EuGH, Urt. 27.6.2024 - C-284/23

Nachträgliche Klagezulassung bei Schwangerschaft

Autor: RA FAArbR Dr. Sascha Schewiola, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2024
Die Zwei-Wochen-Frist zur Zulassung verspäteter Klagen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann gegen Unionsrecht verstoßen.

KSchG §§ 4, 5, 7; MuSchG § 17; RL 92/85/EWG v. 19.10.1992 Art. 2, 10, 12

Das Problem

Die Klägerin arbeitet bei der Beklagten, einem Altenpflegeheim, als Pflegehelferin. Am 6.10.2022 erhält sie eine Probezeitkündigung. Am 9.11.2022 wird bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Woche ärztlich festgestellt. Am 10.11.2022 teilt sie dies der Beklagten mit. Am 13.12.2022 erhebt die Klägerin Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Mainz.

Dieses legt den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Zwar habe die Klägerin die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht eingehalten und auch nicht innerhalb von zwei Wochen nach § 5 KSchG einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung erhoben. Jedoch hat das Arbeitsgericht Mainz Zweifel, ob die Zwei-Wochen-Frist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Unionsgrundsatz im Einklang vereinbar ist, dass die Klagemöglichkeiten für eine Schwangere im Einklang mit dem europäischen Effektivitätsgrundsatz stehen müssen.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH stellt zunächst fest, dass der Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen nach Art. 10 RL 92/85/EWG ein wichtiger Parameter ist, den die Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen. Ein nationales Erfordernis, einen Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage innerhalb einer bestimmten Frist erheben zu müssen, stelle als solches keinen Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dar. Dafür müssten jedoch die Verfahrensmodalitäten angemessen ausgestaltet sein.

Dies zieht der EuGH im Fall des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei einer Schwangeren in Zweifel. Die Frist von zwei Wochen sei für eine Schwangere eine besonders kurze. Sie sei kürzer als die in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehene Drei-Wochen-Frist. Habe die Arbeitnehmerin somit Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bei Zugang der Kündigung, habe sie drei Wochen Zeit eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Habe sie dagegen keine Kenntnis, erlange diese jedoch später, habe sie nur zwei Wochen Zeit. Bei einer Frist von zwei Wochen sei es jedoch sehr schwierig, sich sachgerecht beraten zu lassen und ggf. den Zulassungsantrag und die Kündigungsschutzklage abzufassen sowie einzureichen.


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