EuGH, Urt. 28.4.2022 - C-237/20
Betriebsübergang im Insolvenzverfahren mit vorherigem „Pre-pack“
Autor: Rechtsanwalt & Mediator Dr. Ralf Steffan, Linde Steffan Prehm, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 06/2022
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 06/2022
Wird vor der Insolvenzeröffnung ein sog. „Pre-pack“-Verfahren durchgeführt, finden Art. 3 und 4 RL 2001/23/EG, die den Übergang der Rechte und Pflichten und ein Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs regeln, nur dann keine Anwendung, wenn das „Pre-pack“-Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt ist. Werden zur Vorbereitung der Insolvenz ein „designierter Insolvenzverwalter“ im Rahmen des „Pre-pack“-Verfahrens und ein „designierter Insolvenzrichter“ bestellt, kann ein Verfahren „unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle“ i.S.v. Art. 5 RL 2001/23/EG vorliegen, wenn das „Pre-pack“-Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt ist.
AEUV Art. 267; RL 2001/23/EG Art. 3, 4 u. 5
Im Rahmen des „Pre-pack“-Verfahrens wurden konzernunabhängige Gesellschaften gebeten, Angebote für die Aktiva der zahlungsunfähigen Konzerngesellschaften abzugeben. Zwei neu gegründete Gesellschaften, die die Geschäftstätigkeiten überwiegend fortführen und dieselbe Kundschaft bedienen, übernahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ca. zwei Drittel der bisherigen Beschäftigten, allerdings zu schlechteren Bedingungen.
Die FNV, eine niederländische Gewerkschaftsvereinigung, klagte auf Anwendbarkeit der RL 2001/23/EG auf das vereinbarte „Pre-pack“-Verfahren und auf Feststellung, dass die Beschäftigten der früheren Konzernunternehmen unter Wahrung ihrer bisherigen Arbeitsbedingungen bei den übernehmenden Gesellschaften zu beschäftigen seien. Der oberste Gerichtshof der Niederlande möchte im Wesentlichen wissen,
Der EuGH stellt zunächst fest, dass ein solches „Pre-pack“-Verfahren, das einen Konkurs impliziert, zwar grds. unter den Begriff „Verfahren“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 RL 2001/23/EG fallen kann. Es könne dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers dienen. Allerdings beruhen die Regeln des „Pre-pack“-Verfahrens allein auf der Rechtsprechung; es werde von den verschiedenen nationalen Gerichten nicht einheitlich angewandt. Das Verfahren entspreche deshalb nicht den Anforderungen der Richtlinie an die Rechtssicherheit. Ein Verlust der bisherigen Ansprüche und des Kündigungsschutzes komme deshalb nur in Betracht, wenn ein „Pre-pack“-Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sei.
Für die zweite Frage gilt im Kern dasselbe: Ein Konkursverfahren „unter Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 RL 2001/234/EG liege bei einem vorbereitenden „Pre-pack“-Verfahren nur vor, wenn dieses durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sei.
AEUV Art. 267; RL 2001/23/EG Art. 3, 4 u. 5
Das Problem
Ein niederländischer Konzern konnte seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Auf seinen Antrag hin wurde ein sog. „Pre-pack“-Verfahren durchgeführt. Bei diesem von etlichen niederländischen Gerichten genutzten Verfahren handelt sich um ein Geschäft über das Aktivvermögen, das vor der Konkurseröffnung zusammen mit dem vom Gericht bestellten Verwalter in spe („designierter Insolvenzverwalter“) vorbereitet und von diesem unmittelbar nach der Konkurseröffnung vollzogen wird. Im Rahmen des „Pre-pack“ wird vom Gericht auch ein „designierter Insolvenzrichter“ bestellt. Eine gesetzliche Regelung zum „Pre-pack“-Verfahren besteht in den Niederlanden nicht.Im Rahmen des „Pre-pack“-Verfahrens wurden konzernunabhängige Gesellschaften gebeten, Angebote für die Aktiva der zahlungsunfähigen Konzerngesellschaften abzugeben. Zwei neu gegründete Gesellschaften, die die Geschäftstätigkeiten überwiegend fortführen und dieselbe Kundschaft bedienen, übernahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ca. zwei Drittel der bisherigen Beschäftigten, allerdings zu schlechteren Bedingungen.
Die FNV, eine niederländische Gewerkschaftsvereinigung, klagte auf Anwendbarkeit der RL 2001/23/EG auf das vereinbarte „Pre-pack“-Verfahren und auf Feststellung, dass die Beschäftigten der früheren Konzernunternehmen unter Wahrung ihrer bisherigen Arbeitsbedingungen bei den übernehmenden Gesellschaften zu beschäftigen seien. Der oberste Gerichtshof der Niederlande möchte im Wesentlichen wissen,
- ob Art. 5 Abs. 1 RL 2001/23/EG dahingehend auszulegen ist, dass der in den Art. 3 und 4 RL 2001/23/EU gewährte Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation aufrechterhalten wird, in der der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an eine Konkurseröffnung im Zusammenhang mit einem „Pre-pack“ stattfindet, das vor der Konkurseröffnung vorbereitet und unmittelbar danach vollzogen wird, und
- ob i.S.d. Art. 5 Abs. 1 RL 2001/23/EG ein Konkursverfahren „unter Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle“ durchgeführt wird, wenn das Insolvenzverfahren in einem „Pre-pack“-Verfahren vorbereitet wird.
Die Entscheidung des Gerichts
Der EuGH hält die Richtlinie 2001/23/EG, insbesondere Art. 3 und 4 RL 2001/23/EG im Fall des niederländischen „Pre-pack“-Verfahrens für anwendbar.Der EuGH stellt zunächst fest, dass ein solches „Pre-pack“-Verfahren, das einen Konkurs impliziert, zwar grds. unter den Begriff „Verfahren“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 RL 2001/23/EG fallen kann. Es könne dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers dienen. Allerdings beruhen die Regeln des „Pre-pack“-Verfahrens allein auf der Rechtsprechung; es werde von den verschiedenen nationalen Gerichten nicht einheitlich angewandt. Das Verfahren entspreche deshalb nicht den Anforderungen der Richtlinie an die Rechtssicherheit. Ein Verlust der bisherigen Ansprüche und des Kündigungsschutzes komme deshalb nur in Betracht, wenn ein „Pre-pack“-Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sei.
Für die zweite Frage gilt im Kern dasselbe: Ein Konkursverfahren „unter Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 RL 2001/234/EG liege bei einem vorbereitenden „Pre-pack“-Verfahren nur vor, wenn dieses durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sei.