EuGH, Urt. 8.10.2020 - C-641/19

Wertersatz bei Widerruf einer Datingportal-Mitgliedschaft

Autor: RA, FA IT-Recht Dr. Aegidius Vogt, Herberger Vogt von Schoeler, München – www.hvs-rechtsanwaelte.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2020
Die Berechnung des Wertersatzes bei Widerruf einer Datingportal-Mitgliedschaft erfolgt bei einem einheitlichen Gesamtpreis lediglich zeitanteilig. Die Berücksichtigung einzelner Leistungsbestandteile kommt nur in Betracht, wenn dies transparent vertraglich geregelt ist.

AEUV Art. 267; RL 2011/83/EU Art. 2 Nr. 11, 14 Abs. 3, 16 lit. m; BGB §§ 312f Abs. 3, 356 Abs. 5, 357 Abs. 8, 9; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3

Das Problem

Ein bekanntes Datingportal bietet wahlweise eine kostenlose Basis-Mitgliedschaft oder eine kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft mit Laufzeiten von 6, 12, oder 24 Monaten an. Dabei wird bei jeder Mitgliedschaft unmittelbar nach der Anmeldung auf Basis eines dreißigminütigen, computergenerierten Persönlichkeitstests automatisiert eine Auswahl von Partnervorschlägen erstellt. Diese Auswahl macht bereits ca. die Hälfte aller Partnervorschläge aus, die das Mitglied während der gesamten Vertragslaufzeit erhält. Premium-Mitglieder erhalten den Persönlichkeitstest zudem in Form eines fünfzigseitigen „Persönlichkeitsgutachtens“. Eine Nutzerin buchte die Premium-Mitgliedschaft für 12 Monate für 523,95 €, was mehr als den doppelten Preis ausmachte, den das Portal manch anderen Nutzern berechnete. Die Nutzerin widerrief den Vertrag auf Grundlage einer ordnungsgemäß erteilten Widerrufsbelehrung bereits vier Tage später wieder. Im Anschluss stellte ihr das Datingportal 392,96 € als Wertersatz in Rechnung und berief sich insb. darauf, dass trotz der kurzen Zeitspanne bereits wesentliche Leistungen erbracht worden waren. Die Verbraucherin klagte auf Rückzahlung.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vor allem zu klären, wie die Berechnung des Wertesatzes beim Widerruf bereits begonnener Dienstleistungen zu erfolgen hat, und bestätigte die verbraucherfreundliche Linie des vorlegenden AG Hamburg.

Berechnungsgrundlage: Nach Art. 14 Abs. 3 RL 2011/83/EU habe der Verbraucher, der den Beginn der Vertragsausführung – wie hier – bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt habe und dann sein Widerrufsecht ausübe, einen Betrag zu zahlen, der verhältnismäßig dem entspreche, was bis zum Widerruf im Vergleich zum Gesamtumfang der vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht worden sei. Weiter sei dieser anteilige Betrag auf der Grundlage des vereinbarten Gesamtpreises zu berechnen. Hierbei seien alle vertragsgegenständlichen Leistungen zu berücksichtigen, d.h. Haupt- und Nebenleistungen.

Einheitlicher Preis: Wenn – wie hier – für alle Leistungen ein einheitlicher Preis vorgesehen sei, entspreche dieser Preis grundsätzlich allen Leistungen. Nur wenn der Vertrag ausdrücklich vorsehe, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Vertragsbeginn vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht würden, könne der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob er ausdrücklich verlangen wolle, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung schon während der Widerrufsfrist beginnen solle. Nur dann sei bei der Berechnung des Wertersatzes der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen. Ansonsten sei der Betrag zeitanteilig zu berechnen. Diese Auslegung entspreche auch dem Ziel der Richtlinie, für ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sorgen.

Überhöhter Gesamtpreis: Art. 14 Abs. 3 RL 2011/83/EU sei im Lichte des Erwgrd. 50 dahin auszulegen, dass für die Beurteilung eines überhöhten Gesamtpreises alle Umstände in Bezug auf den Marktwert der Dienstleistung relevant seien, d.h. sowohl der Vergleich mit dem Preis, den der betreffende Anbieter von anderen Kunden unter den gleichen Bedingungen verlange, als auch der Vergleich mit dem Preis einer von anderen Anbietern erbrachten, gleichwertigen Leistung.

Kein digitaler Inhalt: Art. 16 lit. m i.V.m. Art. 2 Nr. 11 RL 2011/83/EU sei dahin auszulegen, dass die Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens auf einer Dating-Website auf der Grundlage eines auf dieser Seite durchgeführten Persönlichkeitstests keine Lieferung „digitaler Inhalte“ im Sinne dieser Bestimmung darstelle.


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