KG, Beschl. 31.7.2023 - 3 WF 61/22

Verfügungsbeschränkung (vormals) türkischen Ehegattens über in Deutschland belegenes Grundstücksmiteigentum

Autor: Notar Dr. Dr. Ingo Ludwig, Merzig
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 07/2024
Zur Anwendung von Verfügungsbeschränkungen eines (vormals) türkischen Ehegatten über sein Miteigentum an in Deutschland belegenen Immobilien vor Geltung der Europäischen Güterrechtsverordnung. Ob Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB auch dann gilt, wenn neben den Ehegatten noch ein Dritter Miteigentümer ist, ist nicht im Verfahrenskostenhilfeverfahren, sondern im Hauptsacheverfahren zu prüfen.

EGBGB a.F. Art. 15; türk. ZGB Art. 194, Art. 223 Abs. 2

Das Problem

Eheleute, die bei Eheschließung im Jahr 1981 beide ausschließlich türkische Staatsangehörige waren, erwarben als Miteigentümer zu je 1/2 eine Eigentumswohnung und zusammen mit dem Vater des Ehemanns als Miteigentümer ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück (der Ehemann war Miteigentümer zu 1/2, die Ehefrau und der Vater des Ehemanns Miteigentümer zu je 1/4). Der Ehemann übertrug seine Miteigentumsanteile an beiden Immobilien ohne Zustimmung der Ehefrau auf seinen Vater. Die Ehefrau macht die Unwirksamkeit der Übertragung geltend; sie begehrt Verfahrenskostenhilfe für ein auf § 1368 BGB gestütztes Revokationsverfahren.

Aufgrund der vermögensrechtlichen Beziehungen kann die Befugnis eines Ehegatten, über sein Vermögen zu verfügen, beschränkt sein. Solche Verfügungsbeschränkungen können sich aus Normen des ehelichen Güterrechts ergeben oder aus solchen, die den allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen sind. Die allgemeinen Ehewirkungen unterliegen nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB dem deutschen Recht, da die Ehegatten im Zeitpunkt der Verfügung durch den Ehemann beide (auch) deutsche Staatsangehörige waren (sollten sie daneben noch die türkische behalten haben, ist auf die deutsche Staatsangehörigkeit abzustellen, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Die güterrechtlichen Wirkungen unterlagen nach Art. 229 § 47 Abs. 2 EGBGB, Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F., Art. 15 Abs. 1 türk. IPRG vom 27.11.2007 dem türkischen Recht, da (1) beide Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung ausschließlich türkische Staatsangehörige waren, Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F. unwandelbar auf den Zeitpunkt der Eheschließung abstellt und (2) auch im türkischen Recht die Anknüpfung der güterrechtlichen Wirkungen mangels Rechtswahl primär nach der gemeinsamen Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung erfolgt (Art. 15 Abs. 1 türk. IPRG). Eine Rückverweisung auf deutsches Belegenheitsrecht nach Art. 15 Abs. 2 türk. IPRG kommt nicht in Betracht, da diese Vorschrift keine allgemeine Kollisionsnorm für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe beinhaltet. Nach ganz h.M. im türkischen Schrifttum und nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationsgerichtshofs kommt der Bestimmung des Art. 15 Abs. 2 türk. IPRG nur ein äußerst schmaler Anwendungsbereich zu und sie greift nur, wenn das anwendbare Güterrecht vorsieht, dass die Auseinandersetzung hinsichtlich des Immobilienvermögens nicht durch Ausgleichszahlungen in Geld stattfindet, sondern die dingliche Beteiligung selbst auseinanderzusetzen ist (Meyer/Tepetas, FamRZ 2020, 1700 ff.; OLG Karlsruhe v. 27.2.2018 – 14 W 113/16 (Wx), FamRB 2018, 406 [Ludwig]).

Das Gericht musste nunmehr die möglichen Verfügungsbeschränkungen nach türkischem und deutschem Recht ermitteln und feststellen, welche von diesen kollisionsrechtlich berufen sind und ob deren Voraussetzungen bei der im Verfahrenskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (BGH v. 10.7.2013 – XII ZB 34/13, FamRZ 2013, 1799 = NJW-RR 2014, 131: „Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozesskostenhilfeverfahren hat nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden. Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht deshalb Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist.“) erfüllt sein können. Es handelt sich dabei um folgende Vorschriften (s. dazu auch Schaal, Verfügungsbeschränkungen bei Verfügungen über in Deutschland belegenen Grundbesitz durch verheiratete türkische oder ehemals türkische Staatsangehörige, BWNotZ 2009, 172 ff.; Yarayan, Das Ehegüterrecht nach türkischem Recht in der deutschen Rechtspraxis, NZFam 2016, 1147 ff.):
  • (1) die güterrechtliche Norm des § 1365 Abs. 1 BGB
  • (2) die güterstandsunabhängige Norm des Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB
  • (3) die güterrechtliche Norm des Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB.
Letztere gilt beim Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung des türkischen Rechts. Die Anwendung dieser Norm ist im vorliegenden Fall nicht selbstverständlich, da zum Zeitpunkt der Eheschließung in der Türkei als gesetzlicher Güterstand die Gütertrennung galt, d.h., jeder Ehegatte behielt an seinen gesamten Gütern die Verwaltungs- und Nutzungsrechte und unterlag somit keinen (güterrechtlichen) Verfügungsbeschränkungen. Zum 1.1.2002 wurde in der Türkei jedoch nach dem Vorbild des schweizerischen ZGB als gesetzlicher Güterstand die Errungenschaftsbeteiligung eingeführt. Hinsichtlich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse bestimmt Art. 223 ZGB:

1. Jeder Ehegatte ist berechtigt, innerhalb der gesetzlichen Schranken sein Eigengut und seine Errungenschaft zu verwalten, diese zu nutzen und darüber zu verfügen.

2. Sofern nichts Gegenteiliges vereinbart ist, kann kein Ehegatte über seinen Anteil an einer im Miteigentum stehenden Sache ohne die Zustimmung des anderen verfügen.

Die kollisionsrechtliche Anknüpfung der güterrechtlichen Wirkungen nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F. bewirkt aber keine Unwandelbarkeit („Versteinerung“) des Güterstands selbst. Daher sind güterrechtliche Änderungen und Fortentwicklungen zu beachten. Im Fall von in Deutschland lebenden Ehegatten, die im Zeitpunkt ihrer Eheschließung beide die türkische Staatsangehörigkeit hatten, bedeutet dies, dass die Eheleute an der Änderung des gesetzlichen Güterstands der Türkei von der Gütertrennung zur Errungenschaftsbeteiligung mit Wirkung ab dem 1.1.2002 teilnehmen. Dies gilt auch dann, wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr türkische, sondern ausschließlich deutsche Staatsangehörige sein sollten (keine „Versteinerung“ des Güterstands).

Die Entscheidung des Gerichts

(1) Eine Anwendung des § 1365 Abs. 1 BGB scheide aus, da für die güterrechtlichen Beziehungen der Ehegatten das türkische Recht berufen war (s. oben).

(2) Nach Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB in der Fassung vom 1.1.2002 kann ein Ehegatte nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des anderen einen Mietvertrag über die Familienwohnung kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräußern oder die Rechte daran beschränken. Diese Vorschrift ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht anzuwenden, da sie güterstandsunabhängig und daher dem Statut der allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen sei (OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610). Da das – im Gegensatz zu Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F. – wandelbare Statut der allgemeinen Ehewirkungen das deutsche sei (s. oben), könne sich die Unwirksamkeit der Verfügung des Ehemanns nicht aus Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB ergeben. Das KG ist zudem der Auffassung, dass es sich bei Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB um eine relative Verfügungsbeschränkung i.S.d. § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB handele (a.A. Schaal, BWNotZ 2009, 172 ff.: absolute Verfügungsbeschränkung) und daher mangels Grundbucheintragung ein gutgläubiger Erwerb des Vaters des Ehemanns möglich sei.

(3) Nach Ansicht des KG ist jedoch eine Unwirksamkeit der Verfügung nach Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB möglich, da die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung des türkischen Rechts lebten (s. oben). Wegen der bloß summarischen Prüfung bei der Verfahrenskostenhilfe sei erst im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines Rechtsgutachtens zu prüfen, ob diese Vorschrift auch dann anzuwenden sei, wenn neben den Ehegatten auch ein Dritter (hier: der Vater des Ehemanns) Miteigentümer der Immobilie war. Diese Frage betraf die mit einem Wohnhaus bebaute Immobilie, nicht die Eigentumswohnung, die ausschließlich beiden Ehegatten als Miteigentümern gehörte (hier waren die Voraussetzungen des Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB eindeutig erfüllt).

Weiterhin sei im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob – bei Anwendung des Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB – der Unwirksamkeit der Verfügungen die Bestimmung des Art. 16 EGBGB a.F. entgegenstünde. Art. 16 Abs. 1 EGBGB a.F. schütze den guten Glauben bei Unkenntnis der Anwendbarkeit eines ausländischen Güterrechts. Ebenso wie Art. 15 EGBGB a.F. sei auch Art. 16 EGBGB a.F. auf vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen weiterhin anzuwenden – und zwar auch, wenn das Rechtsgeschäft, um dessen Schutz es gehe, ab dem 29.1.2019 abgeschlossen werde (Hertel in BeckOGK/BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 1 [Stand: 1.3.2020]). Der Schutz des Art. 16 Abs. 1 EGBGB a.F. setze voraus, dass zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe oder einen Gewerbebetrieb in Deutschland betreibe. Sei dann der ausländische Güterstand weder im deutschen Güterrechtsregister eingetragen noch dem Dritten positiv bekannt, dass und welches ausländische Güterrecht gelte, müsse der Dritte nur die Beschränkungen des ausländischen Güterrechts gegen sich gelten lassen, die auch nach deutschem Ehegüterrecht gelten würden. Sei der Dritte gutgläubig, d.h., wisse er nicht, dass die betreffende Verfügungsbeschränkung nach ausländischem Eherecht eingreife, und sei seine Unkenntnis auch nicht grob fahrlässig, so sei die Verfügungsbeschränkung des ausländischen Rechts nicht anzuwenden, sondern nur eine vergleichbare Verfügungsbeschränkung des deutschen Eherechts (z.B. §§ 1365, 1369 BGB, auch wenn diese im deutschen Recht nur güterstandsabhängig gelten). Gebe es keine funktionell vergleichbare Vorschrift im deutschen Eherecht gibt, entfalle die Beschränkung ganz (Hertel in BeckOGK/BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 57–59 [Stand: 1.3.2020]).


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