LG Köln, Urt. 21.2.2018 - 28 O 229/17

Unterlassungsanspruch bei falschen Tatsachenangaben in wissenschaftlichem Artikel

Autor: Christoph Strieder, Fachanwalt für IT-Recht, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2018
Falsche Tatsachenangaben über ein Produkt oder eine Software in einem wissenschaftlichen Artikel, der auf einer Internetplattform veröffentlich wird, verletzen das Recht des Herstellers auf Schutz sozialer Anerkennung und Geschäftsehre (Unternehmerpersönlichkeitsrecht) und können einen Unterlassungsanspruch auch gegen den Internetplattformbetreiber als mittelbarem Störer begründen.

LG Köln, Urt. v. 21.2.2018 - 28 O 229/17

BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1; GG Art 2 Abs. 1

Das Problem

Das LG Köln hatte darüber zu entscheiden, ob ein Verlag, der auf einer Internetplattform wissenschaftliche Artikel anbietet, als mittelbarer Störer auf Unterlassung für falsche Tatsachenangaben in dem wissenschaftlichen Artikel über ein Produkt und eine Software haftet. Der Hersteller eines technisch wissenschaftlichen Gerätes und einer Software zur Messung und Analyse von Aerosolpartikeln, der auf einen kleinen und sehr speziellen Markt abzielt, stellt fest, dass ein wissenschaftlicher Fachverlag mit Sitz in Deutschland auf seiner Internetseite, auf der regelmäßig wissenschaftliche Artikel dritter Autoren veröffentlicht werden, einen Testbericht von Autoren aus den USA über dieses Gerät und die Software vorhält. In diesem Testbericht werden Eigenschaften des Geräts und der Software dargestellt, bei deren tatsächlichem Vorhandensein das Gerät oder die Software nicht ohne Modifikationen einsetzbar sind. Solche Modifikationen werden von den Autoren des Artikels angeregt. Der Hersteller behauptet, dass die im Artikel dargestellten negativen Eigenschaften des Geräts und der Software nicht vorhanden und Modifikationen nicht notwendig sind und es sich insoweit um falsche Tatsachenbehauptungen handelt. Nach einem Hinweis des Herstellers gegenüber dem Verlag auf die Rechtsverletzung und danach erfolgter Beauftragung eines Rechtsanwalts, der den Verlag wegen der Rechtsverletzung erfolglos abmahnt, klagt der Gerätehersteller vor dem LG Köln gegen den Verlag auf Unterlassung. Er beruft sich auf die Verletzung seines Unternehmerpersönlichkeitsrechts wegen falscher Tatsachenbehauptung. Der Verlag verteidigt sich mit Nichtwissen. Er führt aus, dass er nicht die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Prüfung der Richtigkeit der Angaben des Artikels hat. Darüber hinaus beruft der Verlag sich darauf, dass der Artikel mit wissenschaftlichem Inhalt lediglich einer öffentlichen Diskussion dient, was von der Freiheit der Meinung und Wissenschaft umfasst sei. Der Verlag meint, dass zudem die Autoren des Artikels primär haften. Diese hätten daher zunächst in Anspruch genommen werden müssen. Es sei daher auch nicht erheblich, dass die Autoren des Artikels auf Nachfrage des Verlages lediglich erklärt haben, wegen der Wissenschaftsfreiheit den Inhalt des Artikels unter keinem Umstand ändern zu wollen.

Das LG hat zu entscheiden, ob die möglichen Auswirkungen der Tatsachenäußerungen im Artikel zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Verlages führt, ob die Freiheit der wissenschaftlichen Äußerung bei Abwägung aller Interessen das Unternehmenspersönlichkeitsrecht des Verlages überwiegt und ob der Verlag Prüfpflichten und hieraus resultierende Beseitigungspflichten im Hinblick auf den fremden Inhalt in dem wissenschaftlichen Artikel verletzt hat, die seine Haftung begründen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LG gibt der auf Unterlassung und Schadensersatz wegen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage des Geräteherstellers gegen den Verlag statt.

Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch seien ebenso wie der Schadensersatzanspruch für Rechtsanwaltskosten gegeben. Bei den gerügten Angaben handele es sich um unwahre Tatsachen über Eigenschaften des Geräts und der Software.

Grundsätzlich sei der Unterlassungsgläubiger beweisbelastet für seine Behauptung, die gerügten Tatsachen seien falsch. Vorliegend seien aber die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr wegen einer üblen Nachrede (§ 186 StGB) gegeben. Die im wissenschaftlichen Artikel veröffentlichten Tatsachen können für einen Hersteller hochspezialisierter Produkte, die nicht für einen breiten Markt bestimmt sind, erheblich geschäftsschädigend sein, da sie das Gerät und die Software als untauglich darstellen. Dies sei geeignet, den Kläger in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte – wenn überhaupt – nur als Störerin hafte. Der Wortlaut des § 186 StGB lässt ein Verbreiten genügen, so dass auch der, der eine fremde Äußerung verbreitet, unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift beweisen muss, dass die Äußerung der Wahrheit entspricht. Hierfür spreche auch, dass die Beklagte als Verlag in Kontakt mit den Autoren ihrer Artikel stehe und die Anknüpfungstatsachen für die angegriffenen Äußerungen mit diesen klären könne. Ein Bestreiten mit Nichtwissen durch die Beklagte sei daher unzulässig. Der Vortrag der Klägerin über die Unwahrheit der Tatsachen gelte damit als zugestanden.

Die angegriffenen Äußerungen im wissenschaftlichen Artikel würden auch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin am Schutz ihrer sozialen Anerkennung und ihrer Geschäftsehre (Art. 5 I, 3 GG, Art. 10 EMRK) verletzen. Es handele sich bei den Angaben im Artikel um unwahre Tatsachen. Ein Wahrheitsbeweis sei nicht erbracht. In der Regel seien nur wahre Tatsachen hinzunehmen, unwahre dagegen nicht. Zudem seien keinerlei überwiegende Interessen der Beklagten an der Verbreitung der unwahren Äußerungen gegenüber den Interessen der Klägerin erkennbar.

Dem beklagten Verlag sei die Rechtsverletzung als mittelbarer Störerin auch zuzurechnen. Dies sei bei einem adäquat kausalen Beitrag zur Beeinträchtigung des Rechtsguts gegeben, wenn der in Anspruch genommene eine Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten unterstützt oder ausnutzt und rechtliche oder tatsächliche Möglichkeiten zur Verhinderung der Rechtsverletzung bestehen und wenn die Verletzung einer Verhaltenspflicht vorliegt. Zwar sei ein Internet-Plattformbetreiber bei der Veröffentlichung eines Drittbeitrages in der Regel nicht proaktiv verpflichtet, solche Beiträge auf Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Internet-Plattformbetreiber müsse aber im Rahmen seiner Verhaltenspflicht tätig werden, wenn er von einer klaren Rechtsverletzung Kenntnis erlange. Er müsse dann in ein Stellungnahmeverfahren mit dem eigenverantwortlich handelnden Dritten eintreten.

Die Voraussetzungen für die Haftung seien vorliegend gegeben. Der beklagte Verlag ermögliche es den Autoren, wissenschaftliche Manuskripte zu veröffentlichen. Ein Stellungnahmeverfahren sei erfolglos geblieben. Nach Vortrag des beklagten Verlages sei die Reaktion der Autoren substanzarm geblieben. Der Verlag als Betreiber der Internetplattform habe auch die tatsächlichen und rechtlichen zumutbaren Möglichkeiten, den angegriffenen Beitrag zu entfernen.

Die Beklagte hafte auch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten. Sie müsse allerdings grundsätzlich nur Rechtsanwaltskosten ersetzen, die nach Inkenntnissetzung entstanden seien. Dies sei vorliegend aber der Fall. Die Beauftragung des Rechtsanwalts durch die Klägerin sei zeitlich nach (erfolgloser) Inkenntnissetzung erfolgt.


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