EuGH, Urt. 27.10.2022 - C-197/21
Zum markenrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz beim Vertrieb (teilweise) umetikettierter wiederverwendbarer Waren durch den Wiederverkäufer
Autor: RAin Dr. Katja Middelhoff, CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2022
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2022
Art. 15 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über die Unionsmarke und Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke, der in einem Mitgliedstaat Waren vertrieben hat, die mit dieser Marke versehen sind und mehrmals wiederverwendet und wiederbefüllt werden sollen, nach diesen Bestimmungen dem weiteren Vertrieb dieser Waren in diesem Mitgliedstaat durch einen Wiederverkäufer, der sie wiederbefüllt und das die ursprüngliche Marke aufweisende Etikett durch eine andere Etikettierung ersetzt hat, wobei aber auf diesen Waren die ursprüngliche Marke sichtbar bleibt, nicht widersetzen darf, sofern diese Neuetikettierung bei den Verbrauchern nicht den irrigen Eindruck hervorruft, dass zwischen dem Wiederverkäufer und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Diese Gefahr einer Verwechselung ist anhand der Angaben auf der Ware und auf ihrer Neuetikettierung sowie anhand der Vertriebspraktiken des betreffenden Wirtschaftszweigs und des Bekanntheitsgrades dieser Praktiken bei den Verbrauchern umfassend zu beurteilen.
VO 2017/1001/EU Art. 15 Abs. 2; RL 2015/2436/EU Art. 15 Abs. 2
Klägerin in dem auf Feststellung einer Markenverletzung zielenden Ausgangsrechtsstreit ist SodaStream, ein multinationales Unternehmen, das Karbonisierungsgeräte produziert und verkauft, mit denen Verbraucher aus Leitungswasser kohlensäurehaltiges Wasser und aromatisierte kohlensäurehaltige Getränke herstellen können. SodaStream vertreibt diese Geräte in Finnland mit wiederbefüllbaren Kohlendioxid-Flaschen, die auch getrennt erworben werden können. Die Marken SODASTREAM und SODA-CLUB befinden sich auf der Etikettierung und sind zudem in den Aluminiumkörper der Flaschen eingraviert.
Die Beklagte, MySoda, ist eine Gesellschaft mit Sitz in Finnland, wo sie neben Geräten zur Karbonisierung von Getränken auch befüllte Kohlendioxid-Flaschen vertreibt. Da die MySoda-Geräte mit den Flaschen von SodaStream kompatibel sind, erwirbt MySoda u.a. von SodaStream-Kunden zurückgegebene leere SodaStream-Flaschen und befüllt diese wieder. In diesem Zuge wird das ursprüngliche, mit der SODASTREAM-Marke versehene Etikett entfernt und durch Etiketten von MySoda ersetzt. Eines der Etiketten zeigt das Logo von MySoda und die Wörter „Finnisches Kohlendioxid für Karbonisierungsgeräte“ sowie in kleiner Schrift der Name MySoda für die Gesellschaft, die die Flasche befüllt hat, sowie ein Hinweis auf die MySoda-Website für weitere Informationen. Auf dem zweiten Etikett befinden sich in Großbuchstaben und in fünf verschiedenen Sprachen das Wort „Kohlendioxid“ sowie u.a. der Name MySoda für die Gesellschaft, die die Flasche befüllt hat, einschließlich einer Erklärung, dass diese Gesellschaft in keiner Verbindung zum ursprünglichen Lieferanten der Flasche oder zu dessen Gesellschaft oder zu der eingetragenen Marke stehe, die auf der Flasche erschiene. Die auf dem Flaschenkörper eingravierte Marken von SodaStream bleiben hingegen sichtbar.
Das erstinstanzliche Gericht gab den Anträgen von SodaStream teilweise statt, gestützt auf das „Viking-Gas-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 14.7.2011 – C-46/10, IPRB 2011, 271). Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens legte der Korkein oikeus (Oberstes Gericht, Finnland) dem Gerichtshof vier Fragen zur Vorabentscheidung vor, wobei es im Kern wissen wollte, ob die für das Umpacken von Arzneimittel-Parallelimporten aufgestellten „Bristol-Myers Squibb“-Kriterien (EuGH, Urt. v. 11.7.1996 – C-427/93, C-429/93, C-436/93 – Bristol-Myers Squibb) auf den vorliegenden Fall des Wiederbefüllens von CO2-Zylindern übertragbar sind.
Allerdings bestehe das Recht des Markeninhabers, sich dem weiteren Vertrieb von mit seiner Marke versehenen Waren zu widersetzen, nicht uneingeschränkt. Insoweit die fraglichen Kohlendioxid-Flaschen erstmals von den Inhabern der auf ihnen angebrachten Unionsmarken und nationalen Marken im EWR in den Verkehr gebracht wurden, könnten die entsprechenden Markenrechte erschöpft sein. Damit gehe das Recht, frei über die jeweilige Flasche zu verfügen (einschließlich das Recht, sie bei einem Unternehmen seiner Wahl zu tauschen oder wiederbefüllen zu lassen), auf den Käufer über.
Dem Weitervertrieb der betreffenden Waren könne sich der Markeninhaber jedoch widersetzen, wenn und soweit berechtigte Gründe dies rechtfertigen. Diesbezüglich lehnte der EuGH eine Übertragung der sog. „Bristol-Myers Squibb“-Kriterien auf den vorliegenden Fall – wenngleich nicht ausdrücklich, sondern lediglich beiläufig – ab und zog stattdessen die die im Urteil „Viking Gas“ (s. zuvor) aufgestellten Kriterien heran. Maßgeblich sei hiernach, ob die Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten den Ruf der Marke erheblich schädigt oder das Zeichen so benutzt wird, dass der irrige Eindruck einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Inhaber der Marke und dem Dritten bestehe.
Für den SodaStream-Rechtsstreit bedeute dies in der Sache Folgendes: Die Informationen, die auf der Neuetikettierung angegeben werden, dürften nicht den Eindruck erwecken, dass zwischen dem Wiederverkäufer, der die Flasche wiederbefüllt hat, und dem Inhaber der ursprünglichen Marke eine wirtschaftliche Verbindung bestehe. Zur Beurteilung des durch die Neuetikettierung hervorgerufenen Eindrucks sei zudem die Frage zu berücksichtigen, ob die Verbraucher daran gewöhnt seien, dass die Flaschen von anderen Wirtschaftsteilnehmern als dem Inhaber der ursprünglichen Marke wiederbefüllt würden. In diesem Zusammenhang seien auch die Umstände relevant, unter denen die Verbraucher die wiederbefüllten Flaschen erwerben würden. Nach Ansicht des EuGH stünde zu vermuten, dass ein Verbraucher, der die wiederbefüllten Flaschen unmittelbar beim Markeninhaber oder Wiederverkäufer erwerbe, eher weniger einer Gefahr von Verwechslungen unterliegen dürfte als ein Verbraucher, der die Flaschen bei einem Händler erwerbe. Schließlich sei die Tatsache, dass die ursprüngliche Marke der (wiederbefüllten) Kohlendioxid-Flaschen trotz der vom Wiederverkäufer vorgenommenen zusätzlichen Etikettierung sichtbar bleibe, für die Beurteilung der Verschleierung der Herkunft der wiederbefüllten Kohlendioxid-Flaschen von Bedeutung.
VO 2017/1001/EU Art. 15 Abs. 2; RL 2015/2436/EU Art. 15 Abs. 2
Das Problem
Das Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH erging im Rahmen eines finnischen Rechtsstreits zwischen der Soda-Club (CO2) SA und der SodaStream International BV (im Folgenden zusammen: SodaStream) auf der Kläger- und der MySoda Oy (im Folgenden: MySoda) auf der Beklagtenseite, wegen des Vorwurfs der Verletzung der Unionsmarken und nationalen Marken SODASTREAM und SODA-CLUB, deren Inhaberin SodaStream ist. Es betrifft im Kern die Auslegung von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über die Unionsmarke (UMV) sowie von Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (MarkenRL), die in ihrem übereinstimmenden Wortlaut eine Ausnahme vom markenrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz normieren.Klägerin in dem auf Feststellung einer Markenverletzung zielenden Ausgangsrechtsstreit ist SodaStream, ein multinationales Unternehmen, das Karbonisierungsgeräte produziert und verkauft, mit denen Verbraucher aus Leitungswasser kohlensäurehaltiges Wasser und aromatisierte kohlensäurehaltige Getränke herstellen können. SodaStream vertreibt diese Geräte in Finnland mit wiederbefüllbaren Kohlendioxid-Flaschen, die auch getrennt erworben werden können. Die Marken SODASTREAM und SODA-CLUB befinden sich auf der Etikettierung und sind zudem in den Aluminiumkörper der Flaschen eingraviert.
Die Beklagte, MySoda, ist eine Gesellschaft mit Sitz in Finnland, wo sie neben Geräten zur Karbonisierung von Getränken auch befüllte Kohlendioxid-Flaschen vertreibt. Da die MySoda-Geräte mit den Flaschen von SodaStream kompatibel sind, erwirbt MySoda u.a. von SodaStream-Kunden zurückgegebene leere SodaStream-Flaschen und befüllt diese wieder. In diesem Zuge wird das ursprüngliche, mit der SODASTREAM-Marke versehene Etikett entfernt und durch Etiketten von MySoda ersetzt. Eines der Etiketten zeigt das Logo von MySoda und die Wörter „Finnisches Kohlendioxid für Karbonisierungsgeräte“ sowie in kleiner Schrift der Name MySoda für die Gesellschaft, die die Flasche befüllt hat, sowie ein Hinweis auf die MySoda-Website für weitere Informationen. Auf dem zweiten Etikett befinden sich in Großbuchstaben und in fünf verschiedenen Sprachen das Wort „Kohlendioxid“ sowie u.a. der Name MySoda für die Gesellschaft, die die Flasche befüllt hat, einschließlich einer Erklärung, dass diese Gesellschaft in keiner Verbindung zum ursprünglichen Lieferanten der Flasche oder zu dessen Gesellschaft oder zu der eingetragenen Marke stehe, die auf der Flasche erschiene. Die auf dem Flaschenkörper eingravierte Marken von SodaStream bleiben hingegen sichtbar.
Das erstinstanzliche Gericht gab den Anträgen von SodaStream teilweise statt, gestützt auf das „Viking-Gas-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 14.7.2011 – C-46/10, IPRB 2011, 271). Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens legte der Korkein oikeus (Oberstes Gericht, Finnland) dem Gerichtshof vier Fragen zur Vorabentscheidung vor, wobei es im Kern wissen wollte, ob die für das Umpacken von Arzneimittel-Parallelimporten aufgestellten „Bristol-Myers Squibb“-Kriterien (EuGH, Urt. v. 11.7.1996 – C-427/93, C-429/93, C-436/93 – Bristol-Myers Squibb) auf den vorliegenden Fall des Wiederbefüllens von CO2-Zylindern übertragbar sind.
Die Entscheidung des Gerichts
Der EuGH entscheidet die Vorlage wie aus dem Leitsatz ersichtlich und stellt zunächst fest, dass der spezifische Gegenstand des Markenrechts insbesondere darin bestehe, dem Inhaber das Recht zu verleihen, die Marke beim erstmaligen Inverkehrbringen einer Ware zu benutzen, und ihn dadurch vor Konkurrenten zu schützen, die die Stellung und den Ruf der Marke durch den Vertrieb widerrechtlich mit ihr versehener Waren missbrauchen wollen. Zur Bestimmung der Reichweite dieses ausschließlichen Rechts des Markeninhabers sei insbesondere die Hauptfunktion der Marke zu berücksichtigen, die darin bestehe, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren, indem sie es ihm ermöglicht, diese Ware ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-291/16 – Schweppes, Rz. 37).Allerdings bestehe das Recht des Markeninhabers, sich dem weiteren Vertrieb von mit seiner Marke versehenen Waren zu widersetzen, nicht uneingeschränkt. Insoweit die fraglichen Kohlendioxid-Flaschen erstmals von den Inhabern der auf ihnen angebrachten Unionsmarken und nationalen Marken im EWR in den Verkehr gebracht wurden, könnten die entsprechenden Markenrechte erschöpft sein. Damit gehe das Recht, frei über die jeweilige Flasche zu verfügen (einschließlich das Recht, sie bei einem Unternehmen seiner Wahl zu tauschen oder wiederbefüllen zu lassen), auf den Käufer über.
Dem Weitervertrieb der betreffenden Waren könne sich der Markeninhaber jedoch widersetzen, wenn und soweit berechtigte Gründe dies rechtfertigen. Diesbezüglich lehnte der EuGH eine Übertragung der sog. „Bristol-Myers Squibb“-Kriterien auf den vorliegenden Fall – wenngleich nicht ausdrücklich, sondern lediglich beiläufig – ab und zog stattdessen die die im Urteil „Viking Gas“ (s. zuvor) aufgestellten Kriterien heran. Maßgeblich sei hiernach, ob die Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten den Ruf der Marke erheblich schädigt oder das Zeichen so benutzt wird, dass der irrige Eindruck einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Inhaber der Marke und dem Dritten bestehe.
Für den SodaStream-Rechtsstreit bedeute dies in der Sache Folgendes: Die Informationen, die auf der Neuetikettierung angegeben werden, dürften nicht den Eindruck erwecken, dass zwischen dem Wiederverkäufer, der die Flasche wiederbefüllt hat, und dem Inhaber der ursprünglichen Marke eine wirtschaftliche Verbindung bestehe. Zur Beurteilung des durch die Neuetikettierung hervorgerufenen Eindrucks sei zudem die Frage zu berücksichtigen, ob die Verbraucher daran gewöhnt seien, dass die Flaschen von anderen Wirtschaftsteilnehmern als dem Inhaber der ursprünglichen Marke wiederbefüllt würden. In diesem Zusammenhang seien auch die Umstände relevant, unter denen die Verbraucher die wiederbefüllten Flaschen erwerben würden. Nach Ansicht des EuGH stünde zu vermuten, dass ein Verbraucher, der die wiederbefüllten Flaschen unmittelbar beim Markeninhaber oder Wiederverkäufer erwerbe, eher weniger einer Gefahr von Verwechslungen unterliegen dürfte als ein Verbraucher, der die Flaschen bei einem Händler erwerbe. Schließlich sei die Tatsache, dass die ursprüngliche Marke der (wiederbefüllten) Kohlendioxid-Flaschen trotz der vom Wiederverkäufer vorgenommenen zusätzlichen Etikettierung sichtbar bleibe, für die Beurteilung der Verschleierung der Herkunft der wiederbefüllten Kohlendioxid-Flaschen von Bedeutung.