EuGH, Urt. 28.4.2022 - C-531/20

Erstattung von Patentanwaltskosten in Kennzeichensachen nur noch auf Einzelfallprüfung

Autor: Dr. Anselm Brandi-Dohrn, maître en droit/FA für GewRS, von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 07/2022
Die Art. 3 und 14 der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG stehen einer nationalen Regelung oder einer Auslegung dieser Regelung entgegen, die es dem mit einem unter die Enforcement-Richtlinie fallenden Verfahren befassten Gericht nicht erlauben, bei der Beurteilung, ob die der obsiegenden Partei entstandenen Prozesskosten zumutbar und angemessen sind, in jedem ihm vorgelegten Fall dessen spezifische Merkmale gebührend zu berücksichtigen.

RL 2004/48/EG Art. 3, 14; MarkenG § 140 Abs. 4; PatG § 143 Abs. 3; DesignG § 52 Abs. 4; GebrMG § 27 Abs. 3

Das Problem

Die Universität Heidelberg nahm die NovaText wegen Verletzung ihrer Unionsmarken in Anspruch, das Verfahren wurde durch Vergleich mit Kostenlast der NovaText beendet. Im Verfahren hatte der Anwalt der Universität die Mitwirkung einer Patentanwältin angezeigt und im Kostenfestsetzungsverfahren – entsprechend der Usancen – versichert, sie habe an dem Verfahren, sogar an jedem Schriftsatz, tatsächlich mitgewirkt. Die von ihm angemeldeten zusätzlichen Kosten der Patentanwältin hat das Landgericht antragsgemäß festgesetzt. Das Berufungsgericht stimmt zu und ergänzt, dass § 140 Abs. 4 MarkenG insoweit eindeutig und daher nicht unter Verweis auf die Enforcement-Richtlinie einschränkend auslegbar sei, dass nur die zur „zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten“ zu erstatten seien.

Der BGH hat – insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung EuGH, Urt. v. 28.7.2016 – C-57/15 – United Video Properties – Bedenken, ob § 140 Abs. 4 MarkenG in der seit Jahrzehnten feststehenden Auslegung der deutschen Rechtsprechung gegen Art. 3 Abs. 1 Enforcement-Richtlinie verstößt, der „unnötig kostspielige“ Verfahren unterbinden will (BGH, Beschl. v. 24.9.2020 – I ZB 59/19 – Kosten des Patentanwalts VI).

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH entscheidet wie aus dem obigen Tenor ersichtlich: Zwar gehörten auch die Kosten eines Patentanwaltes zu den Kosten des Verfahrens, seien also nicht grundsätzlich von der Erstattung ausgeschlossen. Auch beschränke Art. 14 der Enforcement-Richtlinie die Kostenerstattung nicht auf die „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen“ Kosten (diese Einschränkung ergibt sich nur aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO); aber nach Art. 14 seien Kosten nur zu erstatten, soweit sie „zumutbar und angemessen sind“. Diese Formulierung setze voraus, dass das nationale Gericht eine Einzelfallprüfung der Kosten auf Angemessenheit vornehmen könne. Sogar im Falle der Angemessenheit müsse dem Gericht nach Art. 14 erlaubt sein, die Kosten aus Gründen der Billigkeit im Einzelfall niederzuschlagen (Rz. 39).

Der obsiegenden Partei sind danach nicht zwangsläufig sämtliche ihr entstanden Kosten zu erstatten, jedoch wenigstens ein erheblicher und angemessener Teil der tatsächlich entstandenen, zumutbaren Kosten. Überhöhte Honorare, auch wenn vereinbart und gezahlt, gehören nicht dazu (so schon EuGH, Urt. v. 28.7.2016 – C-57/15 – United Video Properties, Rz. 25, IPRB 2016, 244).

Zuletzt stelle eine automatische und unbedingte Einbeziehung von Kosten allein aufgrund ehrenwörtlicher Erklärung des Parteivertreters ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie dar, weil er dem Rechtsmissbrauch Tür und Tor öffne.


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