LAG Düsseldorf, Urt. 2.2.2020 - 10 Sa 180/19
Keine Verjährung von Urlaubsansprüchen bei Nichterfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten
Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2020
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2020
Kommt der Arbeitgeber der nach der neuen Rechtsprechung des BAG und EuGH bestehenden Initiativlast, dafür Sorge zu tragen, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub tatsächlich nehmen, nicht nach, verfallen diese Urlaubsansprüche nicht nur nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht, sie verjähren auch nicht.
BGB §§ 194, 195; BUrlG § 7 Abs. 4
Die Voraussetzungen für eine Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG seien nicht gegeben, da der beklagte Arbeitgeber die erforderliche rechtzeitige, klare und unmissverständliche Aufforderung, Urlaub zu nehmen, unterlassen habe. Ob die Klägerin möglicherweise gar nicht im Unklaren darüber gewesen sei, wie viel Urlaub ihr zugestanden habe, spiele keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des BAG müsse der Arbeitgeber konkret „dafür Sorge tragen“, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Diese Initiativlast vertrage sich nicht mit dem rein passiven Verhalten der Beklagten.
Auf Basis der Linie der vorbezeichneten Rechtsprechung des BAG entstehe der jeweils zum Jahresende nicht verfallene Urlaub der Klägerin in der Form neu, dass er zu dem im Folgejahr entstehenden Urlaub hinzutrete und hierfür wiederum die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG in ihrer richtlinienkonformen Bedeutung Anwendung finden. Es komme daher zu einer Kumulationskette von Urlaub, die sämtliche unverbrauchten Urlaubsansprüche im Arbeitsverhältnis umfasse.
Die derartig bis an den Anfang des Arbeitsverhältnisses zurückreichenden Urlaubsansprüche unterliegen nicht der Verjährung. Ob die dogmatische Rechtfertigung darin liege, dass das eigenständige Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG die Verjährungsregel als speziellere Regelung verdränge oder aber der aus dem Vorjahr übertragene und mit dem neu entstandenen Urlaub verschmolzene Resturlaub originär aufs Neue dem Jahreszyklus des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfalle, könne offenbleiben. Im Ergebnis stehe jedenfalls eine europarechtskonforme Auslegung unter Berücksichtigung des durch den EuGH betonten Arbeitnehmerschutzes jedweder Verjährung des Urlaubsanspruchs entgegen.
BGB §§ 194, 195; BUrlG § 7 Abs. 4
Das Problem
Die Klägerin war bei der Beklagten von November 1996 bis Juli 2017 beschäftigt. Seit 2011 hatte sie in jedem Jahr nur einen Teil der erworbenen Urlaubsansprüche tatsächlich gewährt erhalten. Mit ihrer Zahlungsklage begehrt sie Urlaubsabgeltung für weit über 100 Urlaubstage aus den Jahren 2011 bis 2017. Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage nur in untergeordneten Teilen stattgegeben und die Klage hinsichtlich eines Anspruchs auf Urlaubsabgeltung für weitere 101 Urlaubstage aus den frühen Jahren des Arbeitsverhältnisses abgewiesen. Es lägen weder die Voraussetzungen für eine gesetzliche Urlaubsübertragung noch jeweils ein Anerkenntnis der Beklagten vor. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit der Berufung und begehrt Zahlung i.H.v. ca. 22.000 € für etwa 101 Urlaubstage.Die Entscheidung des Gerichts
Das LAG erachtet die Berufung der Klägerin im Wesentlichen für begründet. Zwar seien in der Historie des Arbeitsverhältnisses in Bezug auf die streitgegenständlichen Ansprüche keine nach den Maßstäben des BAG relevanten Anerkenntnisse von Urlaubsansprüchen erfolgt. Eine Klageabweisung sei indes nicht mit der aktuellen Rechtsprechung des BAG zur richtlinienkonformen Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG in Einklang zu bringen.Die Voraussetzungen für eine Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG seien nicht gegeben, da der beklagte Arbeitgeber die erforderliche rechtzeitige, klare und unmissverständliche Aufforderung, Urlaub zu nehmen, unterlassen habe. Ob die Klägerin möglicherweise gar nicht im Unklaren darüber gewesen sei, wie viel Urlaub ihr zugestanden habe, spiele keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des BAG müsse der Arbeitgeber konkret „dafür Sorge tragen“, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Diese Initiativlast vertrage sich nicht mit dem rein passiven Verhalten der Beklagten.
Auf Basis der Linie der vorbezeichneten Rechtsprechung des BAG entstehe der jeweils zum Jahresende nicht verfallene Urlaub der Klägerin in der Form neu, dass er zu dem im Folgejahr entstehenden Urlaub hinzutrete und hierfür wiederum die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG in ihrer richtlinienkonformen Bedeutung Anwendung finden. Es komme daher zu einer Kumulationskette von Urlaub, die sämtliche unverbrauchten Urlaubsansprüche im Arbeitsverhältnis umfasse.
Die derartig bis an den Anfang des Arbeitsverhältnisses zurückreichenden Urlaubsansprüche unterliegen nicht der Verjährung. Ob die dogmatische Rechtfertigung darin liege, dass das eigenständige Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG die Verjährungsregel als speziellere Regelung verdränge oder aber der aus dem Vorjahr übertragene und mit dem neu entstandenen Urlaub verschmolzene Resturlaub originär aufs Neue dem Jahreszyklus des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfalle, könne offenbleiben. Im Ergebnis stehe jedenfalls eine europarechtskonforme Auslegung unter Berücksichtigung des durch den EuGH betonten Arbeitnehmerschutzes jedweder Verjährung des Urlaubsanspruchs entgegen.