Gewichtung von Unterhaltspflichten im Rahmen der Sozialauswahl
Autor: RA FAArbR Dr. Norbert Windeln, LL.M., avocado rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2015
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 04/2015
Im Rahmen der Sozialauswahl ist eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht geeignet, drei Unterhaltspflichten aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinerseits eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren aufzuweisen hat. (Amtl. LS)
BAG, Urt. v. 29.1.2015 - 2 AZR 164/14
Vorinstanz: LAG Köln - 6 Sa 533/13
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
Dem Kläger wurde betriebsbedingt gekündigt. Zum Zeitpunkt der Kündigung war er 40,5 Jahre alt und seit sechs Jahren im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Er ist verheiratet und gegenüber zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
Die durchgeführte Sozialauswahl hält der Kläger für fehlerhaft und damit die ausgesprochene Kündigung für unwirksam, weil eine mit ihm vergleichbare Arbeitnehmerin zwar 42 Jahre alt und schon seit neun Jahren im Betrieb tätig ist, jedoch als ledige und kinderlose Frau über keine Unterhaltspflichten verfügt.
Zwar habe der Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl einen Wertungsspielraum hinsichtlich der Gewichtung der Auswahlkriterien zueinander; er müsse insbesondere nicht die bestmögliche Sozialauswahl treffen. Der Wertungsspielraum sei aber überschritten, wenn der gekündigte Arbeitnehmer sozial deutlich schutzbedürftiger sei.
Vorliegend sei dies beim Kläger der Fall. Im Vergleich zu der nur drei Jahre längeren Betriebszugehörigkeit der vergleichbaren Arbeitnehmerin wiegen die Unterhaltspflichten des Klägers für seine Ehefrau und die beiden Kinder erheblich schwerer. Dabei sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst bereits über eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren verfügt habe. Bei einer kürzeren Betriebszugehörigkeit des Klägers wäre ein dreijähriger „Beschäftigungsvorsprung” stärker ins Gewicht gefallen.
Der Altersunterschied von anderthalb Jahren schließlich sei vom LAG zu Recht für geringfügig erachtet worden. Entscheidend sei insoweit, dass beide Arbeitnehmer sich noch in einem Alter befunden hätten, in dem von ähnlich guten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt auszugehen gewesen sei.
BAG, Urt. v. 29.1.2015 - 2 AZR 164/14
Vorinstanz: LAG Köln - 6 Sa 533/13
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
Das Problem
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, bestehende Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.Dem Kläger wurde betriebsbedingt gekündigt. Zum Zeitpunkt der Kündigung war er 40,5 Jahre alt und seit sechs Jahren im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Er ist verheiratet und gegenüber zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
Die durchgeführte Sozialauswahl hält der Kläger für fehlerhaft und damit die ausgesprochene Kündigung für unwirksam, weil eine mit ihm vergleichbare Arbeitnehmerin zwar 42 Jahre alt und schon seit neun Jahren im Betrieb tätig ist, jedoch als ledige und kinderlose Frau über keine Unterhaltspflichten verfügt.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Gericht schließt sich dieser Auffassung an und bestätigt damit die Entscheidungen der Vorinstanzen.Zwar habe der Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl einen Wertungsspielraum hinsichtlich der Gewichtung der Auswahlkriterien zueinander; er müsse insbesondere nicht die bestmögliche Sozialauswahl treffen. Der Wertungsspielraum sei aber überschritten, wenn der gekündigte Arbeitnehmer sozial deutlich schutzbedürftiger sei.
Vorliegend sei dies beim Kläger der Fall. Im Vergleich zu der nur drei Jahre längeren Betriebszugehörigkeit der vergleichbaren Arbeitnehmerin wiegen die Unterhaltspflichten des Klägers für seine Ehefrau und die beiden Kinder erheblich schwerer. Dabei sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst bereits über eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren verfügt habe. Bei einer kürzeren Betriebszugehörigkeit des Klägers wäre ein dreijähriger „Beschäftigungsvorsprung” stärker ins Gewicht gefallen.
Der Altersunterschied von anderthalb Jahren schließlich sei vom LAG zu Recht für geringfügig erachtet worden. Entscheidend sei insoweit, dass beide Arbeitnehmer sich noch in einem Alter befunden hätten, in dem von ähnlich guten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt auszugehen gewesen sei.