlussanträge vom 13.1.2022): Die Abmahnung kann, sofern sie vor Ablauf der 5-Jahres-Frist ausgesprochen wird, die Duldung beenden – nur dann allerdings, wenn der Markeninhaber, sofern die Abmahnung nicht zum Ziel führt, seine Ansprüche vor Gericht zügig und sorgfältig verfolgt. Wenn das nicht geschieht und deshalb – wie im Ausgangsfall – die Klage dem mutmaßlichen Verletzer erst deutlich nach Ablauf der 5-Jahres-Frist zugestellt wird, sind die Ansprüche aus der Marke verwirkt, und zwar sämtliche, nicht nur der auf die Benutzung gerichtete Unterlassungsanspruch, den § 21 MarkenG ausdrücklich geregelt. Die Regelung der Verwirkung, so der EuGH, müsse ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Markeninhabers und denen anderer Marktteilnehmer an der freien Verfügbarkeit von Zeichen herstellen. Die – 5-jährige – Frist müsse der Markeninhaber als Aufforderung zur Wachsamkeit verstehen (man ist versucht, an ius civile vigilantibus scriptum zu denken, s. dazu aber Baldus, AcP 2010, S. 1 ff.). Weil es sich um eine Frist handele, sei auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wesentlich, also nötig, dass klar sei, ob Verwirkung eingetreten ist oder nicht. Der Generalanwalt hatte vor diesem Hintergrund davon gesprochen, dass der die Duldung beendende Akt „formalisiert“ sein müsse und eine „Abmahnung“ deshalb überhaupt nicht in Betracht komme (Rz. 48 f. der Schlussanträge vom 13.1.2022). Dass im deutschen Recht die Abmahnung „formalisiert“ – wenn auch im MarkenG nicht geregelt – ist, spielte dabei keine Rolle. Der Generalanwalt hatte dabei wie der BGH im Vorlagebeschluss auf ein Urteil des EuGH vom 22.9.2011 verwiesen (C-482/09, Budějovický Budvar), in dem der Gerichtshof in der englischen Sprachfassung die Einlegung eines „behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs“ für die Beendung der Duldung verlangt hatte. In der deutschen Übersetzung des Urteils hieß es „außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs“, was die Abmahnung an sich erfasst hätte, die Differenz zum englischen, verbindlichen Text war dem BGH aber aufgefallen. So eng wollte der EuGH es nun hier nicht sehen: Jedenfalls der behördliche oder gerichtliche Rechtsbehelf beende die Duldung, aber eine vor Fristablauf ausgesprochene Abmahnung auch, indes eben nur, wenn dem Gegner dann auch alsbald ein solcher Rechtsbehelf zugestellt wird und das nicht daran scheitert, dass der Markeninhaber das Verfahren nicht sorgfältig betreibt. Wichtig ist der in einem Nebensatz ausgesprochene Hinweis des EuGH, dass die erfolglose, d.h. keine Unterlassungserklärung nach sich ziehende Abmahnung gleichfalls die Duldung unterbricht, wenn die Parteien immerhin daraufhin verhandeln (Rz. 55). Wenn, so schließlich der EuGH, trotz der vor Fristablauf ausgesprochenen Abmahnung wegen nicht sorgfältig betriebenen Gerichtsverfahrens das Recht verwirkt ist, die „Benutzung“ zu untersagen – man muss ergänzen: Und auch im Normalfall der Verwirkung –, sind auch die Folgeansprüche verwirkt.