Gesamtschulden im Zugewinnausgleich

Autor: RA Dr. Thomas Herr, Kassel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 01/2014
1. Die güterrechtlichen Vorschriften über den Zugewinnausgleich verdrängen den Gesamtschuldnerausgleich nicht.2. Gemeinsame Schulden sind bei beiden Ehegatten in voller Höhe als Passivposten zu berücksichtigen. Ein im Innenverhältnis bestehender Ausgleichsanspruch ist als Aktivposten einzustellen.3. Eine zwischen den Ehegatten als Gesamtschuldner seit der Trennung geübte Praxis, nach der ein Ehegatte die Lasten eines gemeinsamen Hauses insgesamt trägt und der andere Ehegatte keine Nutzungsvergütung verlangt und keinen Anteil an Mieteinnahmen erhält, ist keine anderweitige Bestimmung i.S.d. § 426 Abs. 1 BGB, wenn noch eine hohe Restschuld aussteht und von einer in einem kurzen Zeitraum geübten Praxis nicht auf einen langjährigen Bindungswillen der Beteiligten geschlossen werden kann. (amtliche Leitsätze)

OLG Frankfurt, Beschl. v. 6.3.2013 - 6 UF 50/11

Vorinstanz: AG Bensheim - 72 F 568/07 GÜ

BGB §§ 426, 1375

Das Problem:

F beantragt nach der Scheidung von M im abgetrennten Zugewinnausgleichsverfahren Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug mit dem Ziel, M anstatt zu lediglich 5.057,78 €, wie vom AG entschieden, zur Zahlung von 133.391,72 € zu verurteilen. Kern des Streits ist die methodische Behandlung gesamtschuldnerischer Verbindlichkeiten i.H.v. 133.266,48 € bei der Feststellung der beiderseitigen Endvermögen. Die Schulden lasteten auf einer im gemeinsamen Eigentum stehenden Immobilie mit zwei Wohneinheiten. Die eine wurde von F entschädigungsfrei genutzt, die andere war für 620 € monatlich vermietet, wobei F die Miete erhielt. Der monatliche Schuldendienst belief sich auf 989 €, wovon M 39,88 € und F die restlichen 949,12 € bediente, die bei der Berechnung des Kindesunterhalts, nicht aber des Ehegattenunterhalts berücksichtigt worden waren.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG folgt M darin, dass die Verbindlichkeiten je zur Hälfte in den Endvermögen der Beteiligten zu berücksichtigen seien und nicht, wie von F vertreten, in voller Höhe nur bei ihr. Ihr Verfahrenskostenhilfeantrag wird daher abgewiesen. Es legt zunächst die grundsätzliche Handhabung nach der BGH-Rechtsprechung dar und prüft sodann – mit negativem Ergebnis –, ob wegen der Einzelfallumstände eine abweichende Beurteilung angezeigt ist. Ausgangspunkt ist, dass der Zugewinnausgleich den Gesamtschuldnerausgleich nicht ausschließt. Es sind somit beide Ansprüche zu prüfen. Sie beeinflussen sich wechselseitig in bestimmter Weise: Die Gesamtschuld ist zunächst als Passivposten in beide Endvermögen einzubuchen, und zwar jeweils voll und nicht etwa nur zu 1/2. Hiernach ist der interne Gesamtschuldnerausgleich einzubuchen, was per Saldo bei einer Quote zu je 50 % darauf hinausläuft, dass sich das Endvermögen jedes Ehegatten um jeweils die Hälfte der Gesamtschuld vermindert (BGH v. 6.10.2010 – XII ZR 10/09, FamRZ 2011, 25 = FamRB 2011, 33). Dies folgt aus dem „Zweifelsgrundsatz” des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach sind die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist”. Bei einer anderen Quote, auf die es somit ankommt, verschiebt sich das Ergebnis entsprechend bis hin zu einer Vollberücksichtigung nur bei einem Ehegatten. Sie setzt eine Überlagerung des „Zweifelsgrundsatzes” durch eine anderweitige Regelung voraus, die nur unter bestimmten Voraussetzungen angenommen werden kann. Insbesondere müssen die aufgrund einer überlagernden Vereinbarung zu erbringenden Leistungen und Gegenleistungen zusammen mit dem abweichenden Gesamtschuldnerausgleich im Ergebnis alle in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Das ist nicht der Fall, wenn der den Schuldendienst leistende Ehegatte Vorteile erhält, die den Schuldendienst kompensieren oder sogar überkompensieren. Die Feststellung einer überlagernden Vereinbarung vermag das OLG angesichts der Verteilung der Zins- und Tilgungsleistungen sowie der entschädigungslosen Wohnungsnutzung und der Mieteinnahmen nicht zu treffen. Ausschlaggebend ist ferner das hälftige Grundeigentum und die erhebliche Höhe der Restschuld, die gegen eine nicht ausdrückliche erfolgte wechselseitige Bindung streitet bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Umstands, dass die unstreitige Handhabung erst relativ kurze Zeit gelebt worden war.


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