Feststellungen zur Kindeswohlgefährdung bei Sorgerechtsentziehung

Autor: DirAG Dr. Michael Giers, Neustadt a. Rbge.
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2015
Die elterliche Sorge darf nicht unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten entzogen werden, dessen Verwertbarkeit erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. Wenn das Gutachten Mängel aufweist, muss das Gericht die Mängel thematisieren, die fachliche Qualifikation des Sachverständigen näher klären und nachvollziehbar darlegen, inwiefern Aussagen aus dem Gutachten gleichwohl verwertbar sind und zur Entscheidungsfindung beitragen können.

BVerfG, Beschl. v. 19.11.2014 - 1 BvR 1178/14

Vorinstanz: OLG Hamm, Beschl. v. 6.2.2014 - II-6 UF 177/13

GG Art. 6 Abs. 2 S. 1; BGB § 1666

Das Problem

Das AG entzog beiden Eltern auf Antrag des Jugendamts das Sorgerecht für ein gemeinsames Kind. Zur Begründung hat sich das AG hinsichtlich des Vaters vor allem auf die Feststellungen eines Sachverständigengutachtens gestützt. Die Beschwerde des Vaters hatte keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Verfassungsbeschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und Zurückverweisung, weil der Vater in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt wurde. Das BVerfG bemängelt – neben einem Hinweis auf die Kürze der Entscheidungen – vor allem, dass sich AG und OLG maßgeblich auf die Feststellungen im Sachverständigengutachten stützen, dessen Verwertbarkeit aber erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliege. Denn im Gutachten werde die verfassungsrechtlich gebotene Frage nach einer nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls weder explizit noch in der Sache gestellt. Stattdessen werde aus der gerichtlichen Beweisfrage die psychologische Fragestellung abgeleitet, ob die Eltern ihre Erziehungsfähigkeit anhand der acht Herausforderungen des Lebens unter Beweis stellen können. Diese Fragestellung verkenne jedoch, dass die Eltern ihre Erziehungsfähigkeit nicht positiv unter Beweis stellen müssen. Im Gegenteil setze eine Trennung von Eltern und Kind umgekehrt voraus, dass ein das Kind gravierend schädigendes Erziehungsversagen mit hinreichender Gewissheit feststehe. Darüber hinaus biete das Gutachten auch deshalb keine verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung, weil sich Hinweise darauf fänden, dass die Sachverständige dem Beschwerdeführer insbesondere im Hinblick auf seine Herkunft aus einem afrikanischen Land nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit begegnet sei. Allerdings führten die Mängel des Gutachtens nicht ohne weiteres zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidungen. Die Gerichte hätten die Mängel thematisieren, die fachliche Qualifikation der Sachverständigen näher klären und nachvollziehbar darlegen müssen, inwiefern Aussagen aus dem Gutachten gleichwohl verwertbar seien und zur Entscheidungsfindung beitragen könnten. Das sei aber nicht geschehen. Insbesondere seien dem Kind drohende Schäden nicht konkret benannt worden.


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