LG Hamburg, Urt. 7.2.2017 - 312 O 144/16

Abmahnung rechtsmissbräuchlich bei schlechter wirtschaftlicher Verfassung des Abmahnenden

Autor: Dr. Anselm Brandi-Dohrn, maître en droit/FA für GewRS, von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 05/2017
Missbräuchlich i.S.d. § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist eine Abmahnung schon dann, wenn ein wirtschaftlich denkender Gewerbetreibender an der Verfolgung des Verstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann. Maßgeblich ist insofern der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit bezüglich der streitgegenständlichen oder zumindest ähnlicher Produkte, hinsichtlich derer die Parteien in Konkurrenz miteinander treten. Das Vorliegen eines Missbrauchs ist von Amts wegen zu prüfen. Dabei hat zunächst der Beklagte unter Beweisantritt Tatsachen für einen solchen Missbrauch vorzutragen; erschüttern diese die Vermutung für das Bestehen der Prozessführungsbefugnis, muss der Kläger substantiierten Gegenvortrag leisten.

LG Hamburg, Urt. v. 7.2.2017 - 312 O 144/16

UWG § 8 Abs. 4 Satz 1

Das Problem

Die Parteien streiten u.a. über die Ausgestaltung einer Bestellübersicht in einem Onlineshop. Eine Unternehmerin erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung wegen fehlender Informationen über die wesentlichen Eigenschaften des verkauften Produkts in der Online-Bestellübersicht einer Online-Shop-Betreiberin. Die Verfügung wurde von der erkennenden Kammer auf Widerspruch der Online-Shop-Betreiberin bestätigt. Im daraufhin beantragten Hauptsacheverfahren macht die Online-Shop-Betreiberin die Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung und der geltend gemachten Abmahnkosten geltend.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht erachtet den im Verfügungsverfahren noch zugesprochenen Antrag als rechtsmissbräuchlich und weist die Klage ab.

Im vorliegenden Fall lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine verselbständigte Abmahntätigkeit vor, die in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit der Unternehmerin stünden: Die Online-Shop-Betreiberin hatte aus Parallelverfahren anderer Hamburger Kammern zitiert, in denen die Unternehmerin zugestanden hatte, in 2015 mehr als 40 Abmahnungen ausgesprochen zu haben; sie hat zugleich allein 14 Verfügungsverfahren anderer Hamburger Gerichte aus demselben Jahr benannt, in denen die Unternehmerin Antragstellerin war. Zwar ist die Zahl der Abmahnungen für sich kein ausreichendes Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen, da es hierfür (kompetitiver Markt, zahlreiche verletzende Wettbewerber) auch sachliche Gründe geben kann. Die Online-Shop-Betreiberin hat aber zudem mit Bezug auf die Bilanz der Unternehmerin darauf hingewiesen, dass deren Eigenkapital in 2015 bis auf 34,77 € aufgezehrt gewesen sei, in 2014 ein Verlust von rd. 15.000 € entstanden sei, sowie auf die eigene Aussage der Unternehmerin in einem Parallelverfahren, ihre wirtschaftliche Situation in 2015 habe sich weiter verschlechtert. In dieser wirtschaftlichen Situation würde ein wirtschaftlich denkender Unternehmer aber derartige zusätzliche Kostenrisiken eines – oder sogar zahlreicher – Wettbewerbsverfahrens nicht eingehen. Daher sei davon auszugehen, dass die Abmahntätigkeit keinen wirtschaftlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit mehr habe.


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