LG Nürnberg-Fürth, Hinweisbeschl. 5.7.2016 - 14 S 6933/15 WEG

Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit durch Verlassen der Eigentümerversammlung

Autor: RiOLG Wolfgang Dötsch, Brühl
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2017
1. Es ist nicht ohne weiteres rechtsmissbräuchlich, eine laufende Eigentümerversammlung zu verlassen, auch wenn dadurch deren Beschlussunfähigkeit herbeigeführt wird – jedenfalls dann, wenn diese Folge vom Scheidenden nicht bezweckt war.2. Ein formeller Beschlussmangel muss sich – was vermutet wird – auf das Beschlussergebnis ausgewirkt haben. Die Vermutung ist widerlegt, wenn feststeht, dass der Beschluss auch bei Nichtvorliegen des formellen Fehlers so gefasst worden wäre.

LG Nürnberg-Fürth, Hinweisbeschl. v. 5.7.2016 - 14 S 6933/15 WEG

Vorinstanz: AG Neumarkt - 4 C 5/14

WEG §§ 21 Abs. 4, 25 Abs. 3; BGB § 242

Das Problem

Die Teilungserklärung/Geschäftsordnung regelt:

„Die Eigentümerversammlung ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Eigentümer vertreten ist.”

Der Kläger hat eine Versammlung vor der Beschlussfassung über einige streitige Punkte verlassen, wodurch weniger als die Hälfte der Eigentümer an Köpfen anwesend/vertreten war. Kann er die Beschlüsse nunmehr anfechten?

Die Entscheidung des Gerichts

Ja! Die Versammlung war beschlussunfähig. Die gebotene objektive Auslegung der Teilungserklärung führt dazu, dass es für einen unbefangenen Beobachter nicht darauf ankommen kann, wie viele Miteigentumsanteile die anwesenden/vertretenen Eigentümer innehaben – was hier nicht gereicht hätte –, sondern allein deren Anzahl im Verhältnis zur Gesamtzahl maßgeblich ist, also bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit das Kopfzahlprinzip gilt.

Dem Kläger ist auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzulasten (§ 242 BGB). Ganz grundsätzlich sind die Eigentümer zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung und zur Mitwirkung an der Willensbildung nicht verpflichtet (BGH v. 17.10.2014 – V ZR 9/14, MietRB 2015, 17 f. = MDR 2015, 16).

Soweit im Einzelfall von einer Mitwirkungspflicht aufgrund der gegenseitigen Treuepflicht auszugehen ist, liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor. Die Beschlussgegenstände ließen nicht erkennen, dass eine sofortige Beschlussfassung zur Meidung schwerer Nachteile geboten war. Insbesondere eine umstrittene Tiefgaragensanierung stand schon seit 2007 im Raum, war dann aber offenbar – aus welchen Gründen auch immer – nicht vorrangig betrieben und zeitnah umgesetzt worden, so dass nicht ersichtlich ist, dass nunmehr eine sofortige Beschlussfassung zur Meidung schwerwiegender Nachteile für das Gemeinschaftseigentum oder das Sondereigentum einzelner Sondereigentümer zwingend erforderlich und daher eine weitere Mitwirkung durch den Kläger geschuldet gewesen sein soll.

Im Übrigen kann bei der Beurteilung, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen ist, nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Eintritt der Beschlussunfähigkeit offenbar seitens des Klägers keineswegs bezweckt war. Selbst der Versammlungsleiter ging ausweislich des Protokolls davon aus, dass man weiterhin beschlussfähig sei, der Kläger wurde also nicht etwa darauf hingewiesen, dass – soweit er nicht weiter an der Versammlung teilnehme – wichtige Beschlüsse nicht mehr gefasst werden könnten.

Nach ständiger Rechtsprechung führt ein formeller Beschlussmangel aber zur Ungültigkeit des Beschlusses, wenn das Beschlussergebnis auf dem formellen Fehler beruht. Die Kausalität zwischen dem formellen Mangel und dem Beschlussergebnis wird widerlegbar vermutet. Die Vermutung ist erst widerlegt, wenn feststeht, dass der angefochtene Beschluss auch bei Nichtvorliegen des formellen Fehlers so gefasst worden wäre – wofür hier nichts ersichtlich ist. Die Kammer sieht auch keine Veranlassung von diesen Rechtsgrundsätzen abzurücken.


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