Falsche Beantwortung der Frage nach einer Behinderung – Anfechtung
Autor: RAin FAinArbR Annegret Müller-Mundt, Norton Rose LLP, München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2012
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2012
Die falsche Beantwortung einer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber zu einer Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung berechtigen. Das setzt aber voraus, dass die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags ursächlich war.
BAG, Urt. v. 7.7.2011 - 2 AZR 396/10
Vorinstanz: LAG Hessen - 6/7 Sa 1373/09
BGB §§ 123 Abs. 1, 626 Abs. 1; KSchG § 1; AGG §§ 1, 3, 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 u. Abs. 4, 22; SGB IX § 81 Abs. 2
Nachdem die Beklagte eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erwog, teilte die Klägerin ihr am 7.10.2008 mit, dass sie als Schwerbehinderte anerkannt sei. Daraufhin erklärte die Beklagte am nächsten Tag die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Sie warf der Klägerin vor, die Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung in dem Personalfragebogen unwahr beantwortet zu haben. Zudem kündigte sie der Klägerin nach Zustimmung des Integrationsamts mit Schreiben vom 22.10.2008 außerordentlich. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und verlangte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Eine arglistige Täuschung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, weil die Beklagte durch die falsche Antwort der Klägerin nicht zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt wurde. Zwar kann die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB zur Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung berechtigen. Der durch die etwaige Täuschung erregte Irrtum war hier aber für den Abschluss des Arbeitsvertrags auf Seiten der Beklagten nicht ursächlich. Denn sie hat ausdrücklich erklärt, sie hätte die Klägerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet hätte.
Die Beklagte kann ihre Anfechtung auch nicht darauf stützen, die Klägerin habe sie über ihre Ehrlichkeit getäuscht. Die Annahme der Beklagten, die Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf deren falscher Antwort. Hätte die Klägerin die Frage richtig beantwortet, wäre die Beklagte ebenso von ihrer Ehrlichkeit ausgegangen.
Für die außerordentliche Kündigung fehlt es an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB. Das gilt selbst dann, wenn die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zulässig gewesen wäre. Die Täuschung wirkte nicht in einer Weise nach, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Schließlich war die Klägerin mehr als eineinhalb Jahre für die Beklagte tätig, ohne dass es Beanstandungen gegeben hätte.
Ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung scheidet allerdings aus, da sie von der Beklagten nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt wurde. Nicht der Umstand, dass die Klägerin anerkannte Schwerbehinderte ist, sondern deren falsche Antwort auf die entsprechende Frage war der Grund für die Anfechtung und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
BAG, Urt. v. 7.7.2011 - 2 AZR 396/10
Vorinstanz: LAG Hessen - 6/7 Sa 1373/09
BGB §§ 123 Abs. 1, 626 Abs. 1; KSchG § 1; AGG §§ 1, 3, 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 u. Abs. 4, 22; SGB IX § 81 Abs. 2
Das Problem:
Die Klägerin war seit 2007 bei dem beklagten Softwareunternehmen als Angestellte im Außendienst (Vertrieb) tätig. Vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags hatte die Beklagte der Klägerin einen Personalfragebogen vorgelegt. Die Klägerin hatte hierin die Frage, ob sie anerkannte Schwerbehinderte oder Gleichgestellte sei, verneint, obwohl sie bereits seit 1998 als Schwerbehinderte anerkannt war.Nachdem die Beklagte eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erwog, teilte die Klägerin ihr am 7.10.2008 mit, dass sie als Schwerbehinderte anerkannt sei. Daraufhin erklärte die Beklagte am nächsten Tag die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Sie warf der Klägerin vor, die Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung in dem Personalfragebogen unwahr beantwortet zu haben. Zudem kündigte sie der Klägerin nach Zustimmung des Integrationsamts mit Schreiben vom 22.10.2008 außerordentlich. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und verlangte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Die Entscheidung des Gerichts:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die Anfechtung noch durch die Kündigung aufgelöst worden.Eine arglistige Täuschung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, weil die Beklagte durch die falsche Antwort der Klägerin nicht zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt wurde. Zwar kann die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB zur Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung berechtigen. Der durch die etwaige Täuschung erregte Irrtum war hier aber für den Abschluss des Arbeitsvertrags auf Seiten der Beklagten nicht ursächlich. Denn sie hat ausdrücklich erklärt, sie hätte die Klägerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet hätte.
Die Beklagte kann ihre Anfechtung auch nicht darauf stützen, die Klägerin habe sie über ihre Ehrlichkeit getäuscht. Die Annahme der Beklagten, die Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf deren falscher Antwort. Hätte die Klägerin die Frage richtig beantwortet, wäre die Beklagte ebenso von ihrer Ehrlichkeit ausgegangen.
Für die außerordentliche Kündigung fehlt es an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB. Das gilt selbst dann, wenn die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zulässig gewesen wäre. Die Täuschung wirkte nicht in einer Weise nach, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Schließlich war die Klägerin mehr als eineinhalb Jahre für die Beklagte tätig, ohne dass es Beanstandungen gegeben hätte.
Ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung scheidet allerdings aus, da sie von der Beklagten nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt wurde. Nicht der Umstand, dass die Klägerin anerkannte Schwerbehinderte ist, sondern deren falsche Antwort auf die entsprechende Frage war der Grund für die Anfechtung und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.