EuGH, Urt. 2.9.2021 - C-854/19
Europarechtswidrige Nulltarif-Optionen
Autor: RA Dr. Ingemar Kartheuser, LL.M. (Canterbury), Norton Rose Fulbright LLP, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2021
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2021
Tarifoptionen von Internetzugangsanbietern, mit denen diese ihren Kunden anbieten, bestimmte Anwendungen von Partnerunternehmen zu nutzen, ohne dass das dabei anfallende Datenvolumen auf das Volumen des Basistarifs angerechnet wird, verstoßen gegen den Grundsatz der Netzneutralität.
VO (EU) 2015/2120 Art. 3 Abs. 1–3
Auch in zwei ähnlich gelagerten Fällen entschied der EuGH unter demselben Datum, zum einen eine ähnliche Praxis eines anderen Internetzugangsanbieters betreffend (EuGH v. 2.9.2021 – C-34/20) sowie einen Fall, in dem der Anbieter ein „Tethering“ vertraglich ausgeschlossen hatte, also die Nutzung eines Handys als Hotspot für andere Endgeräte, das den Verbrauch des Datenvolumens deutlich steigerte (EuGH v. 2.9.2021 – C-5/20).
Gleichbehandlung: Internetzugangsanbieter dürften den Verkehr nicht ungleich behandeln, insb. nicht aus rein kommerziellen Erwägungen; dies gelte unabhängig von den angebotenen Inhalten, Anwendungen, Diensten oder verwendeten Endgeräten. Durch die vorliegende Praxis der Anbieter würden jedoch bestimmte Partneranwendungen anders behandelt, indem deren Datenverkehr nicht auf das im Basistarif inkludierte Datenvolumen angerechnet werde.
Vertragliche Beschränkungen: Liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, könne dieser auch nicht durch den ebenfalls anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden. Eine Vereinbarkeit der Nutzungsbedingungen der Anbieter mit der Netzneutralitätsverordnung sei daher bereits nicht zu prüfen.
Anbietermaßnahmen: Zwar dürften die Anbieter laut Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 VO (EU) 2015/2120 angemessene „Verkehrsmanagementmaßnahmen“ erlassen. Derartige Maßnahmen müssten jedoch auf objektiven Anforderungen an die technische Qualität der Dienste beruhen und nicht auf kommerziellen Erwägungen.
VO (EU) 2015/2120 Art. 3 Abs. 1–3
Das Problem
Kunden eines Internetzugangsanbieters konnten zu ihrem Basistarif kostenlose Tarifoptionen (auch Nulltarif-Optionen oder Zero-Rating-Tarife genannt) hinzubuchen. Dadurch konnten sie bestimmte Anwendungen oder Anwendungskategorien (etwa Musik- oder Videostreaming-Dienste) von Partnerunternehmen des Anbieters nutzen, ohne dass dies ihr Datenvolumen unter dem Basistarif verringerte; dies galt jedenfalls innerhalb bestimmter Grenzen und war bspw. zunächst – bis zu einer Anordnung der BNetzA – auf das Inland beschränkt. Darin sah eine Verbraucherzentrale einen Verstoß gegen die Netzneutralität. Das VG Köln legte dem EuGH in der Folge Fragen zur Auslegung der Netzneutralitätsverordnung 2015/2120 vor.Auch in zwei ähnlich gelagerten Fällen entschied der EuGH unter demselben Datum, zum einen eine ähnliche Praxis eines anderen Internetzugangsanbieters betreffend (EuGH v. 2.9.2021 – C-34/20) sowie einen Fall, in dem der Anbieter ein „Tethering“ vertraglich ausgeschlossen hatte, also die Nutzung eines Handys als Hotspot für andere Endgeräte, das den Verbrauch des Datenvolumens deutlich steigerte (EuGH v. 2.9.2021 – C-5/20).
Die Entscheidung des Gerichts
Die Geschäftspraxis der Anbieter verstoße gegen die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EU) 2015/2120 genannte allgemeine Pflicht von Internetzugangsdiensten, den Datenverkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung gleich zu behandeln. Dies gelte unabhängig davon, ob für Kunden die Möglichkeit bestehe, nach Verbrauch des im Basistarif enthaltenen Datenvolumens die von den Partnern des Anbieters angebotenen Inhalte weiterhin ungedrosselt abzurufen.Gleichbehandlung: Internetzugangsanbieter dürften den Verkehr nicht ungleich behandeln, insb. nicht aus rein kommerziellen Erwägungen; dies gelte unabhängig von den angebotenen Inhalten, Anwendungen, Diensten oder verwendeten Endgeräten. Durch die vorliegende Praxis der Anbieter würden jedoch bestimmte Partneranwendungen anders behandelt, indem deren Datenverkehr nicht auf das im Basistarif inkludierte Datenvolumen angerechnet werde.
Vertragliche Beschränkungen: Liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, könne dieser auch nicht durch den ebenfalls anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden. Eine Vereinbarkeit der Nutzungsbedingungen der Anbieter mit der Netzneutralitätsverordnung sei daher bereits nicht zu prüfen.
Anbietermaßnahmen: Zwar dürften die Anbieter laut Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 VO (EU) 2015/2120 angemessene „Verkehrsmanagementmaßnahmen“ erlassen. Derartige Maßnahmen müssten jedoch auf objektiven Anforderungen an die technische Qualität der Dienste beruhen und nicht auf kommerziellen Erwägungen.