LG Berlin, Urt. 2.6.2023 - 66 S 170/22

Eigenbedarf: Konstruierter Wohnbedarf ist rechtsmissbräuchlich

Autor: RA FAMuWR Norbert Monschau, Anwaltkooperation Schneider | Monschau, Erftstadt, Köln, Neunkirchen-Seelscheid
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 08/2023
Eine Eigenbedarfskündigung ist wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam, wenn im Vorfeld der Kündigung die Bedarfsperson eine von ihr genutzte Wohnung an den kündigenden Vermieter zurückgegeben hat, damit dieser unter Umgehung der Voraussetzungen der Verwertungskündigung die Wohnung leer stehend zu einem besseren Kaufpreis veräußern kann, und der Vermieter daraufhin die andere vermietete Wohnung kündigt, um die Bedarfsperson nunmehr dort unterzubringen.

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3

Das Problem

Der Vermieter war Eigentümer zweier Wohnungen, die nach Lage und Ausstattung vergleichbar waren. Eine der beiden Wohnungen bewohnte sein Ehemann, die andere war seit 27 Jahren an einen Mieter vermietet. Der Vermieter beabsichtigte, eine der beiden Wohnungen zu veräußern, um Rücklagen zu bilden. Die zu veräußernde Wohnung sollte leer stehen, damit ein höherer Verkaufserlös erzielbar wäre. Daher zog der Ehemann des Vermieters aus der von ihm genutzten Wohnung aus und gab sie zurück. Anschließend kündigte der Vermieter das Mietverhältnis mit dem langjährigen Mieter der zweiten Wohnung wegen Eigenbedarfs, wobei er seinen Ehemann als Bedarfsperson benannte.

Die Entscheidung des Gerichts

Das AG wies die Räumungsklage des Vermieters ab. Die Berufung vor dem LG blieb erfolglos. Der Vermieter habe rechtsmissbräuchlich die strengen Voraussetzungen einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB umgehen wollen, indem er formal eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen habe. Die Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB setze voraus, dass auf der Grundlage geänderter Lebensverhältnisse und -bedürfnisse ein neu entstandenes oder erweitertes Eigennutzungsinteresse umgesetzt werden solle. Dem Vermieter sei es aber stattdessen darum gegangen, eine seiner Wohnungen zu veräußern, also zu verwerten i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

Die Voraussetzungen einer Verwertungskündigung hätten nicht vorgelegen; der mögliche Mehrerlös bei Veräußerung einer leerstehenden Wohnung stelle allein keinen tragfähigen Kündigungsgrund dar. Der Vermieter habe daher durch die Verschiebung zwischen den Wohnungen künstlich und im Verhältnis zum Mieter willkürlich einen vermeintlich „neuen“ Wohnbedarf seines Ehemanns herbeigeführt. Mit dem derart geschaffenen Kündigungsgrund eines – bis dahin vollständig befriedigten – Eigenbedarfs habe er unter Umgehung der gesetzlichen Beschränkungen für eine Verwertungskündigung die Verteidigungsmöglichkeiten des Mieters ausgehebelt.


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