Inwieweit darf der Chef Vorgaben fürs Privatleben machen?

11.07.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Beruf,Privatleben,Chef,Vorgaben,Kündigung, Chefs sehen manches kritisch, was die Beschäftigten privat unternehmen. © - freepik

Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind oft gar nicht so einfach zu ziehen. Liebe zu Kollegen, politische Meinungsäußerungen, Posts in sozialen Netzwerken - wann und wie viel darf der Chef mitbestimmen?

Was im privaten Bereich des Arbeitnehmers passiert, geht den Chef nichts an. Dies denken zumindest die meisten abhängig Beschäftigten. Grundsätzlich stimmt dies auch. Nur: Es gibt immer wieder Fälle - auch vor Gericht - in denen über die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf gestritten wird. So ist es durchaus denkbar, dass Äußerungen eines Arbeitnehmers auf Social Media dem Arbeitgeber schaden. Oder dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht in vorderster Front bei einer Demonstration in den Abendnachrichten sehen möchte. Und wie sieht es zum Beispiel mit dem Liebesleben aus - wenn sich etwa der Sachbearbeiter und seine Abteilungsleiterin verlieben? Darf der Arbeitgeber solche Beziehungen verbieten?

Darf der Chef Beziehungen unter Kollegen verbieten?


Grundsätzlich darf der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern keine Vorgaben machen, die ihr Liebesleben betreffen. Denn: Dies betrifft den privaten Bereich, und dieser ist durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geschützt (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz).

Aber: Grundrechte können auch eingeschränkt sein, wenn nämlich durch ihre Ausübung wiederum die Rechte anderer verletzt werden. So ist es denkbar, dass ein Vorgesetzter mit weiblichen Untergebenen Beziehungen anfängt und diese dann befördert oder offene Stellen mit ihnen besetzt - was im Betrieb für Unfrieden sorgt. Hier handelt es sich um Machtmissbrauch, es entstehen Abhängigkeiten zwischen Personen und dringt der Fall nach außen, nimmt der Ruf des Unternehmens Schaden.

So hat ein großer Verlag nach der Entlassung des Chefredakteurs einer Boulevardzeitung, dem entsprechende Vorwürfe gemacht wurden, seine Compliance-Regeln geändert: Nun müssen Mitarbeiter mit Personalverantwortung enge persönliche Beziehungen in ihrem Zuständigkeitsbereich offenlegen, um Interessenkonflikte zu unterbinden. Eine solche innerbetriebliche Regelung gilt jedoch als zulässig.

Denn: Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber eine Loyalitätspflicht und müssen auf seine Interessen Rücksicht nehmen. Dies ergibt sich aus § 241 Abs. 2 BGB und ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Gibt es im Betrieb zum Beispiel ständig Streit, weil bessere Positionen mit den wechselnden Freundinnen des Vorgesetzten besetzt werden und andere Mitarbeiter leer ausgehen, werden Personen unter Druck gesetzt, um zu schweigen und dringt dies dann auch noch nach außen, sind die Interessen des Arbeitgebers eindeutig verletzt. Ein Eingriff in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist dann gerechtfertigt.

Darf der Arbeitgeber die Teilnahme an Demonstrationen verbieten?


Politische Ansichten gehen auch in Betrieben oft weit auseinander. So mancher Arbeitnehmer möchte seine Ansichten gerne im Rahmen von Demonstrationen kundtun. Dies ist auch erlaubt, denn das Versammlungsrecht ist in Art. 8 Grundgesetz als Grundrecht verankert. Aber: Arbeitnehmer müssen dieses Recht in ihrer Freizeit ausüben. Bleiben sie einfach der Arbeit fern, um an einer Demonstration teilzunehmen, muss der Arbeitgeber dies nicht hinnehmen. Hier droht eine Abmahnung oder gar eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung - es geht um eine Verletzung der Kernpflichten des Arbeitsvertrages. Findet die Demo während der Arbeitszeit statt, müssen sich Beschäftigte dafür Urlaub nehmen.

Demonstriert ein Arbeitnehmer während seiner Freizeit, geht dies den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an. Hier gilt neben der Versammlungsfreiheit auch das Recht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz. Problematisch kann es hier jedoch werden, wenn extreme Meinungen vertreten und aus Sicht des Arbeitgebers die Interessen des Betriebes verletzt werden. Insbesondere kann dies der Fall sein, wenn es Fremden möglich ist, eine Verbindung zwischen der demonstrierenden Person und dem Betrieb herzustellen.

So hatten die Nürnberger Verkehrsbetriebe einem Busfahrer gekündigt, weil dieser bei einer rechtsextremen Demonstration mitmarschiert war - mit seinem Dienstausweis gut sichtbar am Gürtel. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg erklärte die verhaltensbedingte Kündigung jedoch für unwirksam: Zuerst hätte der Arbeitgeber den Busfahrer abmahnen müssen. Erst im Wiederholungsfall hätte ihm gekündigt werden dürfen. Die Kündigung sei immer "das letzte Mittel" (Urteil vom 11.8.2017, Az. 6 Sa 76/17).

Darf der Chef die Äußerung extremer Ansichten verbieten?


Auch extreme private Meinungen müssen Arbeitgeber in der Regel hinnehmen. Es kann jedoch Ausnahmen geben, wenn die Interessen des Betriebes tangiert werden. Handelt es sich um Angestellte im öffentlichen Dienst oder in einem Tendenzbetrieb (etwa mit kirchlichem Arbeitgeber) ist die Wahrscheinlichkeit etwas größer, dass Gerichte in extremen politischen Meinungsäußerungen einen Kündigungsgrund sehen. Denn hier haben die Arbeitnehmer eine gesteigerte Loyalitätspflicht.

2019 wurde der Fall eines Mannes vor Gericht verhandelt, der bei einem Autohersteller arbeitete. Dieser war im Urlaub auf Mallorca durch einen rechtsextremen Vorfall aufgefallen, der international Aufsehen erregte. Es ging dabei unter anderem um das Schwenken der Reichskriegsflagge in einer Diskothek. Auch in Online-Medien hatte der Mann wiederholt ausländerfeindliche Äußerungen getätigt. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen sah dies nicht als ausreichenden Kündigungsgrund an. Dafür sei ein Bezug zum Arbeitsverhältnis erforderlich. Der Arbeitgeber müsse nachweisen, dass dieses private Verhalten des Mitarbeiters tatsächlich Betriebsabläufe störe (LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.3.2019, Az. 13 Sa 371/18).

Anders entschied das Bundesarbeitsgericht im Fall eines NPD-Mitglieds, das in einem Newsletter zum bewaffneten Umsturz inklusive Ermordung politisch Andersdenkender aufgerufen hatte. Der Mann war Angestellter im öffentlichen Dienst, genauer Drucker bei der Finanzverwaltung. Das Gericht bestätigte seine Kündigung. Für den Arbeitnehmer war es bereits der zweite Kündigungsschutzprozess wegen extremer Äußerungen, der ihn vor das Bundesarbeitsgericht führte - diesmal blieb seine Klage ohne Erfolg (BAG, Urteil vom 6.9.2012, Az. 2 AZR 372/11).

Bestätigt wurde auch die Kündigung einer Polizeiärztin, die eine Zeitungsanzeige geschaltet hatte, in der sie das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gleichsetzte. Aus Sicht des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hatte sie damit gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Landes als ihres Arbeitgebers verstoßen (Urteil vom 2.2.2022, Az. 10 Sa 66/21).

Äußerungen in sozialen Medien und bei Messengerdiensten: Was ist erlaubt?


Äußerungen bei WhatsApp können durchaus problematisch sein. Hier stellt sich allerdings immer die Frage, an welchen Personenkreis diese gerichtet waren und ob sie tatsächlich Bezug zum Betrieb hatten bzw. diesen beeinträchtigt haben. Ein bekannter Fall betraf zum Beispiel den technischen Leiter eines Vereins für Flüchtlingshilfe, der sich privat bei WhatsApp gegen Flüchtlinge geäußert hatte. Hier ging das Gericht davon aus, dass die Äußerungen nur für einen begrenzten Personenkreis bestimmt gewesen seien. Eine Auswirkung auf die Berufstätigkeit sei nicht zu befürchten, da der Mann nicht direkt mit Flüchtlingen zu tun habe. Andererseits seien die Äußerungen nun einmal öffentlich geworden und der Verein würde seine Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er diesen Arbeitnehmer weiterbeschäftige. Im Ergebnis wurde der Arbeitsvertrag vom Gericht mit Abfindung aufgelöst. Das Verfahren ist jedoch noch beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Urteil vom 19.7.2021, Az. 21 Sa 1291/20).

Zwar gilt die Meinungsfreiheit auch in den sozialen Medien, wie bspw. Facebook oder Twitter. Arbeitnehmer bewegen sich hier jedoch oft auf einem schmalen Grat, denn öffentlich einsehbare Äußerungen können schnell zur Kündigung führen. So hatte ein Bergwerksmitarbeiter nach Presseberichten über einen Brand in einer Asylunterkunft mit einem Toten in seinem öffentlichen Facebook-Profil den Wunsch geäußert, dass "alle verbrennen sollen, die nicht gemeldet sind." Im Profil war sein Arbeitgeber genannt. Der Post sorgte für Aufmerksamkeit und Kommentare - auch durch Zulieferunternehmen des Arbeitgebers. Es folgte die fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht Herne bestätigte diese: Nicht nur habe es sich um eine Straftat gehandelt (Volksverhetzung), sondern es sei für jedermann ein Bezug zum Arbeitgeber erkennbar gewesen. Dies stelle eine Rufschädigung dar. Dies müsse sich der Arbeitgeber nicht bieten lassen (Az. 5 Ca 2806/15).

Auch hier war also entscheidend, dass die Äußerung öffentlich getätigt wurde und dass der Name des Arbeitgebers damit ohne weiteres in Verbindung gebracht werden konnte. Bei einer Äußerung in einer privaten Facebook-Gruppe wäre die Entscheidung des Gerichts wohl anders ausgefallen.

Fazit: Ein Arbeitgeber kann in der Regel seinen Mitarbeitern nicht vorschreiben, wie sie sich in den sozialen Medien zu äußern haben. Wie oben gezeigt, gibt es aber Grenzen. Und: Handelt es sich bei dem Arbeitgeber zum Beispiel um ein Medienunternehmen und bei den Mitarbeitern um Journalisten oder Redakteure, kann es hier Einschränkungen geben. Man spricht auch hier von einer gesteigerten Loyalitätspflicht. Eine öffentliche Meinungsäußerung ist dann womöglich keine Privatsache mehr.

Kündigung bei Beleidigungen oder ehrenrührigen Äußerungen?


Beleidigungen und abwertende Kommentare sind ein beliebter Kündigungsgrund. Aber: Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.

Die Sekretärin einer Stadtkämmerei hatte behauptet, dass es an ihrer Arbeitsstelle während des Dienstes zu Alkoholexzessen und sexuellen Handlungen gekommen sei. Ihr wurde ordentlich mit Frist gekündigt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies ihre Kündigungsschutzklage ab: Die Frau habe ihre Kollegen zu Unrecht beschuldigt und damit ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Zwar seien die Arbeitsabläufe in der Kämmerei zum Teil zu beanstanden gewesen. Dies rechtfertige jedoch solche ehrenrührigen Aussagen nicht (Urteil vom 4.2.2014, Az. 19 Sa 322/13).

Als unwirksam sah dagegen das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz die Kündigung eines Chemiekanten an. Dieser hatte nach einem zum Streit eskalierten Personalgespräch gegenüber zwei Kollegen und einem Leiharbeiter im Rauchercontainer den Vorgesetzten unter anderem als "irre", "nicht normal" und "Psycho" bezeichnet. Diese Äußerungen wurden dem Vorgesetzten berichtet. Es kam zur Kündigung. Das Gericht war jedoch der Meinung, dass der Chemikant nicht mit der Weitergabe dieser im kleinen Kreis getätigten Äußerungen habe rechnen müssen. Sie seien eben nicht öffentlich oder gegenüber dem Vorgesetzten erfolgt. Eine Störung des Betriebsfriedens sei für den Arbeitnehmer nicht absehbar gewesen (Urteil vom 24.7.2014, Az. 5 Sa 55/14).

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Chef oder Kollegen beleidigt: Kündigung zulässig?

Praxistipp zum Einfluss des Arbeitgebers auf das Privatleben


Es gibt verschiedene Fälle, in denen Arbeitnehmer auf die Interessen ihres Arbeitgebers auch im Privatleben Rücksicht nehmen müssen. Kommt es zum Konflikt, kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht den Fall prüfen. Eine Abmahnung oder Kündigung lässt sich oft wirksam angreifen.

(Wk)


 Günter Warkowski
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