Krankheitsbedingte Verletzung der Ausbildungsobliegenheit

Autor: RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg/Havel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 10/2015
Ein Kind, das aus krankheitsbedingten Gründen nicht in der Lage ist, seiner Erkrankung gegenzusteuern sowie die erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Ausbildungsfähigkeit zu ergreifen, behält trotz Verletzung seiner Ausbildungsobliegenheit seinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt und muss auch sonst keine unterhaltsrechtlichen Nachteile befürchten.

KG, Beschl. v. 10.6.2015 - 13 UF 12/15

Vorinstanz: AG Pankow/Weißensee, Beschl. v. 11.12.2014 - 21 F 3893/13

BGB § 1610 Abs. 2

Das Problem

Der volljährige Antragsteller (Ast.) nimmt seinen Vater (Ag.) auf Ausbildungsunterhalt für die Zeit von März 2012 bis März 2013 i.H.v. insgesamt 4.589 € in Anspruch. Die Mutter ist leistungsunfähig. Seit seinem 3. Lebensjahr leidet der Ast. an einer schweren ADHS-Erkrankung sowie an einem reaktiven depressiven Syndrom. Im März 2013 begab sich der Ast. in eine mehrere Monate dauernde jugendpsychiatrische Behandlung, in deren Verlauf er auch ca. 6 Wochen in der psychiatrischen Abteilung einer Klinik stationär untergebracht war. In der Zeit zwischen Erlangung seines erweiterten Hauptschulabschlusses im Juli 2010 bis zum Behandlungsbeginn unternahm der Ast. sechs verschiedene Ausbildungsversuche (von längstens 9 Monaten), mit denen er jedoch in allen Fällen scheiterte. Bereits in der 8./9. Schulklasse hatte der Antragsteller die ärztlich verordneten Medikamente zur Behandlung seiner ADHS-Erkrankung eigenmächtig abgesetzt. Nach dem Ende seiner erfolgreich durchgeführten Behandlungen hat der Ast. ab Dezember 2013 für ca. ein Jahr in einer Shisha-Bar gekellnert und auch wieder mit der Tabletteneinnahme begonnen. Für die Zeit von gut einem Jahr vor Beginn seiner – mit Erfolg durchgeführten – jugendpsychiatrischen Behandlung verlangt der Ast. vom Ag. die Zahlung von Ausbildungsunterhalt. Das AG hat den Antrag mangels schlüssig dargelegter Unterhaltsbedürftigkeit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Ast. mit seiner Beschwerde, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das KG hat dem Rechtsmittel nach persönlicher Anhörung des Ast. und der Vernehmung der ihn im Jahr 2013 behandelnden Ärztin als sachverständiger Zeugin in vollem Umfang stattgegeben. Zwar sei der Ausbildungsverlauf zwischen Schule und dem Beginn der ärztlichen Behandlung als desaströs zu beurteilen und stelle eine eklatante Verletzung der Ausbildungsobliegenheit des Ast. dar. Er sei jedoch in dieser Zeit krankheitsbedingt in seiner Berufs- und Ausbildungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Dem Ast. habe bis zum Behandlungsbeginn gerade auch die Krankheits- bzw. Therapieeinsicht gefehlt. Dementsprechend habe er die ärztliche Behandlung nicht aus eigenem Antrieb, sondern allein auf Drängen seiner Mutter verbunden mit ihren Androhungen negativer Konsequenzen begonnen. Aufgrund dieser besonderen Umstände liege ein Ausnahmefall vor. Dieser rechtfertige mit Blick auf das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Zuerkennung des beantragten Ausbildungsunterhalts.


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