Öffentlicher Arbeitgeber – Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch

Autor: RAin FAinArbR Ursel Kappelhoff, Vahle Kühnel Becker, FAeArbR, Hamburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2014
Unterlässt es ein öffentlicher Arbeitgeber entgegen § 82 Satz 2 SGB IX, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, so ist dies ein geeignetes Indiz nach § 22 AGG für das Vorliegen einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Eine nachgeholte Einladung macht dieses Indiz, nämlich die ursprüngliche Nichteinladung und schriftliche Absage, nicht unbeachtlich.

BAG, Urt. v. 22.8.2013 - 8 AZR 563/12

Vorinstanz: Hessisches LAG - 2 Sa 851/11

AGG §§ 7, 15, 22; SGB IX § 82

Das Problem:

Der schwerbehinderte Kläger bewirbt sich auf eine Stellenanzeige des beklagten Landes. Er erhält eine Absage, die von einer Auszubildenden unterzeichnet ist.

Der – unstreitig geeignete – Kläger macht daraufhin wegen der unterlassenen Einladung eine Entschädigungszahlung nach §§ 15 Abs. 2, 7 AGG geltend. In seiner Antwort beruft sich das beklagte Land darauf, die Absage sei ein Büroversehen gewesen. Das Stellenbesetzungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen; der Kläger sei in den engeren Bewerberkreis aufgenommen und hiermit zum Vorstellungsgespräch eingeladen.

Der Kläger lehnt die Teilnahme ab, da er aus gesundheitlichen Gründen bereits anderweitig disponiert habe. Auf eine weitere Einladung des beklagten Landes reagiert der Kläger gar nicht mehr. Im Ergebnis wird ein anderer schwerbehinderter Bewerber eingestellt. Der Kläger macht fristgerecht die Zahlung einer Entschädigung gerichtlich geltend.

Die Entscheidung des Gerichts:

Nachdem das LAG die Klage abgewiesen hatte, gibt das BAG der Revision des Klägers statt.

Ein Verstoß des beklagten Landes gegen § 82 Satz 2 SGB IX liege vor, weil es den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die Absage durch eine nicht autorisierte Auszubildende erfolgt sei. So setze der Entschädigungsanspruch kein Verschulden voraus. Es bedürfe daher auch keiner Zurechnung eines schuldhaften Fehlverhaltens nach § 278 BGB oder § 831 BGB. Bediene sich der Arbeitgeber bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eigener Mitarbeiter oder auch Dritter, treffe ihn die volle Verantwortung für deren Verhalten. Ein bloßes Büroversehen entlaste das beklagte Land nicht, solange es aus dessen Verantwortungssphäre stamme.

Die Nichteinladung des schwerbehinderten Klägers unter Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX sei ein geeignetes Indiz i.S.v. § 22 AGG, das eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lasse.

Das beklagte Land könne sich auch nicht auf die nachträglichen Einladungen zum Vorstellungsgespräch berufen. Hierdurch werde ein möglicher Kausalzusammenhang zwischen der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch und dem Merkmal der Behinderung nicht beseitigt. Auch seien die nachträglichen Einladungen für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung der Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung zu widerlegen. Unerheblich sei auch, dass zum Zeitpunkt der nachträglichen Einladungen das Bewerbungsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei.

Der Umstand, dass der Kläger späteren Einladungen nicht gefolgt sei, lasse für sich allein nicht den Rückschluss zu, die Bewerbung des Klägers sei nicht ernsthaft gewesen. So habe der Kläger seine Rechte nach Erhalt der Absage ordnungsgemäß wahrgenommen.

Zur weiteren Frage, ob die durch die Nichteinladung ausgelöste Vermutung der Benachteiligung des Klägers gem. § 22 AGG widerlegt sei, habe das LAG bislang keine Feststellungen getroffen, so dass der Rechtsstreit zurückzuverweisen sei.


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