Massenentlassungsschutz bei Elternzeit
Autor: RA FAArbR Axel Groeger, Redeker Sellner Dahs, Bonn
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2016
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2016
Der Massenentlassungsschutz gilt auch für Arbeitnehmerinnen in Elternzeit, denen die Kündigung allein deshalb außerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG zugegangen ist, weil zunächst das behördliche Verfahren für die Zulässigeerklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG (a.F.) durchzuführen war.
BVerfG, Beschl. v. 8.6.2016 - 1 BvR 3634/13
Vorinstanz: BAG - 6 AZR 49/12
GG Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 1; KSchG § 17; BEEG § 18
Das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin des Ausgangsverfahrens (Beschwerdeführerin), die sich in Elternzeit befand, kündigte die Beklagte erst im März 2010 wegen Betriebsstilllegung. Zu diesem späteren Kündigungsausspruch kam es, weil die Beklagte zunächst die Zulässigerklärung der Kündigung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG i.d.F. vom 5.12.2006 abgewartet hatte. Die Kündigungsschutzklage blieb ohne Erfolg.
An die Rechtfertigung dieser nachteiligen Behandlung von Personen in Elternzeit sind wegen des Zusammenhangs mit Art. 6 Abs. 1 GG erhöhte Anforderungen zu stellen. Die unterschiedliche Behandlung kann insbesondere nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass § 18 Abs. 1 BEEG (a.F.) besonderen Kündigungsschutz eröffnet. Zwar kann eine Benachteiligung grds. durch anderweitige begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Der Kündigungsschutz bei Massenentlassung und bei Elternzeit unterscheidet sich jedoch, was sich in der vorliegenden Konstellation ausgewirkt hat. Zwar führen in beiden Fällen lediglich formale Verletzungen zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Jedoch statuiert § 17 KSchG höhere formale Anforderungen, indem einerseits nach § 17 Abs. 1 KSchG eine Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit begründet wird, um diese frühzeitig in die Lage zu versetzen, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen möglichst zu mildern, und andererseits nach § 17 Abs. 2 KSchG auch der Betriebsrat umfassend zu unterrichten und die Entlassung mit ihm zu beraten ist. Die Gestaltungsoption des Betriebsrats und die frühzeitige Einschaltung der Agentur für Arbeit schon vor Ausspruch der Kündigung werden denjenigen genommen, die aufgrund besonderer Schutznormen aus dem Verfahren der Massenentlassung herausfallen. Dieser Nachteil wird auch nicht dadurch kompensiert, dass es aufgrund des Verwaltungsverfahrens, mit dem das Kündigungsverbot aufgehoben werden soll, regelmäßig zu einem späteren Kündigungstermin kommt.
BVerfG, Beschl. v. 8.6.2016 - 1 BvR 3634/13
Vorinstanz: BAG - 6 AZR 49/12
GG Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 1; KSchG § 17; BEEG § 18
Das Problem
Nachdem die Beklagte des Ausgangsverfahrens den Betriebsrat angehört und eine Massenentlassungsanzeige für alle Arbeitsverhältnisse vor Ort erstattet hatte, sprach sie im Dezember 2009 und Januar 2010 Kündigungen aus. Diese waren unwirksam, weil das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Gesamtbetriebsrat nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden war.Das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin des Ausgangsverfahrens (Beschwerdeführerin), die sich in Elternzeit befand, kündigte die Beklagte erst im März 2010 wegen Betriebsstilllegung. Zu diesem späteren Kündigungsausspruch kam es, weil die Beklagte zunächst die Zulässigerklärung der Kündigung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG i.d.F. vom 5.12.2006 abgewartet hatte. Die Kündigungsschutzklage blieb ohne Erfolg.
Die Entscheidung des Gerichts
Das BVerfG hat das Urteil des BAG aufgehoben. Dieses verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Der Ausschluss der Beschwerdeführerin von den Schutzwirkungen der Regeln zur Massenentlassung beruht auf der Auffassung des BAG, dass der Massenentlassungsschutz auch für Personen in Elternzeit ausschließlich anhand des Zeitpunkts des Zugangs der Kündigung zu bestimmen ist. Insbesondere in Fällen der Betriebsstilllegung ergibt sich daraus ein geringeres Schutzniveau für Personen, die nach dem Willen des Gesetzgebers besonders schutzwürdig sind und deshalb besonderen Kündigungsschutz genießen, da die zuständige oberste Landesbehörde die Kündigung in solchen Fällen trotz der Elternzeit regelmäßig für zulässig erklärt. Nur die Verzögerung durch das Abwarten dieser Erklärung führt dazu, dass die Kündigung außerhalb des für eine Massenentlassung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG relevanten 30-Tage-Zeitraums ausgesprochen werden kann.An die Rechtfertigung dieser nachteiligen Behandlung von Personen in Elternzeit sind wegen des Zusammenhangs mit Art. 6 Abs. 1 GG erhöhte Anforderungen zu stellen. Die unterschiedliche Behandlung kann insbesondere nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass § 18 Abs. 1 BEEG (a.F.) besonderen Kündigungsschutz eröffnet. Zwar kann eine Benachteiligung grds. durch anderweitige begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Der Kündigungsschutz bei Massenentlassung und bei Elternzeit unterscheidet sich jedoch, was sich in der vorliegenden Konstellation ausgewirkt hat. Zwar führen in beiden Fällen lediglich formale Verletzungen zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Jedoch statuiert § 17 KSchG höhere formale Anforderungen, indem einerseits nach § 17 Abs. 1 KSchG eine Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit begründet wird, um diese frühzeitig in die Lage zu versetzen, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen möglichst zu mildern, und andererseits nach § 17 Abs. 2 KSchG auch der Betriebsrat umfassend zu unterrichten und die Entlassung mit ihm zu beraten ist. Die Gestaltungsoption des Betriebsrats und die frühzeitige Einschaltung der Agentur für Arbeit schon vor Ausspruch der Kündigung werden denjenigen genommen, die aufgrund besonderer Schutznormen aus dem Verfahren der Massenentlassung herausfallen. Dieser Nachteil wird auch nicht dadurch kompensiert, dass es aufgrund des Verwaltungsverfahrens, mit dem das Kündigungsverbot aufgehoben werden soll, regelmäßig zu einem späteren Kündigungstermin kommt.