Neue Grundsteuer: Wie urteilen die Finanzgerichte?

21.08.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Grundsteuer,Bodenrichtwert,Finanzgericht,Urteil,Grundsteuerbescheid Die Finanzgerichte urteilen über erste Klagen gegen Grundsteuerbescheide. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Verfassungswidrige Grundsteuer: Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2018 entschieden, dass die bisherige Bemessung der Grundsteuer verfassungswidrig ist und bis spätestens Ende 2019 neu geregelt werden müsse.

2. Grundsteuerreform: Am 18. Juli 2019 wurde das Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts (Grundsteuerreformgesetz) vom Bundestag verabschiedet und trat am 1. Januar 2020 in Kraft.

3. Grundsteuererklärung: Eigentümer von Immobilien mussten bis Ende Januar 2023 eine Grundsteuererklärung abgeben, damit ihr Grundstückswert nach den neuen Richtlinien der Grundsteuerreform ermittelt werden kann.

4. Widerspruch und Klage: Zahlreiche Immobilieneigentümer haben gegen die daraufhin von den Finanzämtern erlassenen Grundsteuerbescheide Widerspruch eingelegt und Klage bei den Finanzgerichten erhoben.
Wenn die zuständige Behörde den Widerspruch gegen einen Grundsteuerbescheid abweist, können Betroffene dies akzeptieren oder vor das Finanzgericht ziehen. Die ersten Urteile zum Thema neues Grundsteuermodell wurden mit Spannung erwartet. Schließen sich die Gerichte der Kritik an, und wie steht es mit der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen?

Die Bescheide zur neuen Grundsteuer erklären wir hier:
Grundsteuer: Welche Bescheide bekomme ich und wie prüfe ich sie?

Welche Urteile zur neuen Grundsteuer gibt es bisher?


Die ersten beiden Entscheidungen zur neuen Grundsteuer – genauer, zum sogenannten Bundesmodell – kamen vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz. Es handelte sich um vorläufige Entscheidungen im Eilverfahren. Dabei findet eine eher summarische Prüfung des Falles statt.

In beiden Fällen entschied das Gericht, die Vollziehung der entsprechenden Grundsteuerwertbescheide wegen "ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit" auszusetzen. Das Finanzgericht zweifelte dabei sowohl an der Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der diesen zugrunde liegenden Bewertungsregeln.

Das Gericht hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Außerdem hat es betont, dass für Streitigkeiten um Bodenrichtwerte die Finanzgerichte zuständig sind und nicht – wie von den Finanzämtern gewünscht – die Verwaltungsgerichte. Da Verfahren vor den Finanzgerichten oft schneller beginnen als vor den überlasteten Verwaltungsgerichten, ist diese Entscheidung positiv für den Bürger (Beschlüsse vom 23.11.2023; Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).

Ist das Verfahren zur Ermittlung der Bodenrichtwerte rechtmäßig?


Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat dies bezweifelt. Es bezweifelte insbesondere die Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse in Rheinland-Pfalz. Die Gutachterausschussverordnung lasse Raum für Einflussnahmen. Die Bodenrichtwerte würden auf Basis von Kaufpreissammlungen durch die Gutachterausschüsse erstellt. Es seien Datenlücken in den Preissammlungen möglich, die zu unrealistischen Bodenrichtwerten führen könnten.

Wolle man das Bewertungsrecht verfassungskonform auslegen, müsse man den Eigentümern von Immobilien die Möglichkeit geben, im Einzelfall nachzuweisen, dass ihr Grundstückswert tatsächlich niedriger sei. Ansonsten handle es sich um eine fast komplett typisierte Besteuerung. Härtefälle seien nicht vorgesehen. Ein entsprechender Nachweis erfordere nicht unbedingt ein Sachverständigengutachten, stellten die Richter vorsorglich fest.

Sind die neuen Bewertungsregeln für Grundstücke verfassungswidrig?


Bei den neuen Bewertungsregeln für Grundstücke sah das Finanzgericht die Gefahr einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Das Gleichheitsgebot bedeute, dass für die Grundsteuer eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung stattfinden müsse.

Beim Bundesmodell der Grundsteuer sei schon nicht eindeutig erkennbar, was eigentlich der Belastungsgrund sei, also der spezifische Grund, warum gerade dieser Gegenstand besteuert werde. Beispiel: Soll hier das Vermögen besteuert werden? Oder soll ein Ausgleich für die Kosten hergestellt werden, welche die Gemeinde durch Infrastruktur und Dienstleistungen für Grundstücke hat? Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Entscheidung, welche die Reform der Grundsteuer auslöste, eine klare Aussage zum Belastungsgrund verlangt.

Es sei nicht überprüfbar, ob die ermittelten Bewertungsergebnisse realistisch seien, also Wertunterschiede von Grundstücken realistisch darstellen könnten.

Grundsteuer: Tabellenwerte contra Realität


Wenn man Zahlen zur Grundstückswertberechnung aus Tabellen in Gesetzesanhängen entnimmt, stellt sich schnell die Frage, inwieweit diese der Realität entsprechen. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz äußerte ernsthafte Zweifel daran, dass die neuen Bewertungsregeln überhaupt realistische Bewertungen ermöglichen könnten. Dies begründete es mit der hohen Zahl an gesetzlichen Pauschalierungen und Typisierungen bei gleichzeitig fast völliger Vernachlässigung individueller Gegebenheiten der Grundstücke.

Mit dem neuen Bewertungssystem würden höherwertige Grundstücke systematisch abgewertet. Gleichzeitig würden Immobilien in schlechterer Lage, schlechterem Zustand oder mit schlechterer Ausstattung systematisch überbewertet. Dies führe zu Wertverschiebungen. Diese verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Wahre Werte oder Wunschvorstellung?


Das Finanzgericht sah darüber hinaus ein "Vollzugsdefizit" bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte. Diese Werte würden meist aus einer Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt. Nur stünden den Gutachterausschüssen keine Möglichkeiten zur Verfügung, um die Angaben der Eigentümer zu überprüfen.

Bundesfinanzhof entscheidet über Urteile aus Rheinland-Pfalz


Beide Fälle aus Rheinland-Pfalz wurden inzwischen vor dem Bundesfinanzhof verhandelt, dem höchsten Gericht in Steuerfragen. Auch dieser äußerte deutliche Zweifel am neuen Grundsteuersystem. Der BFH gab in den zwei Eilverfahren den Wohnungseigentümern recht.

Der BFH führte aus, dass "bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte" bestünden. Der Grund: Eigentümer hätten keine Möglichkeit, sich gegen die vom Finanzamt vorgenommene Einstufung zu wehren und nachzuweisen, dass ihr Grundstück in Wahrheit weniger wert sei. Würden die mithilfe pauschaler Tabellenzahlen ermittelten Werte wie der Bodenrichtwert etwa 40 Prozent über dem echten Wert liegen, müssten dies die Eigentümer dem Finanzamt gegenüber nachweisen dürfen.

Dies könne in vielen Fällen relevant werden, zum Beispiel, wenn ein Haus länger nicht saniert worden sei. Die Vollziehung der entsprechenden Grundsteuerwertbescheide gegen die Kläger wurde ausgesetzt (Beschlüsse vom 27.5.2024, Az. II B 78/23 und II B 79/23).

Entscheidung aus Berlin: Verfassung zählt nicht?


Auch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Eilverfahren entschieden. Nach diesem Urteil soll eine Aussetzung der Vollziehung eines Grundsteuerwertbescheides bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des neuen Grundsteuersystems nur ausnahmsweise in Frage kommen. Verfassungsrechtliche Argumente – mit denen sich das Gericht auch nicht weiter befasst – sollen in der Regel nicht ausreichen. Antragsteller müssten ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachweisen, welches schwerer wiege als das öffentliche Interesse am Vollzug des Gesetzes. Im konkreten Fall wurde der Eilantrag abgewiesen, weil nur verfassungsrechtliche Gründe vorgebracht worden waren. Das heißt für betroffene Bürger: Man sollte sich auch um individuelle Begründungen eines solchen Antrags bemühen. Ob andere Gerichte dieser Ansicht folgen, bleibt abzuwarten (Beschluss vom 1.9.2023, Az. 3 V 3080/23).

Welche weiteren Urteile sind inzwischen bekannt?


In weiteren Fällen sind kurz zusammengefasst folgende Gerichtsurteile ergangen:

- Finanzgericht Baden-Württemberg: Laut zwei Urteilen des Finanzgerichts Baden-Württemberg ist das dortige Landesgrundsteuergesetz verfassungsgemäß. Dieses entspricht nicht dem Bundesmodell. Die Revision beim Bundesfinanzhof wurde eingelegt (Urteile vom 11.6.2024, Az. 8 K 2368/22 und Az. 8 K 1582/23).

- Laut Finanzgericht Berlin-Brandenburg ist das Bundesmodell verfassungsgemäß. Eine Revision zum Bundesfinanzhof wurde in beiden Fällen erlaubt (Urteile vom 4.12.2024, Az. 3 K 3170/22 und Az. 3 K 3142/23).

- Nach dem Finanzgericht Hamburg ist das dortige Landesmodell, das nicht dem Bundesmodell entspricht, im Hinblick auf die Bewertungsebene verfassungsgemäß. Insbesondere bestehen keine Bedenken, Gebäudeflächen gegenüber Grundstücksflächen um den Faktor 12,5 höher zu besteuern. Die Revision zum Bundesfinanzhof ist zugelassen (Urteil vom 13.11.2024, Az. 3 K 176/23).

- Auch das in Hessen angewendete Flächen-Faktor-Modell entspricht nicht dem Bundesmodell. Einem Urteil des Hessischen Finanzgerichts zufolge ist dieses Modell verfassungsgemäß. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 23.1.2025, Az. 3 K 663/24).

- In Niedersachsen gilt ein vom Bundesmodell abweichendes Flächen-Lage-Modell. Ein Musterverfahren dagegen ist beim niedersächsischen Finanzgericht anhängig (Az. 1 K 38/24).

- Das Finanzgericht Nordrhein-Westfalen hat keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells. Unbedenklich sei insbesondere, dass die endgültige Steuerlast erst feststehe, wenn die Gemeinden über die Hebesätze entschieden hätten. Dies sei auch bisher so gewesen und mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich zulässig. Die Typisierungen im Ertragswertverfahren etwa hinsichtlich Ansatz des Bodenrichtwertes, pauschalierte Nettokaltmieten oder Restnutzungsdauer seien nach der gebotenen Gesamtabwägung gleichheitskonform ausgestaltet worden. Revision gegen das Urteil wurde eingelegt (Urteil vom 19.9.2024, Az. 4 K 2189/23).

Es stehen viele Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof an. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Praxistipp zu Gerichtsurteilen über die neue Grundsteuer


Die Entscheidungen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz können Eigentümern und Mietern Hoffnung machen. Das neue Grundsteuermodell macht für viele Menschen das Wohnen wieder ein Stück teurer. Möchten Sie gegen einen Grundsteuerbescheid klagen? Dann ist ein Fachanwalt für Steuerrecht ein kompetenter Ansprechpartner.

(Bu)


 Stephan Buch
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