LG Kassel, Urt. 23.11.2023 - 1 S 222/22

Vorgetäuschter Eigenbedarf: Schadensersatzanspruch des Mieters trotz eigener Kündigung

Autor: RA Dr. Rainer Burbulla, Düsseldorf
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2025
1. Liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf des Vermieters nur vorgeschoben war, ist es dessen Aufgabe, substantiiert und plausibel darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Mieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (Anschluss an BGH v. 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, MDR 2005, 1218 = MietRB 2006, 2 [Dickersbach]).2. Die Kausalität von Schadenspositionen infolge einer Eigenbedarfskündigung ist auch dann zu bejahen, wenn der Mieter freiwillig auszieht, weil er auf die Angaben des Vermieters in der Eigenbedarfskündigung vertraut.

BGB §§ 573 Abs. 1 Satz 1, 573 c, 574, 280

Das Problem

Die Mieter mieteten im Jahre 1983 ein Einfamilienhaus an. Im Jahre 2019 kündigte der Vermieter den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs, weil er das Haus seiner Mutter überlassen wolle. Daraufhin mieteten die Mieter eine neue Wohnung an und kündigten ihrerseits das Mietverhältnis. Knapp drei Monate nach dem Auszug der Mieter bot der Vermieter das Haus über ein Kleinanzeigenportal zur Anmietung an. Im April 2020 vermietete er das Haus, das bis dahin leer gestanden hatte, an einen anderen Mieter. Die Mieter verlangen mit ihrer Klage Schadensersatz, nämlich Erstattung der Umzugskosten, der Mietdifferenz, verschiedene Fahrtkosten sowie Kosten für die Anschaffung verschiedener Gegenstände für die neue Wohnung.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Kammer bejaht einen Schadensersatzanspruch der Mieter gegen den Vermieter gem. §§ 535, 280 Abs. 1 BGB aufgrund unberechtigter Eigenbedarfskündigung.

Zwar sei der Mieter darlegungs- und beweisbelastet für die Behauptung, die Eigenbedarfskündigung sei vorgeschoben. Das gelte auch, obgleich der Mieter bei vorgetäuschtem Eigenbedarf als Pflichtverletzung eine negative Tatsache darlegen und beweisen muss. Dem Mieter stehe auch kein Anscheinsbeweis zur Seite. Da er als darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs stehe und im Gegensatz zum Vermieter keine nähere Kenntnis von den maßgebenden Umständen besitze, dürfe sich der Vermieter, wenn ihm nähere Angaben zumutbar sind, jedoch nicht auf ein bloßes Klageleugnen zurückziehen, sondern müsse substantiiert entgegnen. Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach Auszug des Mieters nicht in die Tat um oder entfällt der Eigenbedarf schon nach kurzer Zeit, liege der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben war. Unter diesen Umständen ist es Aufgabe des Vermieters, substantiiert und plausibel (stimmig) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll (Hinweis auf BGH v. 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, MDR 2005, 1218 = MietRB 2006, 2 [Dickersbach]). Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliege dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (Hinweis auf BGH v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, MDR 2017, 21 = MietRB 2017, 35 [Suilmann]). So liege der Fall hier. Aufgrund des Umstandes, dass der Eigenbedarf nicht vollzogen worden ist, obliege dem Vermieter eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast, so dass er plausibel darzulegen hatte, warum und wann der Nutzungswille entfallen ist. Dies ist dem Vermieter nicht gelungen.

Die Kausalität von Schadensersatzpositionen infolge einer Eigenbedarfskündigung sei auch dann zu bejahen, wenn der Mieter freiwillig auszieht, weil er auf die Angaben des Vermieters in der Eigenbedarfskündigung vertraut hat (Hinweis auf LG Saarbrücken v. 19.12.1997 – 13 BS 135/97, ZMR 1998, 233 = NJW-RR 1998, 945). Dies sei dann der Fall, wenn der Mieter keinen Anlass hatte, den Angaben des Vermieters zu misstrauen (Hinweis auf BayObLG v. 25.5.1982 – REMiet 2/82, MDR 1982, 939 = ZMR 1982, 277). In Fällen dieser Art komme es immer nur darauf an, dass der Mieter den Besitz an der Wohnung deshalb aufgibt, weil er von der Richtigkeit der Erklärung des Vermieters überzeugt ist (Hinweis auf LG Saarbrücken v. 19.12.1997 – 13 BS 135/97, ZMR 1998, 233). Eine derart motivierte Besitzaufgabe liege nur dann vor, wenn ein Mieter sich zur Besitzaufgabe entschließt, ohne die Ernstlichkeit des Nutzungswunsches des Vermieters zu überprüfen; es genüge, dass der Mieter keinen Anlass hatte, den Angaben des Vermieters zu misstrauen (Hinweis auf BayObLG v. 25.5.1982 – REMiet 2/82, MDR 1982, 939 = ZMR 1982, 277). Dass die Mieter ihrerseits die Kündigung erklärt haben, ist also für den Schadensersatzanspruch unerheblich.


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