Löschungsanspruch gegen Suchmaschinenbetreiber – „Recht auf Vergessen”
Autor: RA Prof. Dr. Elmar Schuhmacher, FA für Urheber- und Medienrecht, Lungerich Lenz Schuhmacher, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2014
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 08/2014
Die Tätigkeit einer Suchmaschine stellt eine „Verarbeitung personenbezogener Daten” i.S.d. RL 95/46/EG dar, für die der Betreiber dieser Suchmaschinen als entsprechend „Verantwortlicher” anzusehen ist. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten wird im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt, wenn der Suchmaschinenbetreiber in einem Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine und diesen Verkauf eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gründet, deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses Staates ausgerichtet ist.Bestehen Rechte des Betroffenen nach der RL 95/46/EG, ist der Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, von der Ergebnisliste, die auf eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche hin angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu dieser Person zu entfernen, auch wenn der Name oder die Informationen dort nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche rechtmäßig ist. Bei der Anwendung der RL 95/46/EG ist u.a. zu prüfen, ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, wobei dies nicht voraussetzt, dass dem Betroffenen durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht. Da der Betroffene in Anbetracht seiner Grundrechte aus Art. 7 und 8 der GR-Charta verlangen kann, dass die betreffende Information der breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in die Ergebnisliste zur Verfügung gestellt wird, überwiegen seine Rechte grundsätzlich nicht nur gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers, sondern auch gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu der Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche, falls sich nicht aus besonderen Gründen – wie der Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben – ergeben sollte, dass der Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch das überwiegende Interesse der breiten Öffentlichkeit gerechtfertigt ist.
EuGH, Urt. v. 13.5.2014 - Rs. C-131/12
Vorinstanz: Audiencia Nacional (Spanien), Vorabentscheidungsersuchen v. 27.2.2012
GR-Charta Art. 7, 8; RL 95/46/EG – Art. 2, 4, 12, 14
Sachlicher Anwendungsbereich: Das Gericht stellt fest, dass sich der Betrieb einer Suchmaschine aufgrund des automatischen, kontinuierlichen und systematischen Durchforstens der im Internet veröffentlichten Informationen, die der Betreiber mit seinen Indexierungsprogrammen sodann „ausliest”, „speichert” und „organisiert”, auf seinen Servern „aufbewahrt” und gegebenenfalls in Form von Ergebnislisten an seine Nutzer „weitergibt” und diesen „bereitstellt”, um eine „Verarbeitung” personenbezogener Daten i.S.d. RL 95/46/EG handelt, für die der Betreiber dieser Suchmaschinen auch als „Verantwortlicher” im Sinne dieser RL anzusehen ist, da er über die Zwecke und Mittel einer solchen Verarbeitung entscheide. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Suchmaschinenbetreiber dieselben Vorgänge auch bei anderen Arten von Informationen ausführt und ob er zwischen diesen Informationen und personenbezogenen Daten unterscheidet. Unerheblich sei es auch, dass die personenbezogenen Daten bereits im Internet veröffentlicht worden sind und von der Suchmaschine nicht verändert werden.
Räumlicher Anwendungsbereich: Eine Verarbeitung personenbezogener Daten wird nach Auffassung des Gerichts dann im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats besitzt, ausgeführt, wenn der Suchmaschinenbetreiber in einem Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine und diesen Verkauf selbst eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gründet, deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses Staates ausgerichtet ist. Google Spain erfülle diese Voraussetzungen.
Verantwortlichkeit: Das Gericht betont, dass die Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG, soweit sie Verarbeitungen personenbezogener Daten betreffen, die zu Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens führen können, im Licht der Grundrechte gem. Art. 7 und 8 der GR-Charta auszulegen seien. Es stellt fest, dass eine von einem Suchmaschinenbetreiber ausgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten wie vorliegend die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten erheblich beeinträchtigen könne, wenn die Suche mit dieser Suchmaschine anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführt wird, da diese Verarbeitung es jedem Internetnutzer ermögliche, sich mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die zu der betreffenden Person im Internet zu findenden Informationen zu verschaffen, die potentiell zahlreiche Aspekte von deren Privatleben betreffen und ohne die betreffende Suchmaschine nicht oder nur sehr schwer hätten miteinander verknüpft werden können, und somit ein mehr oder weniger detailliertes Profil der Person zu erstellen. Zudem werde die Wirkung des Eingriffs in die genannten Rechte der betroffenen Person noch durch die bedeutende Rolle des Internets und der Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft gesteigert, die den in einer Ergebnisliste enthaltenen Informationen eine Ubiquität verleihen.
Angemessener Ausgleich: Wegen seiner potentiellen Schwere könne ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden. Da sich die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste aber je nach der Information, um die es sich handelt, auch auf das berechtigte Interesse von potentiell am Zugang zu der Information interessierten Internetnutzern auswirken könne, sei in Situationen wie vorliegend ein angemessener Ausgleich u.a. zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person aus Art. 7 und 8 der GR-Charta zu finden. Dabei würden die durch diese Normen geschützten Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer überwiegen. Jedoch könne der Ausgleich in besonders gelagerten Fällen von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, was je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren könne.
„Recht auf Vergessen werden”: Das Gericht stellt heraus, dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten während der gesamten Dauer ihrer Ausführung nach Art. 7 der RL 95/46/EG zulässig sein muss. Somit sei stets zu prüfen, ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird. Die Feststellung eines solchen Rechts setze nicht voraus, dass der betroffenen Person durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht.
Rechte des Betroffenen: Überwiegen die Rechte des Betroffenen, sei der Suchmaschinenbetreiber dazu verpflichtet, von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens des Betroffenen durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu dieser Person zu entfernen, auch wenn der Name oder die Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche rechtmäßig ist. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen der Sensibilität der in den Anzeigen enthaltenen Informationen für sein Privatleben und weil die ursprüngliche Veröffentlichung der Anzeigen 16 Jahre zurückliegt, ein Recht darauf habe, dass diese Informationen nicht mehr durch die Ergebnisliste bei Google mit seinem Namen verknüpft werden.
EuGH, Urt. v. 13.5.2014 - Rs. C-131/12
Vorinstanz: Audiencia Nacional (Spanien), Vorabentscheidungsersuchen v. 27.2.2012
GR-Charta Art. 7, 8; RL 95/46/EG – Art. 2, 4, 12, 14
Das Problem:
Ein spanischer Staatsbürger erhob 2010 bei der spanischen Datenschutzagentur AEPD Beschwerde. Er wendet sich dagegen, dass bei Eingabe seines Namens in die Suchmaschine von Google Links zu zwei Seiten einer Tageszeitung angezeigt werden, die eine Anzeige aus dem Jahre 1998 enthalten, in der unter Nennung seines Namens auf die Versteigerung eines Grundstücks im Zusammenhang mit einer wegen Forderungen der Sozialversicherung erfolgten Pfändung hingewiesen wurde. Sein Begehren, die Tageszeitung anzuweisen, die Seiten zu löschen oder so zu gestalten, dass seine personenbezogenen Daten nicht mehr angezeigt oder durch Suchmaschinen gefunden werden können, weist die AEPD zurück und begründet dies damit, dass es sich um eine rechtlich zulässige Ankündigung der Zwangsversteigerung gehandelt habe. Soweit sich die Beschwerde gegen Google Spain und Google Inc. richtet, wird ihr jedoch stattgegeben und Google durch die AEPD angewiesen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die personenbezogenen Daten aus dem Index zu entfernen und den Zugang zu diesen Daten zukünftig zu verhindern. Gegen diese Entscheidung wendet sich Google bei der Audiencia Nacional. Diese legt die Sache sodann dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV vor.Die Entscheidung des Gerichts:
Der EuGH beantwortet die Vorlagefragen dahingehend, dass Google zur Löschung der durch den Beschwerdeführer gerügten Links verpflichtet ist.Sachlicher Anwendungsbereich: Das Gericht stellt fest, dass sich der Betrieb einer Suchmaschine aufgrund des automatischen, kontinuierlichen und systematischen Durchforstens der im Internet veröffentlichten Informationen, die der Betreiber mit seinen Indexierungsprogrammen sodann „ausliest”, „speichert” und „organisiert”, auf seinen Servern „aufbewahrt” und gegebenenfalls in Form von Ergebnislisten an seine Nutzer „weitergibt” und diesen „bereitstellt”, um eine „Verarbeitung” personenbezogener Daten i.S.d. RL 95/46/EG handelt, für die der Betreiber dieser Suchmaschinen auch als „Verantwortlicher” im Sinne dieser RL anzusehen ist, da er über die Zwecke und Mittel einer solchen Verarbeitung entscheide. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Suchmaschinenbetreiber dieselben Vorgänge auch bei anderen Arten von Informationen ausführt und ob er zwischen diesen Informationen und personenbezogenen Daten unterscheidet. Unerheblich sei es auch, dass die personenbezogenen Daten bereits im Internet veröffentlicht worden sind und von der Suchmaschine nicht verändert werden.
Räumlicher Anwendungsbereich: Eine Verarbeitung personenbezogener Daten wird nach Auffassung des Gerichts dann im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats besitzt, ausgeführt, wenn der Suchmaschinenbetreiber in einem Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine und diesen Verkauf selbst eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gründet, deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses Staates ausgerichtet ist. Google Spain erfülle diese Voraussetzungen.
Verantwortlichkeit: Das Gericht betont, dass die Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG, soweit sie Verarbeitungen personenbezogener Daten betreffen, die zu Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens führen können, im Licht der Grundrechte gem. Art. 7 und 8 der GR-Charta auszulegen seien. Es stellt fest, dass eine von einem Suchmaschinenbetreiber ausgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten wie vorliegend die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten erheblich beeinträchtigen könne, wenn die Suche mit dieser Suchmaschine anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführt wird, da diese Verarbeitung es jedem Internetnutzer ermögliche, sich mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die zu der betreffenden Person im Internet zu findenden Informationen zu verschaffen, die potentiell zahlreiche Aspekte von deren Privatleben betreffen und ohne die betreffende Suchmaschine nicht oder nur sehr schwer hätten miteinander verknüpft werden können, und somit ein mehr oder weniger detailliertes Profil der Person zu erstellen. Zudem werde die Wirkung des Eingriffs in die genannten Rechte der betroffenen Person noch durch die bedeutende Rolle des Internets und der Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft gesteigert, die den in einer Ergebnisliste enthaltenen Informationen eine Ubiquität verleihen.
Angemessener Ausgleich: Wegen seiner potentiellen Schwere könne ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden. Da sich die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste aber je nach der Information, um die es sich handelt, auch auf das berechtigte Interesse von potentiell am Zugang zu der Information interessierten Internetnutzern auswirken könne, sei in Situationen wie vorliegend ein angemessener Ausgleich u.a. zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person aus Art. 7 und 8 der GR-Charta zu finden. Dabei würden die durch diese Normen geschützten Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer überwiegen. Jedoch könne der Ausgleich in besonders gelagerten Fällen von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, was je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren könne.
„Recht auf Vergessen werden”: Das Gericht stellt heraus, dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten während der gesamten Dauer ihrer Ausführung nach Art. 7 der RL 95/46/EG zulässig sein muss. Somit sei stets zu prüfen, ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird. Die Feststellung eines solchen Rechts setze nicht voraus, dass der betroffenen Person durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht.
Rechte des Betroffenen: Überwiegen die Rechte des Betroffenen, sei der Suchmaschinenbetreiber dazu verpflichtet, von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens des Betroffenen durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu dieser Person zu entfernen, auch wenn der Name oder die Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche rechtmäßig ist. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen der Sensibilität der in den Anzeigen enthaltenen Informationen für sein Privatleben und weil die ursprüngliche Veröffentlichung der Anzeigen 16 Jahre zurückliegt, ein Recht darauf habe, dass diese Informationen nicht mehr durch die Ergebnisliste bei Google mit seinem Namen verknüpft werden.