EuGH, Urt. 29.7.2024 - C-184/22
Diskriminierung von Teilzeitkräften bei der Gewährung von Überstundenzuschlägen
Autor: RA FAArbR Dr. Peter Meyer, Rechtsanwälte Weimann & Meyer GbR, Berlin
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2024
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 09/2024
Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorsieht, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinaus geleistet haben, stellt eine unzulässige Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten i.S.v. § 4 Nr. 1 und 2 des Anhangs zur RL 97/81/EG dar. Hierin liegt außerdem eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts i.S.v. Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1b), Art. 4 Abs. 1 RL 2006/54/EG.
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG § 4 Nr. 1 u. 2; AEUV Art. 157; RL 2006/54/EG (Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen) Art. 2 Abs. 1 b)
Die in Teilzeit beschäftigten Klägerinnen machen Überstundenzuschläge für jede geleistete Überstunde geltend, die über ihre vertragliche Arbeitszeit hinausging, und zugleich eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG wegen unzulässiger Diskriminierung.
Das BAG hat die Rechtsfragen dem EuGH vorgelegt und u.a. ausgeführt, dass im Streitfall auch in der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Anteil von Frauen erheblich höher sei als der Anteil von Männern.
Diese Ungleichbehandlung sei nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Tarifparteien den Arbeitgeber davon hätten abhalten wollen, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in den Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen.
Die Ungleichbehandlung könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Vollzeitbeschäftigte nicht gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden sollen. Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liege bereits dann vor, wenn erwiesen sei, dass die Regelung unter den Teilzeitbeschäftigten einen signifikant höheren Anteil an Frauen benachteilige. Nicht erforderlich sei es dagegen, dass gleichzeitig unter den Vollzeitbeschäftigten erheblich mehr Männer als Frauen seien. Es komme bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung weniger auf quantitative Elemente, sondern auf qualitative Elemente an. Danach sei zu prüfen, ob die betreffende nationale Maßnahme ihrem Wesen nach geeignet sei, Personen des einen Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts „in besonderer Weise zu benachteiligen“.
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG § 4 Nr. 1 u. 2; AEUV Art. 157; RL 2006/54/EG (Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen) Art. 2 Abs. 1 b)
Das Problem
Der strittige bundesweit geltende Firmentarifvertrag bestimmt eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten von 38,5 Stunden. Zuschläge für Überstunden i.H.v. 30 % werden danach nur für „Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden“, gewährt.Die in Teilzeit beschäftigten Klägerinnen machen Überstundenzuschläge für jede geleistete Überstunde geltend, die über ihre vertragliche Arbeitszeit hinausging, und zugleich eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG wegen unzulässiger Diskriminierung.
Das BAG hat die Rechtsfragen dem EuGH vorgelegt und u.a. ausgeführt, dass im Streitfall auch in der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Anteil von Frauen erheblich höher sei als der Anteil von Männern.
Die Entscheidung des Gerichts
Der EuGH bejaht sowohl eine unzulässige schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten als auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.Diese Ungleichbehandlung sei nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Tarifparteien den Arbeitgeber davon hätten abhalten wollen, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in den Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen.
Die Ungleichbehandlung könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Vollzeitbeschäftigte nicht gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden sollen. Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liege bereits dann vor, wenn erwiesen sei, dass die Regelung unter den Teilzeitbeschäftigten einen signifikant höheren Anteil an Frauen benachteilige. Nicht erforderlich sei es dagegen, dass gleichzeitig unter den Vollzeitbeschäftigten erheblich mehr Männer als Frauen seien. Es komme bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung weniger auf quantitative Elemente, sondern auf qualitative Elemente an. Danach sei zu prüfen, ob die betreffende nationale Maßnahme ihrem Wesen nach geeignet sei, Personen des einen Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts „in besonderer Weise zu benachteiligen“.