Lohnwucher – Auffälliges Missverhältnis – Maßgeblicher Wirtschaftszweig
Autor: RAin FAinArbR Ursel Kappelhoff, Vahle Kühnel Becker, FAeArbR, Hamburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 10/2012
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 10/2012
Von Lohnwucher bzw. einem wucherähnlichen Geschäft i.S.v. § 138 BGB ist auszugehen, wenn eine Arbeitsvergütung weniger als zwei Drittel des in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tariflohns beträgt. Der maßgebliche Wirtschaftszweig ist nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts zu bestimmen.
BAG, Urt. v. 18.4.2012 - 5 AZR 630/10
Vorinstanz: LAG Niedersachen - 12 Sa 1451/09
AEntG a.F. § 1 Abs. 3a; BGB § 138
Die Vergütungsvereinbarung sei nicht sittenwidrig (§ 138 BGB). Sittenwidrigkeit setze ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Ausgangspunkt seien die in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tariflöhne. Betrage die Arbeitsvergütung weniger als zwei Drittel dieses üblichen Tariflohns, sei dies eine ganz erhebliche, ohne weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht mehr hinnehmbare Abweichung, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedürfe. Für die Frage der Zuordnung zu dem maßgeblichen Wirtschaftszweig sei auf die auf EU-Recht beruhende Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Statistische Bundesamt abzustellen. Danach unterfalle die Deutsche Post AG dem Wirtschaftszweig „Postdienste von Universaldienstleistungsanbietern”. Demgegenüber sei die Beklagte, die keine Universalpostdienstleistungen erbringe, den „Sonstigen Post-, Kurier- und Expressdiensten”, also einem anderen Wirtschaftszweig zuzuordnen. Auf die Frage der Unterschreitung des Posttariflohns komme es daher nicht an.
Die Kläger hätten auch keinen Anspruch nach dem TV Mindestlohn Briefdienstleistungen. Dessen Anwendung komme mangels Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit nur auf der Grundlage der PostmindestlohnVO in Betracht. Diese sei aber wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3a AEntG a.F. unwirksam. Zwar seien die Gerichte für Arbeitssachen nicht an die entsprechende Entscheidung des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 27.1.2010 – 8 C 19.09) gebunden. Das Verordnungsverfahren leide jedoch an einem wesentlichen Verfahrensfehler, da den Beteiligten die erforderliche Gelegenheit zur Stellungnahme nicht gegeben worden sei (§ 1 Abs. 3a AEntG a.F.). Die Verordnung sei daher nichtig.
BAG, Urt. v. 18.4.2012 - 5 AZR 630/10
Vorinstanz: LAG Niedersachen - 12 Sa 1451/09
AEntG a.F. § 1 Abs. 3a; BGB § 138
Das Problem:
Die Kläger sind bei der Beklagten, einem Zustellunternehmen für Tages- und Wochenzeitungen, das zu ca. 30 % auch Briefe zustellt, als Briefzusteller tätig. Der vereinbarte Stundenlohn beträgt 7,87 € brutto. Die Kläger fordern von der Beklagten die Differenz zur Vergütung nach dem Entgelttarifvertrag der Deutschen Post AG, da ihre Vergütungsvereinbarung sittenwidrig sei. Hilfsweise machen sie die Differenz zum Bruttomindestlohn nach dem TV Mindestlohn Briefdienstleistungen geltend. Die dies anordnende PostmindestlohnVO sei auch wirksam; die gegenteilige Entscheidung des BVerwG binde die Gerichte für Arbeitssachen nicht.Die Entscheidung des Gerichts:
Das BAG erachtet die Forderungen der Kläger – wie auch die beiden Vorinstanzen – für unbegründet.Die Vergütungsvereinbarung sei nicht sittenwidrig (§ 138 BGB). Sittenwidrigkeit setze ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Ausgangspunkt seien die in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tariflöhne. Betrage die Arbeitsvergütung weniger als zwei Drittel dieses üblichen Tariflohns, sei dies eine ganz erhebliche, ohne weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht mehr hinnehmbare Abweichung, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedürfe. Für die Frage der Zuordnung zu dem maßgeblichen Wirtschaftszweig sei auf die auf EU-Recht beruhende Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Statistische Bundesamt abzustellen. Danach unterfalle die Deutsche Post AG dem Wirtschaftszweig „Postdienste von Universaldienstleistungsanbietern”. Demgegenüber sei die Beklagte, die keine Universalpostdienstleistungen erbringe, den „Sonstigen Post-, Kurier- und Expressdiensten”, also einem anderen Wirtschaftszweig zuzuordnen. Auf die Frage der Unterschreitung des Posttariflohns komme es daher nicht an.
Die Kläger hätten auch keinen Anspruch nach dem TV Mindestlohn Briefdienstleistungen. Dessen Anwendung komme mangels Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit nur auf der Grundlage der PostmindestlohnVO in Betracht. Diese sei aber wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3a AEntG a.F. unwirksam. Zwar seien die Gerichte für Arbeitssachen nicht an die entsprechende Entscheidung des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 27.1.2010 – 8 C 19.09) gebunden. Das Verordnungsverfahren leide jedoch an einem wesentlichen Verfahrensfehler, da den Beteiligten die erforderliche Gelegenheit zur Stellungnahme nicht gegeben worden sei (§ 1 Abs. 3a AEntG a.F.). Die Verordnung sei daher nichtig.