EuGH, Urt. 21.10.2020 - C-529/19

Kein Widerrufsrecht bei Anfertigung nach Kundenspezifikation

Autor: RA, FA IT-Recht Dr. Aegidius Vogt, Herberger Vogt von Schoeler, München – www.hvs-rechtsanwaelte.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 02/2021
Erfolgt die Anfertigung einer Ware nach Kundenspezifikation, besteht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen kein Widerrufsrecht. Es ist unerheblich, ob der Unternehmer im Zeitpunkt des Widerrufs bereits mit der Herstellung begonnen hat oder nicht.

AEUV Art. 267; RL 2011/83/EU Art. 2 Nr. 8, 9, Art. 16 lit. c; BGB § 312g Abs. 2 Nr. 1

Das Problem

Eine Verbraucherin kaufte auf einer gewerblichen Messe eine – größtenteils vorgefertigte – Einbauküche. Vor Ort bei der Käuferin wären nur einzelne Teile individuell anzupassen und folglich nicht mehr weiter verwendbar gewesen. Die Rückbaukosten hätten ca. 5 % des Warenwerts betragen. Die Käuferin weigerte sich unter Berufung auf ein Widerrufsrecht, die Küche abzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Küche noch nicht angefertigt. Die Verkäuferin erhob Schadensersatzklage wegen Nichterfüllung des Vertrags.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hatte zu klären, ob der Ausschluss des Widerrufsrechts bei kundenspezifisch gefertigten Waren auch gilt, wenn der Verkäufer zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht mit der individuellen Fertigung begonnen hat, und bestätigte dies.

Geschäftsräume: Zunächst sei festzuhalten, dass ein Messestand als Geschäftsraum i.S.v. Art. 2 Nr. 9 RL 2011/83/EU angesehen werden könne (vgl. EuGH v. 7.8.2018 – C-485/17, EuZW 2018, 742). Das vorlegende Gericht müsse daher prüfen, ob es sich hier tatsächlich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag i.S.v. Art. 2 Nr. 8 RL 2011/83/EU handle. Ansonsten bestehe schon deshalb kein Widerrufsrecht.

Auslegungsmaßstab: Nach st. Rspr. des Gerichtshofs seien unionsrechtliche Vorschriften unter Berücksichtigung des Wortlauts, ihres Regelungszusammenhangs und des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen (vgl. EuGH v. 16.7.2020 – C-610/18, BeckRS 2020, 16102).

Wortlaut: Dem Wortlaut von Art. 16 RL 2011/83/EU nach könne sich der Verbraucher u.a. dann nicht auf das Widerrufsrecht berufen, wenn bestimmte Ereignisse nach Abschluss des Vertrags eingetreten seien. Dies gelte für die in Art. 16 lit. a, e, i und m RL 2011/83/EU angeführten Umstände (z.B. Entfernung von Versiegelungen), in denen es um die Ausführung eines solchen Vertrags gehe. Hingegen weise im Wortlaut des hier maßgeblichen Art. 16 lit. c RL 2011/83/EU nichts darauf hin, dass die Ausnahme von dem Widerrufsrecht von irgendeinem Ereignis abhänge, das nach Vertragsschluss eintrete. Vielmehr ergebe sich aus dem Wortlaut ausdrücklich, dass diese Ausnahme dem Verbraucher unmittelbar entgegengehalten werden könne, ohne dass es auf den Eintritt eines Ereignisses oder die bereits erfolgte Vertragsausführung ankomme.

Regelungszusammenhang: Für dieses Verständnis spreche auch die in Art. 6 Abs. 1 RL 2011/83/EU geregelte Informationspflicht vor Vertragsschluss darüber, ob ein Widerrufsrecht bestehe oder nicht. Das Bestehen des Widerrufsrechts an ein zukünftiges Ereignis zu knüpfen, dessen Eintritt von der Entscheidung des Unternehmers abhänge, wäre mit dieser vorvertraglichen Informationspflicht unvereinbar.

Ziele der RL: Wie sich insb. aus den Erwgrd. 7 und 40 der RL 2011/83/EU ergebe, solle mit ihr die Rechtssicherheit von Geschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern erhöht werden. Die vertretene Auslegung trage zur Erreichung dieses Ziels bei, da dadurch Situationen vermieden würden, in denen das Bestehen des Widerrufsrechts davon abhänge, wie weit die Vertragserfüllung durch den Unternehmer fortgeschritten sei, zumal der Verbraucher hierüber üblicherweise weder informiert sei noch darauf Einfluss habe.


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