LG Bonn, Beschl. 11.8.2022 - 6 S 63/22

Eigenbedarfskündigung: Härtegründe nach Widerspruchsfristablauf

Autor: RA FAMuWR Fabian Bagusche LL.M. (Köln/Paris 1), Bagusche + Partner Rechtsanwälte PartG mbB, Köln
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 10/2022
Auch nachträglich eingetretene Härtegründe i.S.d. § 574 Abs. 1 BGB können nach Ablauf der Widerspruchsfrist Berücksichtigung finden. Zwar existiert dahingehend eine gesetzliche Regelung nicht, gleichwohl wird diese Gesetzeslücke durch entsprechende analoge Anwendung des in § 574 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedanken geschlossen, indem einem Mieter ein Widerspruchsrecht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einzuräumen ist.

BGB § 535, § 543, § 546, § 568, § 574, § 574 a, § 574 b; ZPO § 721

Das Problem

Die Parteien waren durch einen Wohnraummietvertrag miteinander verbunden. Die Vermieter kündigten den Mietern wegen Eigenbedarfs. Das Kündigungsschreiben stellten die Vermieter persönlich im Beisein von Zeugen den Mietern durch Einwurf in den Hausbriefkasten zu, wobei der Zugang des Kündigungsschreibens zwischen den Parteien streitig blieb. Nachdem die Mieter die Ziehfrist fruchtlos verstreichen ließen, erhoben die Vermieter Räumungsklage vor dem zuständigen AG. Da der Zugang des Kündigungsschreibens weiterhin bestritten blieb, erhob das AG Beweis, durch Vernehmung der Zeugen. Da das Gericht nach der Beweisaufnahme weder Zweifel an der Bedarfsabsicht der Vermieter hatte, noch an dem Zugang des Kündigungsschreibens, gab es der Klage statt und verurteilte die Mieter zur Herausgabe der Wohnräume. Etwaige Härtegründe der Mieter berücksichtigte das AG nicht, da diese nach seiner Auffassung, aufgrund der erhobenen Einrede der Vermieter, als verspätet zu werten waren. Das Gericht sprach den Mietern eine Räumungsfrist von einem Monat zu. Hiergegen wandte sich die Berufung der Mieter. Zum einen vertraten die Mieter die Auffassung, dass selbst bei Annahme der Verspätung der Härtegründe das AG nicht ausreichend differenziert habe zwischen bereits vorliegenden und erst nachträglich, nach Ablauf der Widerspruchsfrist, eingetretenen Härtegründen. Die Mieter führten vor dem LG an, dass der beklagte Mieter erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist von seinem Dienstherrn in eine andere Stadt versetzt wurde, mithin die beklagte Mieterin mit den drei Kindern nahezu alleinerziehend zurückbleibt und eine Ersatzwohnraumsuche allein zu stemmen hätte. Hierbei handele es sich um einen nachträglich eingetreten Härtegrund, den das AG nach Auffassung der Mieter zu pauschal mit den weiteren Härtegründe abwiegelte. Auch sei die Räumungsfrist zu kurz bemessen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LG wies die Berufung qua Beschluss einstimmig zurück. Zwar führte das LG in den Beschlussgründen aus, dass durchaus nachträglich, nach Ablauf der Widerspruchsfrist eintretende Härtegründe i.S.d. § 573 Abs. 1 BGB trotz Gesetzeslücke bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen seien. Dies ergebe sich durch eine entsprechende analoge Anwendung des in § 573 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedankens. Eine derartige analoge Anwendung kam nach Auffassung des LG indes nicht in Betracht, da laut Auffassung des Gerichts die dienstliche Versetzung des Beklagten keine unbillige Härte i.S.v. § 574 BGB begründe. Zum einen lebten die Mieter ohnehin bereits zuvor zumindest in Trennung und zum anderen rechtfertige nach Auffassung des LG der Umstand einer dienstlichen Versetzung keine Härte i.S.d. § 574 BGB, da die alleinige Kinderbetreuung ohnehin bereits der beklagten Mieterin oblag. Dass der beklagte Mieter seine Exfrau und die Kinder nunmehr nur noch an Wochenendbesuchen bzw. aus der Ferne unterstützen kann, lies das Gericht nicht ausreichen um eine unbillige Härte anzunehmen. Gleichwohl bewilligte das LG eine weitergehende Räumungsfrist von 2 Monaten, da nach Auffassung des LG ein Umzug mit drei Kindern einen größeren organisatorischen Aufwand begründe, wies jedoch auch darauf hin, dass die dargelegten Suchbemühungen unzureichend seien, weil die Mieter sich nur auf Ersatzwohnraum im näheren Umfeld beschränkt haben.


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