EuGH, Urt. 9.9.2021 - C-783/19 (VO EU)
Geografische Ursprungsbezeichnungen (g.U.) sind auch gegen Handlungen geschützt, die sich auf Dienstleistungen beziehen
Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 02/2022
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 02/2022
Art. 103 Abs. 2 lit. b VO (EU) Nr. 1308/2013 ist dahin auszulegen, dass die Bestimmung auch bei unerlaubter Verwendung einer Bezeichnung für Dienstleistungen – und nicht nur für Erzeugnisse – Anwendung findet. Eine „Anspielung“ im Sinne dieser Bestimmung setzt außerdem keine Identität oder Ähnlichkeit zwischen dem von der g.U. geschützten Erzeugnis und dem vom streitigen Zeichen erfassten Erzeugnis bzw. die von diesem erfasste Dienstleistung voraus. Es genügt, dass der Verbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang zwischen dem streitigen Namen und der g.U. herstellt. Zudem setzt eine „Anspielung“ das Vorliegen eines unlauteren Wettbewerbsverhaltens nicht voraus.
VO (EU) Nr. 1308/2013 Art. 103 Abs. 2 lit. b
Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Dieses setzte das Verfahren aus und fragte beim Gerichtshof an, wie VO (EU) Nr. 1308/2013 Art. 103 Abs. 2 lit. b (im Folgenden „Verordnung“) auszulegen sei.
Daher fragt das Berufungsgericht zuerst, ob in den Schutzbereich einer Ursprungsbezeichnung nicht nur der Schutz gegenüber ähnlichen Erzeugnissen, sondern auch der Schutz gegenüber Dienstleistungen fielen, die mit dem (in-)direkten Vertrieb dieser Erzeugnisse in Verbindung stehen könnten.
Als zweites und drittes möchte das Gericht wissen, ob eine „Anspielung“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung zum einen voraussetze, dass das unter einer g.U. fallende Erzeugnis und das von dem streitigen Zeichen erfasste Erzeugnis bzw. die von diesem erfasste Dienstleistung identisch oder ähnlich seien. Zum anderen fragt es, ob die Anspielung anhand objektiver Faktoren zu bestimmen sei, um eine erhebliche Auswirkung auf den Durchschnittsverbraucher zu ermitteln.
Zuletzt möchte das Gericht wissen, ob es sich bei einer Gefahr der Anspielung/Ausnutzung um einen speziellen Schutz handele, der den Besonderheiten der Erzeugnisse entspreche, oder der Schutz mit Vorschriften des Wettbewerbsrechts in Verbindung gesetzt werden müsse.
Erste Frage:
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seien bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang sowie die verfolgten Ziele zu berücksichtigen.
Nach dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung sei eine g.U. gegen jede widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung geschützt, selbst wenn der tatsächliche Ursprung des Erzeugnisses „oder der Dienstleistung“ angegeben sei. Daraus folge, dass eine g.U. zwar nur für Erzeugnisse geführt werden könne. Jedoch umfasse der Schutz die Verwendung der Bezeichnung durch Erzeugnisse oder Dienstleistungen gleichermaßen. Diese Auslegung finde sich auch in den Erwägungsgründen der gegenständliche Verordnung sowie der Verordnung Nr. 1151/2012 wieder. Daraus gehe hervor, dass der Schutz einer g.U. gegen die Anspielung auf sie auch auf Dienstleistungen zu übertragen sei.
Dem stünden auch die mit der Verordnung verfolgten Ziele nicht entgegen. Die Verordnung ziele darauf ab, den Verbrauchern Gewähr dafür zu bieten, dass ein g.U.-Erzeugnis aufgrund der Herkunft aus einem bestimmten geografischen Gebiet bestimmte besondere Merkmale aufweise und damit eine Qualitätsgarantie biete. Dabei könnten Landwirte, die sich zu solchen Qualitätsanstrengungen bereit erklärt hätten, auch ein höheres Einkommen erzielen. Zudem verhindere die Verordnung eine missbräuchliche Rufausnutzung durch Dritte. Art. 103 Abs. 2 der Verordnung habe insofern einen weiten Schutzumfang. Eine Auslegung der Vorschrift, die dem Inhaber einer g.U. lediglich Schutz gegen die Bezeichnung von Erzeugnissen gewähre, widerspreche diesem weiten Schutzbereich.
Daher sei Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung dahin auszulegen, dass g.U. gegen Handlungen geschützt würden, die sich sowohl auf Erzeugnisse als auch auf Dienstleistungen bezögen.
Zweite und dritte Frage:
Hinsichtlich des Begriffs der „Anspielung“ komme es laut ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes darauf an, ob der Verbraucher durch einen streitigen Namen veranlasst werde, einen unmittelbaren gedanklichen Bezug zur der von der g.U. erfassten Ware herzustellen. Dies habe das nationale Gericht zu prüfen. Es habe dabei den teilweisen Einschluss einer g.U. in den streitigen Namen sowie eine klangliche/visuelle Ähnlichkeit dieses Namens mit der g.U. zu berücksichtigen. Außerdem müsse das nationale Gericht gegebenenfalls eine inhaltliche Nähe des Namens zu der g.U. beachten.
Für die Annahme einer Anspielung komme es maßgeblich darauf an, ob der Verbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang zwischen des streitigen Namens und der g.U. herstelle. Das vorlegende Gericht müsse also sämtliche relevanten Umstände der Sache bei der Prüfung einer tatbestandsmäßigen „Anspielung“ miteinbeziehen.
Außerdem sei bei der Beurteilung des Vorliegens einer solchen Anspielung auf die Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Der Begriff des europäischen Durchschnittsverbrauchers sei dahingehend auszulegen, dass ein effektiver und einheitlicher Schutz der eingetragenen Namen vor jeder Anspielung auf diese im gesamten Unionsgebiet sichergestellt werde. Daher finde Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung bereits Anwendung, wenn eine Anspielung auch nur im Hinblick auf Verbraucher eines Mitgliedstaats vorliege.
Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung sei demnach so auszulegen, dass das Merkmal der „Anspielung“ keine Identität/Ähnlichkeit zwischen dem unter einer g.U. fallendem Erzeugnis und das vom streitigen Zeichen erfasste Erzeugnis bzw. die von diesem erfasste Dienstleistung voraussetze. Zum anderen sei eine Anspielung gegeben, wenn die Verwendung eines namens beim normal informierten, angemessen aufmerksamen und versätndigen europäischen Durchschnittsverbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen gedanklichen Zusammenhang zwischen diesem Namen und der g.U. herstelle.
Vierte Frage:
Wie aus Frage zwei und drei hervorgehe, handele es sich bei Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung um eine objektive Schutzregelung. Zudem setze der dadurch geschaffene Schutz weder ein Wettbewerbsverhältnis noch eine für den Verbraucher bestehende Verwechslungsgefahr zwischen den Erzeugnissen/Dienstleistungen voraus. Auch wenn in demselben Verhalten eine nach Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung unzulässige Praxis einerseits und eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des nationalen Rechts andererseits liege, sei der Geltungsbereich der Verordnung weiter als der des entsprechenden nationalen Rechts. Daher setze eine „Anspielung“ im Sinne des Art- 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung kein unlauteres Wettbewerbsverhalten voraus.
VO (EU) Nr. 1308/2013 Art. 103 Abs. 2 lit. b
Das Problem
GB (Beklagter des Ausgangsstreits) betreibt Tapas-Bars in Spanien und verwendet das Zeichen „CHAMPANILLO“ zur Bezeichnung und Bewerbung seines Betriebs. Die Bezeichnung ist mit zwei Gläsern hinterlegt, die mit einem Schaumgetränk gefüllt sind und mit denen angestoßen wird. Das Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne (CIVC, Klägerin des Ausgangsstreits) klagte gegen die Verwendung des streitgegenständlichen Zeichens, da es die g.U. „Champagne“ verletze. Die Klägerin unterlag erstinstanzlich. Das Gericht stellte fest, dass mit der Verwendung des Zeichens „CHAMPANILLO“ keine Anspielung auf die g.U. „Champagne“ verbunden sei. Es liege keine Verletzung der g.U. vor. Denn mit „CHAMPANILLO“ werde kein alkoholisches Getränk, sondern lediglich ein Gastronomiebetrieb – in dem auch kein Champagner ausgeschenkt werde – bezeichnet. Es handele sich daher um andere als die durch die g.U. geschützten Erzeugnisse, die auf ein anderes Publikum abzielten.Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Dieses setzte das Verfahren aus und fragte beim Gerichtshof an, wie VO (EU) Nr. 1308/2013 Art. 103 Abs. 2 lit. b (im Folgenden „Verordnung“) auszulegen sei.
Daher fragt das Berufungsgericht zuerst, ob in den Schutzbereich einer Ursprungsbezeichnung nicht nur der Schutz gegenüber ähnlichen Erzeugnissen, sondern auch der Schutz gegenüber Dienstleistungen fielen, die mit dem (in-)direkten Vertrieb dieser Erzeugnisse in Verbindung stehen könnten.
Als zweites und drittes möchte das Gericht wissen, ob eine „Anspielung“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung zum einen voraussetze, dass das unter einer g.U. fallende Erzeugnis und das von dem streitigen Zeichen erfasste Erzeugnis bzw. die von diesem erfasste Dienstleistung identisch oder ähnlich seien. Zum anderen fragt es, ob die Anspielung anhand objektiver Faktoren zu bestimmen sei, um eine erhebliche Auswirkung auf den Durchschnittsverbraucher zu ermitteln.
Zuletzt möchte das Gericht wissen, ob es sich bei einer Gefahr der Anspielung/Ausnutzung um einen speziellen Schutz handele, der den Besonderheiten der Erzeugnisse entspreche, oder der Schutz mit Vorschriften des Wettbewerbsrechts in Verbindung gesetzt werden müsse.
Die Entscheidung des Gerichts
Der EuGH entschied wie folgt:Erste Frage:
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seien bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang sowie die verfolgten Ziele zu berücksichtigen.
Nach dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung sei eine g.U. gegen jede widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung geschützt, selbst wenn der tatsächliche Ursprung des Erzeugnisses „oder der Dienstleistung“ angegeben sei. Daraus folge, dass eine g.U. zwar nur für Erzeugnisse geführt werden könne. Jedoch umfasse der Schutz die Verwendung der Bezeichnung durch Erzeugnisse oder Dienstleistungen gleichermaßen. Diese Auslegung finde sich auch in den Erwägungsgründen der gegenständliche Verordnung sowie der Verordnung Nr. 1151/2012 wieder. Daraus gehe hervor, dass der Schutz einer g.U. gegen die Anspielung auf sie auch auf Dienstleistungen zu übertragen sei.
Dem stünden auch die mit der Verordnung verfolgten Ziele nicht entgegen. Die Verordnung ziele darauf ab, den Verbrauchern Gewähr dafür zu bieten, dass ein g.U.-Erzeugnis aufgrund der Herkunft aus einem bestimmten geografischen Gebiet bestimmte besondere Merkmale aufweise und damit eine Qualitätsgarantie biete. Dabei könnten Landwirte, die sich zu solchen Qualitätsanstrengungen bereit erklärt hätten, auch ein höheres Einkommen erzielen. Zudem verhindere die Verordnung eine missbräuchliche Rufausnutzung durch Dritte. Art. 103 Abs. 2 der Verordnung habe insofern einen weiten Schutzumfang. Eine Auslegung der Vorschrift, die dem Inhaber einer g.U. lediglich Schutz gegen die Bezeichnung von Erzeugnissen gewähre, widerspreche diesem weiten Schutzbereich.
Daher sei Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung dahin auszulegen, dass g.U. gegen Handlungen geschützt würden, die sich sowohl auf Erzeugnisse als auch auf Dienstleistungen bezögen.
Zweite und dritte Frage:
Hinsichtlich des Begriffs der „Anspielung“ komme es laut ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes darauf an, ob der Verbraucher durch einen streitigen Namen veranlasst werde, einen unmittelbaren gedanklichen Bezug zur der von der g.U. erfassten Ware herzustellen. Dies habe das nationale Gericht zu prüfen. Es habe dabei den teilweisen Einschluss einer g.U. in den streitigen Namen sowie eine klangliche/visuelle Ähnlichkeit dieses Namens mit der g.U. zu berücksichtigen. Außerdem müsse das nationale Gericht gegebenenfalls eine inhaltliche Nähe des Namens zu der g.U. beachten.
Für die Annahme einer Anspielung komme es maßgeblich darauf an, ob der Verbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang zwischen des streitigen Namens und der g.U. herstelle. Das vorlegende Gericht müsse also sämtliche relevanten Umstände der Sache bei der Prüfung einer tatbestandsmäßigen „Anspielung“ miteinbeziehen.
Außerdem sei bei der Beurteilung des Vorliegens einer solchen Anspielung auf die Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Der Begriff des europäischen Durchschnittsverbrauchers sei dahingehend auszulegen, dass ein effektiver und einheitlicher Schutz der eingetragenen Namen vor jeder Anspielung auf diese im gesamten Unionsgebiet sichergestellt werde. Daher finde Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung bereits Anwendung, wenn eine Anspielung auch nur im Hinblick auf Verbraucher eines Mitgliedstaats vorliege.
Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung sei demnach so auszulegen, dass das Merkmal der „Anspielung“ keine Identität/Ähnlichkeit zwischen dem unter einer g.U. fallendem Erzeugnis und das vom streitigen Zeichen erfasste Erzeugnis bzw. die von diesem erfasste Dienstleistung voraussetze. Zum anderen sei eine Anspielung gegeben, wenn die Verwendung eines namens beim normal informierten, angemessen aufmerksamen und versätndigen europäischen Durchschnittsverbraucher einen hinreichend unmittelbaren und eindeutigen gedanklichen Zusammenhang zwischen diesem Namen und der g.U. herstelle.
Vierte Frage:
Wie aus Frage zwei und drei hervorgehe, handele es sich bei Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung um eine objektive Schutzregelung. Zudem setze der dadurch geschaffene Schutz weder ein Wettbewerbsverhältnis noch eine für den Verbraucher bestehende Verwechslungsgefahr zwischen den Erzeugnissen/Dienstleistungen voraus. Auch wenn in demselben Verhalten eine nach Art. 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung unzulässige Praxis einerseits und eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des nationalen Rechts andererseits liege, sei der Geltungsbereich der Verordnung weiter als der des entsprechenden nationalen Rechts. Daher setze eine „Anspielung“ im Sinne des Art- 103 Abs. 2 lit. b der Verordnung kein unlauteres Wettbewerbsverhalten voraus.