Gerichtliche Hinweispflicht: § 139 ZPO gilt auch im VKH-Verfahren

Autor: RA Michael Nickel, FAFamR, Hagen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 12/2015
1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Ende der Instanz ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmsweise ist Prozesskostenhilfe nach Ende der Instanz zu bewilligen, wenn das Gericht einen nach § 139 ZPO rechtlich gebotenen Hinweis unterlassen hat.2. Das Gericht ist nach § 139 ZPO zu einem Hinweis vor Feststellung eines Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO verpflichtet, wenn der Klageschrift keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt war und angekündigt wurde, die Erklärung werde nachgereicht. (amtlicher Leitsatz)

LAG Köln, Beschl. v. 19.6.2015 - 5 Ta 149/15

Vorinstanz: ArbG Aachen, Beschl. v. 9.3.2015 - 7 Ca 282/15

ZPO §§ 114, 117, 118, 139

Das Problem

Für die Durchführung seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts beantragt. Die Klageschrift enthielt den Hinweis, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses nachgereicht werde. Noch vor Durchführung des Gütetermins schlossen die Parteien einen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO. Etwa eine Woche später wies das ArbG den PKH-Antrag zurück. Daraufhin reichte der Kläger eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein und erhob sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung seines PKH-Antrags.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Beschwerde hat vor dem LAG Erfolg. Entgegen der Annahme des ArbG sei die nachgereichte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers zu berücksichtigen. Wenngleich nach § 114 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe lediglich für eine „beabsichtigte” Rechtsverfolgung gewährt werden könne und eine Rückwirkung der Bewilligung daher grundsätzlich ausgeschlossen sei, könne eine rückwirkende Bewilligung bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag aus seiner Sicht alles für die Bewilligung Erforderliche oder Zumutbare getan habe.

Zwar sei nach Abschluss der Instanz die Bewilligung von PKH grundsätzlich nicht mehr möglich (BAG v. 16.2.2012 – 3 AZB 34/11, MDR 2012, 1104; v. 3.12.2003 – 2 AZB 19/03, MDR 2004, 415). Ausnahmsweise könne jedoch über einen rechtzeitig eingereichten PKH-Antrag auch noch nach Abschluss der Instanz positiv entschieden werden, wenn das Gericht eine Frist zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen und Belege gesetzt (BAG v. 3.12.2003 – 2 AZB 19/03, MDR 2004, 415) oder einen rechtlich gebotenen Hinweis mit Fristsetzung unterlassen habe und die fehlenden Unterlagen und Belege nachgereicht würden.

Zwar werde in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet, ob und unter welchen Voraussetzungen das Gericht zur Erteilung eines solchen Hinweises mit Fristsetzung verpflichtet sei (gegen eine Hinweispflicht BAG v. 5.12.2012 – 3 AZB 40/12, juris – Rz. 10; LAG Berlin-Brandenburg v. 15.5.2015 – 10 Ta 765/15, juris; LAG Niedersachsen v. 14.1.2015 – 6 Ta 484/14, juris; dafür hingegen LAG Köln v. 7.3.2014 – 1 Ta 37/14, AE 2014, 309; LAG Hamm v. 27.5.2013 – 5 Ta 157/13, juris; LAG Schleswig-Holstein v. 17.1.2013 – 5 Ta 10/13, JurBüro 2013, 257; vgl. auch LAG Köln v. 30.9.2013 – 11 Ta 177/13, ArbuR 2009, 106). Nach Auffassung des Gerichts bestehe eine solche gerichtliche Hinweispflicht auch dann, wenn der Klageschrift zwar keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt, ihre Nachreichung jedoch angekündigt wurde. Nach § 139 ZPO sei das Gericht gehalten, den Parteien Hinweise auch für solche Gesichtspunkte zu erteilen, die eine Partei erkennbar übersehen habe. Hinsichtlich dieser richterlichen Hinweispflicht erfordere das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei Ablehnung eines PKH-Antrags einen ebenso strengen Maßstab wie in einem Hauptsacheverfahren (BVerfG v. 12.11.2007 – 1 BvR 48/05, FamRZ 2008, 131).

Angesichts der Stellung eines PKH-Antrags ohne Vorlage der notwendigen Erklärungen und Unterlagen könne das Gericht regelmäßig davon ausgehen, dass die Partei erkennbar übersehen habe, dass Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht nach Instanzende gewährt werden könne, wenn sie an einer Beendigung des Rechtsstreits mitwirke, ohne zuvor die notwendigen Erklärungen und Unterlagen vorgelegt zu haben. Die Hinweispflicht beruhe auf der Annahme, dass der Rechtsanwalt nur dann an der Beendigung des Rechtsstreits mitwirken werde, wenn er (irrtümlich) davon ausgehe, die Prozesskostenhilfe könne auch noch später bewilligt werden.


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