EuGH, Urt. 26.3.2020 - C-344/18
Betriebsübergang auf mehrere Erwerber
Autor: RA & Mediator Dr. Ralf Steffan, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2020
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil auf mehrere Erwerber über, kann nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG auch das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers auf mehrere Erwerber übergehen. Endet das Arbeitsverhältnis, weil eine Aufteilung auf verschiedene Erwerber nicht möglich ist oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen darstellt, gilt die Beendigung als vom Erwerber verursacht.
AEUV Art. 267; RL 2001/23/EG Art. 3 Abs. 1, Art. 4
Die Klägerin verklagte die frühere Reinigungsfirma und das Unternehmen A. im Wesentlichen auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass ein identitätswahrender Unternehmensübergang vorgelegen hat, und fragt deshalb den EuGH, ob Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG dahingehend auszulegen ist, dass in einem Fall des Übergangs auf mehrere Unternehmen der Arbeitsvertrag
Gehe das Arbeitsverhältnis nur auf den Erwerber über, der den größten Beschäftigungsanteil übernommen habe, trete dieser in ein Vollzeitarbeitsverhältnis ein, obwohl die bei ihm zu verrichtende Tätigkeit nur einem Teilzeitarbeitsverhältnis entspreche.
Bei der Alternative des Übergangs auf beide Erwerber sei klarzustellen, dass das Recht zur Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags bei den Einzelstaaten liege. Es sei deshalb Sache des nationalen Gerichts, eine etwaige Aufteilung des Arbeitsvertrags – etwa nach dem Wert der Lose oder der für die einzelnen Lose aufgewendeten Arbeitszeit – zu bestimmen. Allerdings scheide ein Übergang nicht allein deswegen aus, weil aus einem Vollzeitarbeitsverhältnis zwei Teilzeitarbeitsverhältnisse werden. Sollte sich allerdings die Aufspaltung des Arbeitsverhältnisses als unmöglich erweisen oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich ziehen, könne es auch zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen. In diesem Fall sei nach Art. 4 Abs. 2 RL 2001/23/EG davon auszugehen, dass die Beendigung durch den Erwerber erfolgt sei, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.
AEUV Art. 267; RL 2001/23/EG Art. 3 Abs. 1, Art. 4
Das Problem
Die Klägerin war zunächst bei einer Reinigungsfirma als Projektleiterin für die Reinigung von drei verschiedenen Gebäuden zuständig. Bei der Neuausschreibung wurde die Reinigung der Gebäude verschiedenen Losen zugeteilt; diese Lose wurden einzeln ausgeschrieben. Die bisherige Auftragnehmerin gewann keines der Lose und verlor somit den bisherigen Reinigungsauftrag. Zwei der Lose gewann das Unternehmen A., ein weiteres Los das Unternehmen C. Der anwendbare Tarifvertrag nach belgischem Recht sieht vor, dass die bestehenden Arbeitsverträge aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen. Nach Ansicht der bisherigen Reinigungsfirma ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf das Unternehmen A. übergegangen, während A. ein Vertragsverhältnis mit der Klägerin ablehnt.Die Klägerin verklagte die frühere Reinigungsfirma und das Unternehmen A. im Wesentlichen auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass ein identitätswahrender Unternehmensübergang vorgelegen hat, und fragt deshalb den EuGH, ob Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG dahingehend auszulegen ist, dass in einem Fall des Übergangs auf mehrere Unternehmen der Arbeitsvertrag
- auf verschiedene Unternehmen im Verhältnis zum Beschäftigungsanteil übergeht oder
- auf den Erwerber übergeht, der den Unternehmensteil übernimmt, in dem der Arbeitnehmer hauptsächlich beschäftigt war, oder
- auf keinen Erwerber übergeht, und ob dies auch gilt, wenn man den Umfang des Beschäftigungsanteils auf die übertragenen Unternehmensteile nicht bestimmen kann.
Die Entscheidung des Gerichts
Der EuGH stellt zunächst fest, dass die RL 2001/23/EG den Fall des Übergangs auf mehrere Erwerber nicht regelt. Allerdings solle die Richtlinie soweit wie möglich die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse mit dem Erwerber in unveränderter Form sicherstellen. Dafür sei es unerheblich, ob die wirtschaftliche Einheit auf einen oder mehrere Erwerber übergegangen sei. Deshalb komme eine Auslegung, wonach die wirtschaftliche Einheit auf keinen Erwerber übergehe, nicht in Betracht.Gehe das Arbeitsverhältnis nur auf den Erwerber über, der den größten Beschäftigungsanteil übernommen habe, trete dieser in ein Vollzeitarbeitsverhältnis ein, obwohl die bei ihm zu verrichtende Tätigkeit nur einem Teilzeitarbeitsverhältnis entspreche.
Bei der Alternative des Übergangs auf beide Erwerber sei klarzustellen, dass das Recht zur Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags bei den Einzelstaaten liege. Es sei deshalb Sache des nationalen Gerichts, eine etwaige Aufteilung des Arbeitsvertrags – etwa nach dem Wert der Lose oder der für die einzelnen Lose aufgewendeten Arbeitszeit – zu bestimmen. Allerdings scheide ein Übergang nicht allein deswegen aus, weil aus einem Vollzeitarbeitsverhältnis zwei Teilzeitarbeitsverhältnisse werden. Sollte sich allerdings die Aufspaltung des Arbeitsverhältnisses als unmöglich erweisen oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich ziehen, könne es auch zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen. In diesem Fall sei nach Art. 4 Abs. 2 RL 2001/23/EG davon auszugehen, dass die Beendigung durch den Erwerber erfolgt sei, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.